Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Von dem freventlichen Vrtheil.
gestalt zerschlagen worden/ daß er die übrige Zeit seines Lebens mit beharr-
lichem Weinen und Seufftzen/ und unzahlbahren Trübsetigkeiten zuge-
bracht/ und denlieben Gott umb Vergebung so grosser Sünde so lang gebet-
ten; biß der Engel endlich wieder zu ihm kommen; deme er zu Jüssen gefal-
len/ und von ihme versichert worden/ daß ihm GOtt seine Sünde nach heut
solches dieserthalben zugelassen habe; damit er in Erfahrung kommen möch-
te/ wie schwär und überlästig ihme seye/ unser freventliches urtheilen: auch
hat er ihn ermahnet/ daß er hinführo nicht mehr richten solle: gleichwohl hat
auff so trostreiche Wort/ und gethane Versicherung der heiligen Vätter
sich nicht trösten lassen; sondern in stäten Plagen und Abtödtungen seines
Leibs/ dieses Verbrechen halber seyn Leben geendiget.

10. Wann nun dieser gottseelige Einsidler wegen eines so geringen Ur-
theils/ Krafft desseu er auß zu grossem Eyffer gesagt/ daß seyn Bruder durch
den begangenen Ehebruch übel gethan habe/ erzehlter massen ist verschämbe
worden; was wird doch uns widerfahren/ die wir von unserm Rechsten ab der
begangener Sünde/ nicht allein sagen/ daß er übel gethan habe; sondern darzu
offtmahlen auß unordentlichem Eyffer denselben richten/ daß er nemblich vie-
le und grosse Straffen verdienet habe/ und derhalben wünschen/ daß er scharff
gezüchtiget werde? Warlig/ sage ich/ es wird die Zeit heran kommen/ daß wir
von GOTT mit gleichem Urtheil werden hergenommen werden: Auch ge-
schicht es vielmahlen durch die gerechte Verhängnuß GOttes/ daß die je-
nige/ so andere richten/ in selbige Mängel/ die sie ihrem Nechsten auffgemes-
sen haben/ liederlich fallen; und als dann wohl wünschen möchten/ daß man
mit ihnen durch die Finger sehete: dieses hat der Abt Machetes von sich selb-Cassian
l. 5. c. 30.
sten bekennet/ daß nemblich drey Dinge gewesen/ in denen er andere gerichtet/
und bestrafft; habe aber nicht lang hernach alle diese drey Fehler begangen:
derohalben trieb er einen jeglicheu an/ daß er sich selbsten nicht allein urthei-
len/ und nicht anderer Leben durchgründen solte; dieweilen/ sagte er/ ein
Münch mit denselben Lastern verstricket ist/ in welchen er von andern zu ur-
theilen sich erkühnet hat: und wann schon sie in eben selbige Sünde nicht fal-
len; so seynd sie doch derselben Straff werth; wie CHRJSTUS der L. 2. c. 7.
heiligen Mechtildi offenbahret/ und gesagt/ daß es ein grosses Laster seye/
wann ein Mensch seinen Nechsten urtheilet: und wann er denselben schon
rechtfertig urtheile; so seye er doch eines so grossen Lasters schuldig/ als
eben der jenige/ so dieses Ubel begangen hätte/ welches von andern gerichtet
wird: Wann auch der jenige Mensch die jenige Missethat verübet hat/ die

von
M 2

Von dem freventlichen Vrtheil.
geſtalt zerſchlagen worden/ daß er die uͤbrige Zeit ſeines Lebens mit beharr-
lichem Weinen und Seufftzen/ und unzahlbahren Truͤbſetigkeiten zuge-
bracht/ und denlieben Gott umb Vergebung ſo groſſer Suͤnde ſo lang gebet-
ten; biß der Engel endlich wieder zu ihm kommen; deme er zu Juͤſſen gefal-
len/ und von ihme verſichert worden/ daß ihm GOtt ſeine Suͤnde nach heut
ſolches dieſerthalben zugelaſſen habe; damit er in Erfahrung kommen moͤch-
te/ wie ſchwaͤr und uͤberlaͤſtig ihme ſeye/ unſer freventliches urtheilen: auch
hat er ihn ermahnet/ daß er hinfuͤhro nicht mehr richten ſolle: gleichwohl hat
auff ſo troſtreiche Wort/ und gethane Verſicherung der heiligen Vaͤtter
ſich nicht troͤſten laſſen; ſondern in ſtaͤten Plagen und Abtoͤdtungen ſeines
Leibs/ dieſes Verbrechen halber ſeyn Leben geendiget.

10. Wann nun dieſer gottſeelige Einſidler wegen eines ſo geringen Ur-
theils/ Krafft deſſeu er auß zu groſſem Eyffer geſagt/ daß ſeyn Bruder durch
den begangenen Ehebruch uͤbel gethan habe/ erzehlter maſſen iſt verſchaͤmbe
worden; was wird doch uns widerfahren/ die wir von unſerm Rechſten ab der
begangener Suͤnde/ nicht allein ſagen/ daß er uͤbel gethan habe; ſondern darzu
offtmahlen auß unordentlichem Eyffer denſelben richten/ daß er nemblich vie-
le und groſſe Straffen verdienet habe/ und derhalben wuͤnſchen/ daß er ſcharff
gezuͤchtiget werde? Warlig/ ſage ich/ es wird die Zeit heran kommen/ daß wir
von GOTT mit gleichem Urtheil werden hergenommen werden: Auch ge-
ſchicht es vielmahlen durch die gerechte Verhaͤngnuß GOttes/ daß die je-
nige/ ſo andere richten/ in ſelbige Maͤngel/ die ſie ihrem Nechſten auffgemeſ-
ſen haben/ liederlich fallen; und als dann wohl wuͤnſchen moͤchten/ daß man
mit ihnen durch die Finger ſehete: dieſes hat der Abt Machetes von ſich ſelb-Caſſian
l. 5. c. 30.
ſten bekennet/ daß nemblich drey Dinge geweſen/ in denen er andere gerichtet/
und beſtrafft; habe aber nicht lang hernach alle dieſe drey Fehler begangen:
derohalben trieb er einen jeglicheu an/ daß er ſich ſelbſten nicht allein urthei-
len/ und nicht anderer Leben durchgruͤnden ſolte; dieweilen/ ſagte er/ ein
Muͤnch mit denſelben Laſtern verſtricket iſt/ in welchen er von andern zu ur-
theilen ſich erkuͤhnet hat: und wann ſchon ſie in eben ſelbige Suͤnde nicht fal-
len; ſo ſeynd ſie doch derſelben Straff werth; wie CHRJSTUS der L. 2. c. 7.
heiligen Mechtildi offenbahret/ und geſagt/ daß es ein groſſes Laſter ſeye/
wann ein Menſch ſeinen Nechſten urtheilet: und wann er denſelben ſchon
rechtfertig urtheile; ſo ſeye er doch eines ſo groſſen Laſters ſchuldig/ als
eben der jenige/ ſo dieſes Ubel begangen haͤtte/ welches von andern gerichtet
wird: Wann auch der jenige Menſch die jenige Miſſethat veruͤbet hat/ die

von
M 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0119" n="91"/><fw place="top" type="header">Von dem freventlichen Vrtheil.</fw><lb/>
ge&#x017F;talt zer&#x017F;chlagen worden/ daß er die u&#x0364;brige Zeit &#x017F;eines Lebens mit beharr-<lb/>
lichem Weinen und Seufftzen/ und unzahlbahren Tru&#x0364;b&#x017F;etigkeiten zuge-<lb/>
bracht/ und denlieben Gott umb Vergebung &#x017F;o gro&#x017F;&#x017F;er Su&#x0364;nde &#x017F;o lang gebet-<lb/>
ten; biß der Engel endlich wieder zu ihm kommen; deme er zu Ju&#x0364;&#x017F;&#x017F;en gefal-<lb/>
len/ und von ihme ver&#x017F;ichert worden/ daß ihm GOtt &#x017F;eine Su&#x0364;nde nach heut<lb/>
&#x017F;olches die&#x017F;erthalben zugela&#x017F;&#x017F;en habe; damit er in Erfahrung kommen mo&#x0364;ch-<lb/>
te/ wie &#x017F;chwa&#x0364;r und u&#x0364;berla&#x0364;&#x017F;tig ihme &#x017F;eye/ un&#x017F;er freventliches urtheilen: auch<lb/>
hat er ihn ermahnet/ daß er hinfu&#x0364;hro nicht mehr richten &#x017F;olle: gleichwohl hat<lb/>
auff &#x017F;o tro&#x017F;treiche Wort/ und gethane Ver&#x017F;icherung der heiligen Va&#x0364;tter<lb/>
&#x017F;ich nicht tro&#x0364;&#x017F;ten la&#x017F;&#x017F;en; &#x017F;ondern in &#x017F;ta&#x0364;ten Plagen und Abto&#x0364;dtungen &#x017F;eines<lb/>
Leibs/ die&#x017F;es Verbrechen halber &#x017F;eyn Leben geendiget.</p><lb/>
          <p>10. Wann nun die&#x017F;er gott&#x017F;eelige Ein&#x017F;idler wegen eines &#x017F;o geringen Ur-<lb/>
theils/ Krafft de&#x017F;&#x017F;eu er auß zu gro&#x017F;&#x017F;em Eyffer ge&#x017F;agt/ daß &#x017F;eyn Bruder durch<lb/>
den begangenen Ehebruch u&#x0364;bel gethan habe/ erzehlter ma&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t ver&#x017F;cha&#x0364;mbe<lb/>
worden; was wird doch uns widerfahren/ die wir von un&#x017F;erm Rech&#x017F;ten ab der<lb/>
begangener Su&#x0364;nde/ nicht allein &#x017F;agen/ daß er u&#x0364;bel gethan habe; &#x017F;ondern darzu<lb/>
offtmahlen auß unordentlichem Eyffer den&#x017F;elben richten/ daß er nemblich vie-<lb/>
le und gro&#x017F;&#x017F;e Straffen verdienet habe/ und derhalben wu&#x0364;n&#x017F;chen/ daß er &#x017F;charff<lb/>
gezu&#x0364;chtiget werde? Warlig/ &#x017F;age ich/ es wird die Zeit heran kommen/ daß wir<lb/>
von GOTT mit gleichem Urtheil werden hergenommen werden: Auch ge-<lb/>
&#x017F;chicht es vielmahlen durch die gerechte Verha&#x0364;ngnuß <hi rendition="#g">GO</hi>ttes/ daß die je-<lb/>
nige/ &#x017F;o andere richten/ in &#x017F;elbige Ma&#x0364;ngel/ die &#x017F;ie ihrem Nech&#x017F;ten auffgeme&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en haben/ liederlich fallen; und als dann wohl wu&#x0364;n&#x017F;chen mo&#x0364;chten/ daß man<lb/>
mit ihnen durch die Finger &#x017F;ehete: die&#x017F;es hat der Abt <hi rendition="#aq">Machetes</hi> von &#x017F;ich &#x017F;elb-<note place="right"><hi rendition="#aq">Ca&#x017F;&#x017F;ian<lb/>
l. 5. c.</hi> 30.</note><lb/>
&#x017F;ten bekennet/ daß nemblich drey Dinge gewe&#x017F;en/ in denen er andere gerichtet/<lb/>
und be&#x017F;trafft; habe aber nicht lang hernach alle die&#x017F;e drey Fehler begangen:<lb/>
derohalben trieb er einen jeglicheu an/ daß er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;ten nicht allein urthei-<lb/>
len/ und nicht anderer Leben durchgru&#x0364;nden &#x017F;olte; dieweilen/ &#x017F;agte er/ ein<lb/>
Mu&#x0364;nch mit den&#x017F;elben La&#x017F;tern ver&#x017F;tricket i&#x017F;t/ in welchen er von andern zu ur-<lb/>
theilen &#x017F;ich erku&#x0364;hnet hat: und wann &#x017F;chon &#x017F;ie in eben &#x017F;elbige Su&#x0364;nde nicht fal-<lb/>
len; &#x017F;o &#x017F;eynd &#x017F;ie doch der&#x017F;elben Straff werth; wie <hi rendition="#g">CHRJSTUS</hi> der <note place="right"><hi rendition="#aq">L. 2. c.</hi> 7.</note><lb/>
heiligen Mechtildi offenbahret/ und ge&#x017F;agt/ daß es ein gro&#x017F;&#x017F;es La&#x017F;ter &#x017F;eye/<lb/>
wann ein Men&#x017F;ch &#x017F;einen Nech&#x017F;ten urtheilet: und wann er den&#x017F;elben &#x017F;chon<lb/>
rechtfertig urtheile; &#x017F;o &#x017F;eye er doch eines &#x017F;o gro&#x017F;&#x017F;en La&#x017F;ters &#x017F;chuldig/ als<lb/>
eben der jenige/ &#x017F;o die&#x017F;es Ubel begangen ha&#x0364;tte/ welches von andern gerichtet<lb/>
wird: Wann auch der jenige Men&#x017F;ch die jenige Mi&#x017F;&#x017F;ethat veru&#x0364;bet hat/ die<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">M 2</fw><fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0119] Von dem freventlichen Vrtheil. geſtalt zerſchlagen worden/ daß er die uͤbrige Zeit ſeines Lebens mit beharr- lichem Weinen und Seufftzen/ und unzahlbahren Truͤbſetigkeiten zuge- bracht/ und denlieben Gott umb Vergebung ſo groſſer Suͤnde ſo lang gebet- ten; biß der Engel endlich wieder zu ihm kommen; deme er zu Juͤſſen gefal- len/ und von ihme verſichert worden/ daß ihm GOtt ſeine Suͤnde nach heut ſolches dieſerthalben zugelaſſen habe; damit er in Erfahrung kommen moͤch- te/ wie ſchwaͤr und uͤberlaͤſtig ihme ſeye/ unſer freventliches urtheilen: auch hat er ihn ermahnet/ daß er hinfuͤhro nicht mehr richten ſolle: gleichwohl hat auff ſo troſtreiche Wort/ und gethane Verſicherung der heiligen Vaͤtter ſich nicht troͤſten laſſen; ſondern in ſtaͤten Plagen und Abtoͤdtungen ſeines Leibs/ dieſes Verbrechen halber ſeyn Leben geendiget. 10. Wann nun dieſer gottſeelige Einſidler wegen eines ſo geringen Ur- theils/ Krafft deſſeu er auß zu groſſem Eyffer geſagt/ daß ſeyn Bruder durch den begangenen Ehebruch uͤbel gethan habe/ erzehlter maſſen iſt verſchaͤmbe worden; was wird doch uns widerfahren/ die wir von unſerm Rechſten ab der begangener Suͤnde/ nicht allein ſagen/ daß er uͤbel gethan habe; ſondern darzu offtmahlen auß unordentlichem Eyffer denſelben richten/ daß er nemblich vie- le und groſſe Straffen verdienet habe/ und derhalben wuͤnſchen/ daß er ſcharff gezuͤchtiget werde? Warlig/ ſage ich/ es wird die Zeit heran kommen/ daß wir von GOTT mit gleichem Urtheil werden hergenommen werden: Auch ge- ſchicht es vielmahlen durch die gerechte Verhaͤngnuß GOttes/ daß die je- nige/ ſo andere richten/ in ſelbige Maͤngel/ die ſie ihrem Nechſten auffgemeſ- ſen haben/ liederlich fallen; und als dann wohl wuͤnſchen moͤchten/ daß man mit ihnen durch die Finger ſehete: dieſes hat der Abt Machetes von ſich ſelb- ſten bekennet/ daß nemblich drey Dinge geweſen/ in denen er andere gerichtet/ und beſtrafft; habe aber nicht lang hernach alle dieſe drey Fehler begangen: derohalben trieb er einen jeglicheu an/ daß er ſich ſelbſten nicht allein urthei- len/ und nicht anderer Leben durchgruͤnden ſolte; dieweilen/ ſagte er/ ein Muͤnch mit denſelben Laſtern verſtricket iſt/ in welchen er von andern zu ur- theilen ſich erkuͤhnet hat: und wann ſchon ſie in eben ſelbige Suͤnde nicht fal- len; ſo ſeynd ſie doch derſelben Straff werth; wie CHRJSTUS der heiligen Mechtildi offenbahret/ und geſagt/ daß es ein groſſes Laſter ſeye/ wann ein Menſch ſeinen Nechſten urtheilet: und wann er denſelben ſchon rechtfertig urtheile; ſo ſeye er doch eines ſo groſſen Laſters ſchuldig/ als eben der jenige/ ſo dieſes Ubel begangen haͤtte/ welches von andern gerichtet wird: Wann auch der jenige Menſch die jenige Miſſethat veruͤbet hat/ die von Caſſian l. 5. c. 30. L. 2. c. 7. M 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/119
Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/119>, abgerufen am 23.11.2024.