Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 2,3. Nürnberg, 1679.[Spaltenumbruch] reine Warheit und rechte Billigkeit/ von der Falschheit und Ungerechtigkeit/ offt untergedruckt/ klagen und seuffzen sehen muß/ wie dieses Martialische Epigramma, oder Poetische Aufschrifft eben dahin gehet. Wer muß die Schöne doch/ wer muß die Göttin seyn/ die dort so ligt und weint/ auf Ajax Gra- bes-Stein Die arme Tugend ists/ mit Wunden an- gefüllt. Wer reisst ihr so das Haar doch aus wer setzt so wild an ihr so reines Hertz die Nägel? Ach Sie thut es Selbst/ vor bitterm Zorn und recht- erbosstem Mut auf dem Ulysses-Berg/ woselbst das rechte Recht und Warheit leidet Noth durchs Urtheil böser Knecht. Aber unsere Meinung endlich zu behaupten. Daß das Recht/ oder die Billigkeit endlich das Haupt wieder empor hebe/ und noch oben zu schwimmen komme/ wollen wir allhier noch ein Epigramma aus dem Martial beybringen: Als Ulysses dorten einst in der Wuht der Wellen schwebte/ fügt sichs/ daß die wilde Fluht des Pelei Schild erhebte/ seines Sohnes/ der den schwachen Ithacus trug ungeschicklich demnach Ajax/ als Selbst-mörder/ sich durchrannte gantz unglücklich/ bloß aus Ungedults-Bewegen: Den- noch war die wilde See mehr zu recht geneigt/ betraurte dieses Mord- und Trauer-Weh/ als selbst alle müde Griechen/ dann es trieb die Flut hinab nicht auf den Ulysses-Strand/ sondern auf des Ajax Grab/ des Achilles Helden-Schild. Auslegung oder Lehrliche Anweisung auf der Stadt Troja Untergang. Belangend nun den Untergang dieser mächtigen Stadt Troja/ die von den Griechen/ mit solchen grimmigem Eifer/ zerstört in Grund geworffen/ und zu einem Steinhauffen gemacht worden: so halten viel darfür/ daß selbige/ durch die göttliche Gerechtigkeit/ wegen ihrer überhäufften Ungerechtigkeit/ Weiber-Entführung und Rauberey/ so die meiste allda verübt/ gebilligt und vertheidigt gehabt/ gestrafft und geplagt worden seye: Dieweil sie dem himmlischen Palladio/ der himmlisch/ herrlichen Weisheit (worvon/ im fünfften Buche/ gehandelt worden) gewalt anthaten/ und dasselbe übel bey sich verwahrten: indem Priamus/ bey einer so schändlichen That/ durch die Finger sahe/ und selbige nicht straffte/ oder zum wenigsten nicht erstattete/ durch wiedergebung des entführten Weibes/ und gestolnen Reichthums: Da doch das Recht der Gast-freyheit durch die/ vom Paris/ an seinem freundlichem/ ihn so herrlich empfahend/ und als einen [Spaltenumbruch] Königlichen Printzen liebenden Wirte/ Menelaus/ verübte undanckbare Boßheit/ so gewaltig geschändet war. Also werden gantze Städte und Länder/ durch Ungerechtigkeit und Gesetzbücher/ verderbet und zu Grunde gerichtet. Wie man dessen Exempel/ an viel schönen/ edlen und vornehmen/ berühmten Städten hat; die an Reichthum und wolhabenden Burgern mächtig zu blühen pflagen/ auch voll so zierlicher/ prächtiger Gebäue waren/ daß sie mit ihren erhabenen gewaltigen Giebeln den Himmel gleichsam zu trutzen schienen. Von welchen allen auch nichts/ dann der Nam/ übrig geblieben ist. Dann die schändliche Unmässigkeit/ Schwelgerey Boßheit und Ungerechtigkeit ihren Zeitvertreib gleichsam darmit gehabt/ daß sie dieselben niedergeworffen/ und übern hauffen gelegt. Angeschaut/ die Länge der Zeit des Alterthums alles/ mit Dornen/ Disteln/ Bäumen und düstern Wildnussen bedeckt/ und an stat der Leute/ lauter grimmige/ wilde Thiere/ und allerley greuliches Ungeziefer daselbst zu Bürgern eingesetzt hat. Welches alles merckwürdige Spiegel sind/ die wol mit Daß man die Historien mit Aufmercksamkeit lesen musse. gutem Bedacht ein- und anzuschauen. Worzu dann auch das Lesen der Geschichte dienstlich seyn/ und seinen Nutzen geben kan. Bevorab/ wann man die Ursachen genau beobachtet/ wordurch die Länder verdorben; die Städte zerstöret; die Könige und Beherrscher zu grunde gegangen; und die Völcker ausgerottet worden: Und dergleichen lehrliche Vorbilder/ die/ wann sie aus den alten Schrifften hervorgesucht/ und zu Hertzen genommen werden/ vörderlich seyn können. Unser Poet führet uns unter andern nunmehro wiederum fort/ zu einem neuen grausamen Beyspiel nemlich zu dem/ seinen Gast ermordenden untreuen/ Polymnestor/ zu welchem Priamus seinen Sohn den Polydorus gethan hatte/ damit er bey ihm/ von dem Kriege befreyet/ möchte auferzogen werden: Allein dieser geldsüchtige geitzige Könige tödtete/ nach des Priamus Tode/ gedächten Polydorus: weil er vermeinte/ er würde nunmehr für die aufgewandte Kost seine Bezahlung nicht bekommen. Lehrliche Auslegung/ auf den geitzigen Polymnestor. Alhier sehen wir/ wie mild der grausame Geitz sey/ böse Früchte hervor zu bringen/ dieweil er weder auf göttliche/ heilige Gesetze/ oder Redligkeit/ Gehorsam/ Freundschafft/ Erkäntnus/ Treue ächtet/ noch einiges Versprechen ansiehet. Also daß ein solcher endlich gantz verblendet/ durch ein recht hündisch Leben und Wesen/ niemanden gutes/ sich selbsten aber böses thut. Inmassen auch dieser Polymnestor andeutet/ dem von der Hecuba die Augen ausgekratzt/ und sie die Hecuba in einen Hund verwandelt wurde. Diese/ nach vielen Beschwerligkeiten und Aengsten/ in einen Hund verwandelte Hecuba/ will sagen/ daß die Gedult der elenden Menschen/ wann sie unterweilen allzusehr misbrauchet/ und durch allzu grosses Leiden gedruckt wird/ in eine ungedultige Raserey/ oder neidigen Grimm verwandelt werde/ wordurch dann ebenmässig ein greuliches Verderben kan verursachet Historische Auslegung/ vom Memnon werden; dannenhero man billig/ mit allem Ernste/ zur Gedult sich rüsten solle: Dann dem/ welcher den Muht verloren/ sagt man/ ist übel zu helffen. [Spaltenumbruch] reine Warheit und rechte Billigkeit/ von der Falschheit und Ungerechtigkeit/ offt untergedruckt/ klagen und seuffzen sehen muß/ wie dieses Martialische Epigramma, oder Poetische Aufschrifft eben dahin gehet. Wer muß die Schöne doch/ wer muß die Göttin seyn/ die dort so ligt und weint/ auf Ajax Gra- bes-Stein Die arme Tugend ists/ mit Wunden an- gefüllt. Wer reisst ihr so das Haar doch aus wer setzt so wild an ihr so reines Hertz die Nägel? Ach Sie thut es Selbst/ vor bitterm Zorn und recht- erbosstem Mut auf dem Ulysses-Berg/ woselbst das rechte Recht und Warheit leidet Noth durchs Urtheil böser Knecht. Aber unsere Meinung endlich zu behaupten. Daß das Recht/ oder die Billigkeit endlich das Haupt wieder empor hebe/ und noch oben zu schwimmen komme/ wollen wir allhier noch ein Epigramma aus dem Martial beybringen: Als Ulysses dorten einst in der Wuht der Wellen schwebte/ fügt sichs/ daß die wilde Fluht des Pelei Schild erhebte/ seines Sohnes/ der den schwachen Ithacus trug ungeschicklich demnach Ajax/ als Selbst-mörder/ sich durchrannte gantz unglücklich/ bloß aus Ungedults-Bewegen: Den- noch war die wilde See mehr zu recht geneigt/ betraurte dieses Mord- und Trauer-Weh/ als selbst alle müde Griechen/ dann es trieb die Flut hinab nicht auf den Ulysses-Strand/ sondern auf des Ajax Grab/ des Achilles Helden-Schild. Auslegung oder Lehrliche Anweisung auf der Stadt Troja Untergang. Belangend nun den Untergang dieser mächtigen Stadt Troja/ die von den Griechen/ mit solchen grimmigem Eifer/ zerstört in Grund geworffen/ und zu einem Steinhauffen gemacht worden: so halten viel darfür/ daß selbige/ durch die göttliche Gerechtigkeit/ wegen ihrer überhäufften Ungerechtigkeit/ Weiber-Entführung und Rauberey/ so die meiste allda verübt/ gebilligt und vertheidigt gehabt/ gestrafft und geplagt worden seye: Dieweil sie dem himmlischen Palladio/ der himmlisch/ herrlichen Weisheit (worvon/ im fünfften Buche/ gehandelt worden) gewalt anthaten/ und dasselbe übel bey sich verwahrten: indem Priamus/ bey einer so schändlichen That/ durch die Finger sahe/ und selbige nicht straffte/ oder zum wenigsten nicht erstattete/ durch wiedergebung des entführten Weibes/ und gestolnen Reichthums: Da doch das Recht der Gast-freyheit durch die/ vom Paris/ an seinem freundlichem/ ihn so herrlich empfahend/ und als einen [Spaltenumbruch] Königlichen Printzen liebenden Wirte/ Menelaus/ verübte undanckbare Boßheit/ so gewaltig geschändet war. Also werden gantze Städte und Länder/ durch Ungerechtigkeit und Gesetzbücher/ verderbet und zu Grunde gerichtet. Wie man dessen Exempel/ an viel schönen/ edlen und vornehmen/ berühmten Städten hat; die an Reichthum und wolhabenden Burgern mächtig zu blühen pflagen/ auch voll so zierlicher/ prächtiger Gebäue waren/ daß sie mit ihren erhabenen gewaltigen Giebeln den Himmel gleichsam zu trutzen schienen. Von welchen allen auch nichts/ dann der Nam/ übrig geblieben ist. Dann die schändliche Unmässigkeit/ Schwelgerey Boßheit und Ungerechtigkeit ihren Zeitvertreib gleichsam darmit gehabt/ daß sie dieselben niedergeworffen/ und übern hauffen gelegt. Angeschaut/ die Länge der Zeit des Alterthums alles/ mit Dornen/ Disteln/ Bäumen und düstern Wildnussen bedeckt/ und an stat der Leute/ lauter grimmige/ wilde Thiere/ und allerley greuliches Ungeziefer daselbst zu Bürgern eingesetzt hat. Welches alles merckwürdige Spiegel sind/ die wol mit Daß man die Historien mit Aufmercksamkeit lesen musse. gutem Bedacht ein- und anzuschauen. Worzu dann auch das Lesen der Geschichte dienstlich seyn/ und seinen Nutzen geben kan. Bevorab/ wann man die Ursachen genau beobachtet/ wordurch die Länder verdorben; die Städte zerstöret; die Könige und Beherrscher zu grunde gegangen; und die Völcker ausgerottet worden: Und dergleichen lehrliche Vorbilder/ die/ wann sie aus den alten Schrifften hervorgesucht/ und zu Hertzen genommen werden/ vörderlich seyn können. Unser Poet führet uns unter andern nunmehro wiederum fort/ zu einem neuen grausamen Beyspiel nemlich zu dem/ seinen Gast ermordenden untreuen/ Polymnestor/ zu welchem Priamus seinen Sohn den Polydorus gethan hatte/ damit er bey ihm/ von dem Kriege befreyet/ möchte auferzogen werden: Allein dieser geldsüchtige geitzige Könige tödtete/ nach des Priamus Tode/ gedächten Polydorus: weil er vermeinte/ er würde nunmehr für die aufgewandte Kost seine Bezahlung nicht bekommen. Lehrliche Auslegung/ auf den geitzigen Polymnestor. Alhier sehen wir/ wie mild der grausame Geitz sey/ böse Früchte hervor zu bringen/ dieweil er weder auf göttliche/ heilige Gesetze/ oder Redligkeit/ Gehorsam/ Freundschafft/ Erkäntnus/ Treue ächtet/ noch einiges Versprechen ansiehet. Also daß ein solcher endlich gantz verblendet/ durch ein recht hündisch Leben und Wesen/ niemanden gutes/ sich selbsten aber böses thut. Inmassen auch dieser Polymnestor andeutet/ dem von der Hecuba die Augen ausgekratzt/ und sie die Hecuba in einen Hund verwandelt wurde. Diese/ nach vielen Beschwerligkeiten und Aengsten/ in einen Hund verwandelte Hecuba/ will sagen/ daß die Gedult der elenden Menschen/ wann sie unterweilen allzusehr misbrauchet/ und durch allzu grosses Leiden gedruckt wird/ in eine ungedultige Raserey/ oder neidigen Grimm verwandelt werde/ wordurch dann ebenmässig ein greuliches Verderben kan verursachet Historische Auslegung/ vom Memnon werden; dannenhero man billig/ mit allem Ernste/ zur Gedult sich rüsten solle: Dann dem/ welcher den Muht verloren/ sagt man/ ist übel zu helffen. <TEI> <text> <body> <div> <div> <div> <p><pb facs="#f0323" xml:id="pb-1270" n="[Metamorphosis, S. 147]"/><cb/> reine Warheit und rechte Billigkeit/ von der Falschheit und Ungerechtigkeit/ offt untergedruckt/ klagen und seuffzen sehen muß/ wie dieses Martialische <hi rendition="#aq">Epigramma,</hi> oder Poetische Aufschrifft eben dahin gehet.</p> <lg rendition="#c" type="poem"> <l>Wer muß die Schöne doch/ wer muß die<lb/> Göttin seyn/</l><lb/> <l>die dort so ligt und weint/ auf <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-394 http://d-nb.info/gnd/118501194 http://viaf.org/viaf/62339710">Ajax</persName> Gra-<lb/> bes-Stein</l><lb/> <l>Die arme Tugend ists/ mit Wunden an-<lb/> gefüllt.</l><lb/> <l>Wer reisst ihr so das Haar doch aus<lb/> wer setzt so wild</l><lb/> <l>an ihr so reines Hertz die Nägel? 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Welches alles merckwürdige Spiegel sind/ die wol mit <note place="right">Daß man die Historien mit Aufmercksamkeit lesen musse.</note> gutem Bedacht ein- und anzuschauen. Worzu dann auch das Lesen der Geschichte dienstlich seyn/ und seinen Nutzen geben kan. 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reine Warheit und rechte Billigkeit/ von der Falschheit und Ungerechtigkeit/ offt untergedruckt/ klagen und seuffzen sehen muß/ wie dieses Martialische Epigramma, oder Poetische Aufschrifft eben dahin gehet.
Wer muß die Schöne doch/ wer muß die
Göttin seyn/
die dort so ligt und weint/ auf Ajax Gra-
bes-Stein
Die arme Tugend ists/ mit Wunden an-
gefüllt.
Wer reisst ihr so das Haar doch aus
wer setzt so wild
an ihr so reines Hertz die Nägel? Ach
Sie thut
es Selbst/ vor bitterm Zorn und recht-
erbosstem Mut
auf dem Ulysses-Berg/ woselbst das
rechte Recht
und Warheit leidet Noth durchs Urtheil
böser Knecht.
Aber unsere Meinung endlich zu behaupten. Daß das Recht/ oder die Billigkeit endlich das Haupt wieder empor hebe/ und noch oben zu schwimmen komme/ wollen wir allhier noch ein Epigramma aus dem Martial beybringen:
Als Ulysses dorten einst in der Wuht der
Wellen schwebte/
fügt sichs/ daß die wilde Fluht des Pelei
Schild erhebte/
seines Sohnes/ der den schwachen Ithacus
trug ungeschicklich
demnach Ajax/ als Selbst-mörder/ sich
durchrannte gantz unglücklich/
bloß aus Ungedults-Bewegen: Den-
noch war die wilde See
mehr zu recht geneigt/ betraurte dieses
Mord- und Trauer-Weh/
als selbst alle müde Griechen/ dann es
trieb die Flut hinab
nicht auf den Ulysses-Strand/ sondern
auf des Ajax Grab/
des Achilles Helden-Schild.
Belangend nun den Untergang dieser mächtigen Stadt Troja/ die von den Griechen/ mit solchen grimmigem Eifer/ zerstört in Grund geworffen/ und zu einem Steinhauffen gemacht worden: so halten viel darfür/ daß selbige/ durch die göttliche Gerechtigkeit/ wegen ihrer überhäufften Ungerechtigkeit/ Weiber-Entführung und Rauberey/ so die meiste allda verübt/ gebilligt und vertheidigt gehabt/ gestrafft und geplagt worden seye: Dieweil sie dem himmlischen Palladio/ der himmlisch/ herrlichen Weisheit (worvon/ im fünfften Buche/ gehandelt worden) gewalt anthaten/ und dasselbe übel bey sich verwahrten: indem Priamus/ bey einer so schändlichen That/ durch die Finger sahe/ und selbige nicht straffte/ oder zum wenigsten nicht erstattete/ durch wiedergebung des entführten Weibes/ und gestolnen Reichthums: Da doch das Recht der Gast-freyheit durch die/ vom Paris/ an seinem freundlichem/ ihn so herrlich empfahend/ und als einen
Königlichen Printzen liebenden Wirte/ Menelaus/ verübte undanckbare Boßheit/ so gewaltig geschändet war. Also werden gantze Städte und Länder/ durch Ungerechtigkeit und Gesetzbücher/ verderbet und zu Grunde gerichtet. Wie man dessen Exempel/ an viel schönen/ edlen und vornehmen/ berühmten Städten hat; die an Reichthum und wolhabenden Burgern mächtig zu blühen pflagen/ auch voll so zierlicher/ prächtiger Gebäue waren/ daß sie mit ihren erhabenen gewaltigen Giebeln den Himmel gleichsam zu trutzen schienen. Von welchen allen auch nichts/ dann der Nam/ übrig geblieben ist. Dann die schändliche Unmässigkeit/ Schwelgerey Boßheit und Ungerechtigkeit ihren Zeitvertreib gleichsam darmit gehabt/ daß sie dieselben niedergeworffen/ und übern hauffen gelegt. Angeschaut/ die Länge der Zeit des Alterthums alles/ mit Dornen/ Disteln/ Bäumen und düstern Wildnussen bedeckt/ und an stat der Leute/ lauter grimmige/ wilde Thiere/ und allerley greuliches Ungeziefer daselbst zu Bürgern eingesetzt hat. Welches alles merckwürdige Spiegel sind/ die wol mit gutem Bedacht ein- und anzuschauen. Worzu dann auch das Lesen der Geschichte dienstlich seyn/ und seinen Nutzen geben kan. Bevorab/ wann man die Ursachen genau beobachtet/ wordurch die Länder verdorben; die Städte zerstöret; die Könige und Beherrscher zu grunde gegangen; und die Völcker ausgerottet worden: Und dergleichen lehrliche Vorbilder/ die/ wann sie aus den alten Schrifften hervorgesucht/ und zu Hertzen genommen werden/ vörderlich seyn können.
Auslegung oder Lehrliche Anweisung auf der Stadt Troja Untergang.
Daß man die Historien mit Aufmercksamkeit lesen musse. Unser Poet führet uns unter andern nunmehro wiederum fort/ zu einem neuen grausamen Beyspiel nemlich zu dem/ seinen Gast ermordenden untreuen/ Polymnestor/ zu welchem Priamus seinen Sohn den Polydorus gethan hatte/ damit er bey ihm/ von dem Kriege befreyet/ möchte auferzogen werden: Allein dieser geldsüchtige geitzige Könige tödtete/ nach des Priamus Tode/ gedächten Polydorus: weil er vermeinte/ er würde nunmehr für die aufgewandte Kost seine Bezahlung nicht bekommen. Alhier sehen wir/ wie mild der grausame Geitz sey/ böse Früchte hervor zu bringen/ dieweil er weder auf göttliche/ heilige Gesetze/ oder Redligkeit/ Gehorsam/ Freundschafft/ Erkäntnus/ Treue ächtet/ noch einiges Versprechen ansiehet. Also daß ein solcher endlich gantz verblendet/ durch ein recht hündisch Leben und Wesen/ niemanden gutes/ sich selbsten aber böses thut. Inmassen auch dieser Polymnestor andeutet/ dem von der Hecuba die Augen ausgekratzt/ und sie die Hecuba in einen Hund verwandelt wurde. Diese/ nach vielen Beschwerligkeiten und Aengsten/ in einen Hund verwandelte Hecuba/ will sagen/ daß die Gedult der elenden Menschen/ wann sie unterweilen allzusehr misbrauchet/ und durch allzu grosses Leiden gedruckt wird/ in eine ungedultige Raserey/ oder neidigen Grimm verwandelt werde/ wordurch dann ebenmässig ein greuliches Verderben kan verursachet werden; dannenhero man billig/ mit allem Ernste/ zur Gedult sich rüsten solle: Dann dem/ welcher den Muht verloren/ sagt man/ ist übel zu helffen.
Lehrliche Auslegung/ auf den geitzigen Polymnestor.
Historische Auslegung/ vom Memnon
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Zitationshilfe: | Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 2,3. Nürnberg, 1679, S. [Metamorphosis, S. 147]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sandrart_academie0203_1679/323>, abgerufen am 23.07.2024. |