Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Neunte Geistliche Lection
seiner und auch der geistlichen Jungfrawen verderbten zweyen Seelen/
billig müsse in den Band der Excommunication geschlagen werden; hat
sie der Heyl. Mann gestillet/ und gesagt: nicht meine Kinder/ nichtfählet
so leichtlich von ewerem Nechsten das Urtheil; dann hierdurch stürtzet ihr
euch in zwey sehr grosse Ubelen: deren das erste ist daß ihr nemblieh deß je-
nigen Gebott überschreitet/ der da spricht: Richtet nicht vor der
Zeit.
Das zweyte ist/ daß ihr nicht ohne höchste Vermessenheit euch selb-
sten Richter stellet über andere: es ist zumahlen unsicher/ ob diese beyde in
ihren Sünden bißhero verharret seyen; oder ob sie durch die Gütigkeit
GOttes den Last ihrer Missethaten von sich geworffen haben. Wisset ihr
dann nicht/ sagt er/ daß ihr in demselben Gericht/ in dem ihr richtet/ sollet
gerichtet werden?

9. Wann aber diese Lehr deß gottseeligen Joannis, bey einigen zur
Vernichtigung deß losen Urtheils keinen Platz findet; der lasse sich zum
wenigsten abschrecken durch den H. Dorotheum, den wir anjetzo für uns
zur Red stellen/ und dieses grossen Diener GOTTES treuhertzigen Er-
mahnungen du und ich/ mein Christliche Seel/ mit allem Fleiß auffmercken
c. 6. Bibl.
PP.
Tom.
2.
wollen: nicht ist böser sagt er/ nichts schwärer/ als seinen Nechsten urtheilen
und verachten: warumb richten wir uns selbsten nicht über unsere eigene
Verbrechen/ die wir am besten kennen/ und von denen wir auch ungern
GOtt Rechenschafft zu geben gezwungen werden? Was gebrauchen wir
uns des Urtheils GOttes? was gehen uns die Geschöpffe Gottes an? was
haben wir mit frembden Knechten zu schaffen? sollen wir nicht an gantzem
Historia.Leib zittern/ wann wir uns erinneren/ was jenem grossen Altvatter wider-
fahren ist? da dieser gehöret hatte/ daß einer auß den Brüdern in einem Ehe-
bruch gefallen wäre/ sagte er: Dieser hat sehr ubel gethan: und
siehe alsbald brachte ein Eugel GOTTES die Seel deß obgedachten
Sünders/ nachdem sie durch den zeitliehen Hintritt schon vom Leib ge-
scheiden ware/ zu diesem Altvatter/ und sagte; schaue zu/ den du gerichtet
hast/ ist schon gestorben/ hier bringe ich dir dessen Seel/ und erwarte deinen
Befelch darüber/ ob sie zu der Höllen/ oder zum Himmel solle geführet wer-
den: mit diesen Worten hat der Engel dem alten Einsidler nichts anders
bedeuten wollen/ als eben dieses: wann du allbereits worden bist ein Richter
der Gerechten; so bitte ich dich/ sage mir deine Meinung über diese arme
Seele/ ob du dich derselben erbarmen/ oder ob du sie ewiglich straffen wollest?
da solches der heilige Mann gehöret/ ist er ab dieser so frembden Frag der-

gestalt

Die Neunte Geiſtliche Lection
ſeiner und auch der geiſtlichen Jungfrawen verderbten zweyen Seelen/
billig muͤſſe in den Band der Excommunication geſchlagen werden; hat
ſie der Heyl. Mann geſtillet/ und geſagt: nicht meine Kinder/ nichtfaͤhlet
ſo leichtlich von ewerem Nechſten das Urtheil; dann hierdurch ſtuͤrtzet ihr
euch in zwey ſehr groſſe Ubelen: deren das erſte iſt daß ihr nemblieh deß je-
nigen Gebott uͤberſchreitet/ der da ſpricht: Richtet nicht vor der
Zeit.
Das zweyte iſt/ daß ihr nicht ohne hoͤchſte Vermeſſenheit euch ſelb-
ſten Richter ſtellet uͤber andere: es iſt zumahlen unſicher/ ob dieſe beyde in
ihren Suͤnden bißhero verharret ſeyen; oder ob ſie durch die Guͤtigkeit
GOttes den Laſt ihrer Miſſethaten von ſich geworffen haben. Wiſſet ihr
dann nicht/ ſagt er/ daß ihr in demſelben Gericht/ in dem ihr richtet/ ſollet
gerichtet werden?

9. Wann aber dieſe Lehr deß gottſeeligen Joannis, bey einigen zur
Vernichtigung deß loſen Urtheils keinen Platz findet; der laſſe ſich zum
wenigſten abſchrecken durch den H. Dorotheum, den wir anjetzo fuͤr uns
zur Red ſtellen/ und dieſes groſſen Diener GOTTES treuhertzigen Er-
mahnungen du und ich/ mein Chriſtliche Seel/ mit allem Fleiß auffmercken
c. 6. Bibl.
PP.
Tom.
2.
wollen: nicht iſt boͤſer ſagt er/ nichts ſchwaͤrer/ als ſeinen Nechſten urtheilen
und verachten: warumb richten wir uns ſelbſten nicht uͤber unſere eigene
Verbrechen/ die wir am beſten kennen/ und von denen wir auch ungern
GOtt Rechenſchafft zu geben gezwungen werden? Was gebrauchen wir
uns des Urtheils GOttes? was gehen uns die Geſchoͤpffe Gottes an? was
haben wir mit frembden Knechten zu ſchaffen? ſollen wir nicht an gantzem
Hiſtoria.Leib zittern/ wann wir uns erinneren/ was jenem groſſen Altvatter wider-
fahren iſt? da dieſer gehoͤret hatte/ daß einer auß den Bruͤdern in einem Ehe-
bruch gefallen waͤre/ ſagte er: Dieſer hat ſehr ůbel gethan: und
ſiehe alsbald brachte ein Eugel GOTTES die Seel deß obgedachten
Suͤnders/ nachdem ſie durch den zeitliehen Hintritt ſchon vom Leib ge-
ſcheiden ware/ zu dieſem Altvatter/ und ſagte; ſchaue zu/ den du gerichtet
haſt/ iſt ſchon geſtorben/ hier bringe ich dir deſſen Seel/ und erwarte deinen
Befelch daruͤber/ ob ſie zu der Hoͤllen/ oder zum Himmel ſolle gefuͤhret wer-
den: mit dieſen Worten hat der Engel dem alten Einſidler nichts anders
bedeuten wollen/ als eben dieſes: wann du allbereits worden biſt ein Richter
der Gerechten; ſo bitte ich dich/ ſage mir deine Meinung uͤber dieſe arme
Seele/ ob du dich derſelben erbarmen/ oder ob du ſie ewiglich ſtraffen wolleſt?
da ſolches der heilige Mann gehoͤret/ iſt er ab dieſer ſo frembden Frag der-

geſtalt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0118" n="90"/><fw place="top" type="header">Die Neunte Gei&#x017F;tliche <hi rendition="#aq">Lection</hi></fw><lb/>
&#x017F;einer und auch der gei&#x017F;tlichen Jungfrawen verderbten zweyen Seelen/<lb/>
billig mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e in den Band der <hi rendition="#aq">Excommunication</hi> ge&#x017F;chlagen werden; hat<lb/>
&#x017F;ie der Heyl. Mann ge&#x017F;tillet/ und ge&#x017F;agt: nicht meine Kinder/ nichtfa&#x0364;hlet<lb/>
&#x017F;o leichtlich von ewerem Nech&#x017F;ten das Urtheil; dann hierdurch &#x017F;tu&#x0364;rtzet ihr<lb/>
euch in zwey &#x017F;ehr gro&#x017F;&#x017F;e Ubelen: deren das er&#x017F;te i&#x017F;t daß ihr nemblieh deß je-<lb/>
nigen Gebott u&#x0364;ber&#x017F;chreitet/ der da &#x017F;pricht: <hi rendition="#fr">Richtet nicht vor der<lb/>
Zeit.</hi> Das zweyte i&#x017F;t/ daß ihr nicht ohne ho&#x0364;ch&#x017F;te Verme&#x017F;&#x017F;enheit euch &#x017F;elb-<lb/>
&#x017F;ten Richter &#x017F;tellet u&#x0364;ber andere: es i&#x017F;t zumahlen un&#x017F;icher/ ob die&#x017F;e beyde in<lb/>
ihren Su&#x0364;nden bißhero verharret &#x017F;eyen; oder ob &#x017F;ie durch die Gu&#x0364;tigkeit<lb/>
GOttes den La&#x017F;t ihrer Mi&#x017F;&#x017F;ethaten von &#x017F;ich geworffen haben. Wi&#x017F;&#x017F;et ihr<lb/>
dann nicht/ &#x017F;agt er/ daß ihr in dem&#x017F;elben Gericht/ in dem ihr richtet/ &#x017F;ollet<lb/>
gerichtet werden?</p><lb/>
          <p>9. Wann aber die&#x017F;e Lehr deß gott&#x017F;eeligen <hi rendition="#aq">Joannis,</hi> bey einigen zur<lb/>
Vernichtigung deß lo&#x017F;en Urtheils keinen Platz findet; der la&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich zum<lb/>
wenig&#x017F;ten ab&#x017F;chrecken durch den H. <hi rendition="#aq">Dorotheum,</hi> den wir anjetzo fu&#x0364;r uns<lb/>
zur Red &#x017F;tellen/ und die&#x017F;es gro&#x017F;&#x017F;en Diener GOTTES treuhertzigen Er-<lb/>
mahnungen du und ich/ mein Chri&#x017F;tliche Seel/ mit allem Fleiß auffmercken<lb/><note place="left"><hi rendition="#aq">c. 6. Bibl.<lb/>
PP.<lb/>
Tom.</hi> 2.</note>wollen: nicht i&#x017F;t bo&#x0364;&#x017F;er &#x017F;agt er/ nichts &#x017F;chwa&#x0364;rer/ als &#x017F;einen Nech&#x017F;ten urtheilen<lb/>
und verachten: warumb richten wir uns &#x017F;elb&#x017F;ten nicht u&#x0364;ber un&#x017F;ere eigene<lb/>
Verbrechen/ die wir am be&#x017F;ten kennen/ und von denen wir auch ungern<lb/>
GOtt Rechen&#x017F;chafft zu geben gezwungen werden? Was gebrauchen wir<lb/>
uns des Urtheils GOttes? was gehen uns die Ge&#x017F;cho&#x0364;pffe Gottes an? was<lb/>
haben wir mit frembden Knechten zu &#x017F;chaffen? &#x017F;ollen wir nicht an gantzem<lb/><note place="left"><hi rendition="#aq">Hi&#x017F;toria.</hi></note>Leib zittern/ wann wir uns erinneren/ was jenem gro&#x017F;&#x017F;en Altvatter wider-<lb/>
fahren i&#x017F;t? da die&#x017F;er geho&#x0364;ret hatte/ daß einer auß den Bru&#x0364;dern in einem Ehe-<lb/>
bruch gefallen wa&#x0364;re/ &#x017F;agte er: <hi rendition="#fr">Die&#x017F;er hat &#x017F;ehr &#x016F;bel gethan:</hi> und<lb/>
&#x017F;iehe alsbald brachte ein Eugel <hi rendition="#g">GOTTES</hi> die Seel deß obgedachten<lb/>
Su&#x0364;nders/ nachdem &#x017F;ie durch den zeitliehen Hintritt &#x017F;chon vom Leib ge-<lb/>
&#x017F;cheiden ware/ zu die&#x017F;em Altvatter/ und &#x017F;agte; &#x017F;chaue zu/ den du gerichtet<lb/>
ha&#x017F;t/ i&#x017F;t &#x017F;chon ge&#x017F;torben/ hier bringe ich dir de&#x017F;&#x017F;en Seel/ und erwarte deinen<lb/>
Befelch daru&#x0364;ber/ ob &#x017F;ie zu der Ho&#x0364;llen/ oder zum Himmel &#x017F;olle gefu&#x0364;hret wer-<lb/>
den: mit die&#x017F;en Worten hat der Engel dem alten Ein&#x017F;idler nichts anders<lb/>
bedeuten wollen/ als eben die&#x017F;es: wann du allbereits worden bi&#x017F;t ein Richter<lb/>
der Gerechten; &#x017F;o bitte ich dich/ &#x017F;age mir deine Meinung u&#x0364;ber die&#x017F;e arme<lb/>
Seele/ ob du dich der&#x017F;elben erbarmen/ oder ob du &#x017F;ie ewiglich &#x017F;traffen wolle&#x017F;t?<lb/>
da &#x017F;olches der heilige Mann geho&#x0364;ret/ i&#x017F;t er ab die&#x017F;er &#x017F;o frembden Frag der-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ge&#x017F;talt</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0118] Die Neunte Geiſtliche Lection ſeiner und auch der geiſtlichen Jungfrawen verderbten zweyen Seelen/ billig muͤſſe in den Band der Excommunication geſchlagen werden; hat ſie der Heyl. Mann geſtillet/ und geſagt: nicht meine Kinder/ nichtfaͤhlet ſo leichtlich von ewerem Nechſten das Urtheil; dann hierdurch ſtuͤrtzet ihr euch in zwey ſehr groſſe Ubelen: deren das erſte iſt daß ihr nemblieh deß je- nigen Gebott uͤberſchreitet/ der da ſpricht: Richtet nicht vor der Zeit. Das zweyte iſt/ daß ihr nicht ohne hoͤchſte Vermeſſenheit euch ſelb- ſten Richter ſtellet uͤber andere: es iſt zumahlen unſicher/ ob dieſe beyde in ihren Suͤnden bißhero verharret ſeyen; oder ob ſie durch die Guͤtigkeit GOttes den Laſt ihrer Miſſethaten von ſich geworffen haben. Wiſſet ihr dann nicht/ ſagt er/ daß ihr in demſelben Gericht/ in dem ihr richtet/ ſollet gerichtet werden? 9. Wann aber dieſe Lehr deß gottſeeligen Joannis, bey einigen zur Vernichtigung deß loſen Urtheils keinen Platz findet; der laſſe ſich zum wenigſten abſchrecken durch den H. Dorotheum, den wir anjetzo fuͤr uns zur Red ſtellen/ und dieſes groſſen Diener GOTTES treuhertzigen Er- mahnungen du und ich/ mein Chriſtliche Seel/ mit allem Fleiß auffmercken wollen: nicht iſt boͤſer ſagt er/ nichts ſchwaͤrer/ als ſeinen Nechſten urtheilen und verachten: warumb richten wir uns ſelbſten nicht uͤber unſere eigene Verbrechen/ die wir am beſten kennen/ und von denen wir auch ungern GOtt Rechenſchafft zu geben gezwungen werden? Was gebrauchen wir uns des Urtheils GOttes? was gehen uns die Geſchoͤpffe Gottes an? was haben wir mit frembden Knechten zu ſchaffen? ſollen wir nicht an gantzem Leib zittern/ wann wir uns erinneren/ was jenem groſſen Altvatter wider- fahren iſt? da dieſer gehoͤret hatte/ daß einer auß den Bruͤdern in einem Ehe- bruch gefallen waͤre/ ſagte er: Dieſer hat ſehr ůbel gethan: und ſiehe alsbald brachte ein Eugel GOTTES die Seel deß obgedachten Suͤnders/ nachdem ſie durch den zeitliehen Hintritt ſchon vom Leib ge- ſcheiden ware/ zu dieſem Altvatter/ und ſagte; ſchaue zu/ den du gerichtet haſt/ iſt ſchon geſtorben/ hier bringe ich dir deſſen Seel/ und erwarte deinen Befelch daruͤber/ ob ſie zu der Hoͤllen/ oder zum Himmel ſolle gefuͤhret wer- den: mit dieſen Worten hat der Engel dem alten Einſidler nichts anders bedeuten wollen/ als eben dieſes: wann du allbereits worden biſt ein Richter der Gerechten; ſo bitte ich dich/ ſage mir deine Meinung uͤber dieſe arme Seele/ ob du dich derſelben erbarmen/ oder ob du ſie ewiglich ſtraffen wolleſt? da ſolches der heilige Mann gehoͤret/ iſt er ab dieſer ſo frembden Frag der- geſtalt c. 6. Bibl. PP. Tom. 2. Hiſtoria.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/118
Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/118>, abgerufen am 23.11.2024.