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Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 2,3. Nürnberg, 1679.

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[Spaltenumbruch] heissen/ in der Welt anders nichts/ dann ein schädlichs Ubel sey. Dieweil nun viel hierauf die Weiber begonnen unwehrt zu haben/ auch keine Heyraht eingehen wollen/ hätten sich die Weiber/ an dem armen Orpheus gerochen/ und unter dem Schein als ob sie dem Bachus opffern wolten/ denselben in Stücken zerrissen. Andere Ursachen gehen wir alhier wissendlich vorbey: in Betrachtung/ die Erzehlungen alter Dinge auf mancherley Art zu fallen pflegen/ und zwar um so viel mehr/ weil die Poeten Geschichtliche Auslegung auf den Orpheus. ihre Gedichte auf viel Geschichte gegründet haben. Orpheus wird genannt ein Sohn des Apollo/ und der Calliope/ oder Polymnia/ dieweil er/ in der Wolredenheits-Kunst/ und sonderlich den Gedichten/ sehr geübt und erfahren war/ und man damaliger Zeit alle ehrliche und löbliche Männer/ Kinder-Gottes nennte: In Meinung/ daß die Seelen solcher durchleuchtigen Männer/ aus einem himmlischen Zeichen/ insonderheit der Sonnen/ in ihre Leiber hernieder kommen wären. Er hat allda zu Lande das gantz rohe und bestialische Volck/ vermittelst seiner Wolredenheit/ und angenehmer Gespräch/ zu einer höfflichern/ und dem Menschen anständigern Lebensart gebracht/ sie Häuser und Stäte bauen lehren/ burgerlichen Sitten gehorsamen/ und den Ehestand nach gewissen Regulen zu unterhalten. Dann dieses war vor Alters das Amt und die Verrichtung der Poeten: Welche waren weise/ erbare/ und ernsthaffte Männer/ die denen Grossen oder Mächtigen in Hoffnung der Geschencke nicht heuchelten: Daher auch ihre Verse und Gedichte für heilige Gesetze/ und Göttliche Geheimnüsse gehalten wurden: Also daß/ wann die Städte gegen einander in Uneinigkeit stunden/ sie auf das Gedicht eines Poeten/ als vortrefflichen/ vollkommenen/ gerechten Richters/ sich wiederum vereinigten. Dieses nun ist gewest/ das angenehme Spielen und Thierzäumen unsers Orpheussen; inmassen Virgilius/ in einem Epigrammate, gleichfalls bezeuget. Also verstehet es auch Horatius/ in seiner Dicht-Kunst/ wann er in Ansehung dessen saget:

Der Wunder-Harffenist/ der Orpheus/
welcher hiesse

der Götter Dolmetsch/ und sich Klug
in Sitten wiese/

hat erst das rohe Volck die Sitten-Zucht
gelehret

von Mord und Grausamkeit sie zur Ver-
nunfft bekehret/

Daß sie die Erbarkeit begunten neu zu
lieben

und nicht mehr Mörderey/ noch wilde Weiß
zu üben:

Daß heisst der Löwen Grimm/ und Tieger-
arten Zähmen/

durch süsses Seitenspiel/ die saure Wuht
benehmen/

das heisst die Stein bewegt/ durch wolbe-
redte Zungen

wann der Poeten Kehl Gesetze vorgesun-
gen.

In Summa/ durch Weisheit und Wolredenheit/ [Spaltenumbruch] welche/ durch den Orpheus/ und sein Seiten-Spiel angewiesen oder bezeichnet sind/ werden/ damit wir den Verstand kürtzlich darlegen/ gezämet und zu deroselben Nachfolge erwecket Menschen von unterschiedlichen Neigungen. Durch die Bäume/ so zu ihm kamen/ oder ihme nachfolgten/ werden verstanden diejenige/ so in ihrer falschen Meinung tieff eingewurtzelt sind; durch die Flüsse/ die unbeständige und unkeusche/ welche/ wann sie durch Weisheit nicht verhindert oder bekehret werden/ muthwillig in das Unglücks- und Verderbens-Meer/ dahinein sie solch Leben leitet und führet/ sich zu stürtzen pflegen: Durch Löwen und Tieger/ die Grausame. Durch Füchse/ die betriegliche: und so fort an. Gleicher Gestalt soll Orpheus der erste gewest seyn/ welcher die sieben Leyer-Saiten/ nach der Zahl der sieben Planeten/ eingerichtet/ und in ihre rechte Maß und Höhe zwingen lernen. Er war so überaus künstlich und beredt/ daß er der Menschen niedergeschlagene beängstigte und verzweiffelte Gemühter wunderlich wieder aufrichten/ und sie/ nachdem er die Unruhen und Empörungen ihrer Sinnen und Verstandes gestillet hatte/ wiederum in den vorigen/ friedlichen/ ruhig- und frölichen Stand gebracht. Wer dieses thun/ und zu Wege bringen kan/ ist gewißlich ein sehr tapfferer Mann/ und deme weit vorzuziehen/ so niemanden denn nur ihme selbst lebet. Nachdem nun Orpheus die Hölle/ oder Kümmernusse/ und Empörungen des Geistes/ befriedigt hatte; versuchte er die Eurydice/ welche/ wie ihr Name mit sich bringet/ anders nichts ist/ dann das Recht und die Gerechtigkeit/ in die Welt zu bringen. Sie aber sanck/ durch die ungedultige Liebe des Orpheus/ wiederum hinab in die Hölle; Weil man das Recht nicht allzu genau/ zu scharff/ noch zu ungestümlich suchen darff: Sintemal die Unruh und Empörung des Gemühts/ am füglichsten durch red- und leutseliges Zusprechen sich besänfftigen und stillen lässt. Dann hierinnen gar zu eiferig/ oder allzunachlässig seyn/ den Menschen zuruck weichen machet. Zumalen auch/ zugelassenen ehrlichen Begierden allzu sehr nachzuhängen/ des Menschen Gemühte grosse Bekümmernussen verursachen kan. Und pflegen die/ so ihren Lüsten und Begierden raum geben oder nachhängen/ öffters in schwere Versuchungen/ Kümmernüsse und schädliche Ungefälle zu gerahten. Also wird uns/ mit dem Orpheus/ angewiesen/ die Begierden unserer Seelen zu mässigen/ und daß wir kein Ding auf der Welt mit allzu-feurigem Gemühte/ begehren oder suchen sollen. Einige legen es also aus: Eurydice sey die Seele/ welche geehlicht oder vereinigt mit dem Orpheus/ das ist/ dem Leibe/ in den Aristäus/ oder in das höchste Gut/ verliebt sey: Allein sie fliehe vor ihm/ durch Kräuter und Blumen/ das ist/ durch die Wollüste dieser Welt/ und werde gebissen von der Schlange böser Gewohnheit/ so darinnen verborgen ligt/ worvon sie in die Hölle des unruhigen bösen Lebens sincke: Aus welchem sie/ anderer Gestalt/ schwerlich wiederum können geruffen oder gezogen werden/ als/ durch den süssen Thon der rechten wahren Weisheits-Lehre/ und unter dem Bedinge/ sich nicht/ wieder umzusehen/ sondern/ daß der Leib der gesunden Vernunfft/ wie

[Spaltenumbruch] heissen/ in der Welt anders nichts/ dann ein schädlichs Ubel sey. Dieweil nun viel hierauf die Weiber begonnen unwehrt zu haben/ auch keine Heyraht eingehen wollen/ hätten sich die Weiber/ an dem armen Orpheus gerochen/ und unter dem Schein als ob sie dem Bachus opffern wolten/ denselben in Stücken zerrissen. Andere Ursachen gehen wir alhier wissendlich vorbey: in Betrachtung/ die Erzehlungen alter Dinge auf mancherley Art zu fallen pflegen/ und zwar um so viel mehr/ weil die Poeten Geschichtliche Auslegung auf den Orpheus. ihre Gedichte auf viel Geschichte gegründet haben. Orpheus wird genannt ein Sohn des Apollo/ und der Calliope/ oder Polymnia/ dieweil er/ in der Wolredenheits-Kunst/ und sonderlich den Gedichten/ sehr geübt und erfahren war/ und man damaliger Zeit alle ehrliche und löbliche Männer/ Kinder-Gottes nennte: In Meinung/ daß die Seelen solcher durchleuchtigen Männer/ aus einem himmlischen Zeichen/ insonderheit der Sonnen/ in ihre Leiber hernieder kommen wären. Er hat allda zu Lande das gantz rohe und bestialische Volck/ vermittelst seiner Wolredenheit/ und angenehmer Gespräch/ zu einer höfflichern/ und dem Menschen anständigern Lebensart gebracht/ sie Häuser und Stäte bauen lehren/ burgerlichen Sitten gehorsamen/ und den Ehestand nach gewissen Regulen zu unterhalten. Dann dieses war vor Alters das Amt und die Verrichtung der Poeten: Welche waren weise/ erbare/ und ernsthaffte Männer/ die denen Grossen oder Mächtigen in Hoffnung der Geschencke nicht heuchelten: Daher auch ihre Verse und Gedichte für heilige Gesetze/ und Göttliche Geheimnüsse gehalten wurden: Also daß/ wann die Städte gegen einander in Uneinigkeit stunden/ sie auf das Gedicht eines Poeten/ als vortrefflichen/ vollkommenen/ gerechten Richters/ sich wiederum vereinigten. Dieses nun ist gewest/ das angenehme Spielen und Thierzäumen unsers Orpheussen; inmassen Virgilius/ in einem Epigrammate, gleichfalls bezeuget. Also verstehet es auch Horatius/ in seiner Dicht-Kunst/ wann er in Ansehung dessen saget:

Der Wunder-Harffenist/ der Orpheus/
welcher hiesse

der Götter Dolmetsch/ und sich Klug
in Sitten wiese/

hat erst das rohe Volck die Sitten-Zucht
gelehret

von Mord und Grausamkeit sie zur Ver-
nunfft bekehret/

Daß sie die Erbarkeit begunten neu zu
lieben

und nicht mehr Mörderey/ noch wilde Weiß
zu üben:

Daß heisst der Löwen Grimm/ und Tieger-
arten Zähmen/

durch süsses Seitenspiel/ die saure Wuht
benehmen/

das heisst die Stein bewegt/ durch wolbe-
redte Zungen

wann der Poeten Kehl Gesetze vorgesun-
gen.

In Summa/ durch Weisheit und Wolredenheit/ [Spaltenumbruch] welche/ durch den Orpheus/ und sein Seiten-Spiel angewiesen oder bezeichnet sind/ werden/ damit wir den Verstand kürtzlich darlegen/ gezämet und zu deroselben Nachfolge erwecket Menschen von unterschiedlichen Neigungen. Durch die Bäume/ so zu ihm kamen/ oder ihme nachfolgten/ werden verstanden diejenige/ so in ihrer falschen Meinung tieff eingewurtzelt sind; durch die Flüsse/ die unbeständige und unkeusche/ welche/ wann sie durch Weisheit nicht verhindert oder bekehret werden/ muthwillig in das Unglücks- und Verderbens-Meer/ dahinein sie solch Leben leitet und führet/ sich zu stürtzen pflegen: Durch Löwen und Tieger/ die Grausame. Durch Füchse/ die betriegliche: und so fort an. Gleicher Gestalt soll Orpheus der erste gewest seyn/ welcher die sieben Leyer-Saiten/ nach der Zahl der sieben Planeten/ eingerichtet/ und in ihre rechte Maß und Höhe zwingen lernen. Er war so überaus künstlich und beredt/ daß er der Menschen niedergeschlagene beängstigte und verzweiffelte Gemühter wunderlich wieder aufrichten/ und sie/ nachdem er die Unruhen und Empörungen ihrer Sinnen und Verstandes gestillet hatte/ wiederum in den vorigen/ friedlichen/ ruhig- und frölichen Stand gebracht. Wer dieses thun/ und zu Wege bringen kan/ ist gewißlich ein sehr tapfferer Mann/ und deme weit vorzuziehen/ so niemanden denn nur ihme selbst lebet. Nachdem nun Orpheus die Hölle/ oder Kümmernusse/ und Empörungen des Geistes/ befriedigt hatte; versuchte er die Eurydice/ welche/ wie ihr Name mit sich bringet/ anders nichts ist/ dann das Recht und die Gerechtigkeit/ in die Welt zu bringen. Sie aber sanck/ durch die ungedultige Liebe des Orpheus/ wiederum hinab in die Hölle; Weil man das Recht nicht allzu genau/ zu scharff/ noch zu ungestümlich suchen darff: Sintemal die Unruh und Empörung des Gemühts/ am füglichsten durch red- und leutseliges Zusprechen sich besänfftigen und stillen lässt. Dann hierinnen gar zu eiferig/ oder allzunachlässig seyn/ den Menschen zuruck weichen machet. Zumalen auch/ zugelassenen ehrlichen Begierden allzu sehr nachzuhängen/ des Menschen Gemühte grosse Bekümmernussen verursachen kan. Und pflegen die/ so ihren Lüsten und Begierden raum geben oder nachhängen/ öffters in schwere Versuchungen/ Kümmernüsse und schädliche Ungefälle zu gerahten. Also wird uns/ mit dem Orpheus/ angewiesen/ die Begierden unserer Seelen zu mässigen/ und daß wir kein Ding auf der Welt mit allzu-feurigem Gemühte/ begehren oder suchen sollen. Einige legen es also aus: Eurydice sey die Seele/ welche geehlicht oder vereinigt mit dem Orpheus/ das ist/ dem Leibe/ in den Aristäus/ oder in das höchste Gut/ verliebt sey: Allein sie fliehe vor ihm/ durch Kräuter und Blumen/ das ist/ durch die Wollüste dieser Welt/ und werde gebissen von der Schlange böser Gewohnheit/ so darinnen verborgen ligt/ worvon sie in die Hölle des unruhigen bösen Lebens sincke: Aus welchem sie/ anderer Gestalt/ schwerlich wiederum können geruffen oder gezogen werden/ als/ durch den süssen Thon der rechten wahren Weisheits-Lehre/ und unter dem Bedinge/ sich nicht/ wieder umzusehen/ sondern/ daß der Leib der gesunden Vernunfft/ wie

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[[Metamorphosis, S. 118]/0294] heissen/ in der Welt anders nichts/ dann ein schädlichs Ubel sey. Dieweil nun viel hierauf die Weiber begonnen unwehrt zu haben/ auch keine Heyraht eingehen wollen/ hätten sich die Weiber/ an dem armen Orpheus gerochen/ und unter dem Schein als ob sie dem Bachus opffern wolten/ denselben in Stücken zerrissen. Andere Ursachen gehen wir alhier wissendlich vorbey: in Betrachtung/ die Erzehlungen alter Dinge auf mancherley Art zu fallen pflegen/ und zwar um so viel mehr/ weil die Poeten ihre Gedichte auf viel Geschichte gegründet haben. Orpheus wird genannt ein Sohn des Apollo/ und der Calliope/ oder Polymnia/ dieweil er/ in der Wolredenheits-Kunst/ und sonderlich den Gedichten/ sehr geübt und erfahren war/ und man damaliger Zeit alle ehrliche und löbliche Männer/ Kinder-Gottes nennte: In Meinung/ daß die Seelen solcher durchleuchtigen Männer/ aus einem himmlischen Zeichen/ insonderheit der Sonnen/ in ihre Leiber hernieder kommen wären. Er hat allda zu Lande das gantz rohe und bestialische Volck/ vermittelst seiner Wolredenheit/ und angenehmer Gespräch/ zu einer höfflichern/ und dem Menschen anständigern Lebensart gebracht/ sie Häuser und Stäte bauen lehren/ burgerlichen Sitten gehorsamen/ und den Ehestand nach gewissen Regulen zu unterhalten. Dann dieses war vor Alters das Amt und die Verrichtung der Poeten: Welche waren weise/ erbare/ und ernsthaffte Männer/ die denen Grossen oder Mächtigen in Hoffnung der Geschencke nicht heuchelten: Daher auch ihre Verse und Gedichte für heilige Gesetze/ und Göttliche Geheimnüsse gehalten wurden: Also daß/ wann die Städte gegen einander in Uneinigkeit stunden/ sie auf das Gedicht eines Poeten/ als vortrefflichen/ vollkommenen/ gerechten Richters/ sich wiederum vereinigten. Dieses nun ist gewest/ das angenehme Spielen und Thierzäumen unsers Orpheussen; inmassen Virgilius/ in einem Epigrammate, gleichfalls bezeuget. Also verstehet es auch Horatius/ in seiner Dicht-Kunst/ wann er in Ansehung dessen saget: Geschichtliche Auslegung auf den Orpheus. Der Wunder-Harffenist/ der Orpheus/ welcher hiesse der Götter Dolmetsch/ und sich Klug in Sitten wiese/ hat erst das rohe Volck die Sitten-Zucht gelehret von Mord und Grausamkeit sie zur Ver- nunfft bekehret/ Daß sie die Erbarkeit begunten neu zu lieben und nicht mehr Mörderey/ noch wilde Weiß zu üben: Daß heisst der Löwen Grimm/ und Tieger- arten Zähmen/ durch süsses Seitenspiel/ die saure Wuht benehmen/ das heisst die Stein bewegt/ durch wolbe- redte Zungen wann der Poeten Kehl Gesetze vorgesun- gen. In Summa/ durch Weisheit und Wolredenheit/ welche/ durch den Orpheus/ und sein Seiten-Spiel angewiesen oder bezeichnet sind/ werden/ damit wir den Verstand kürtzlich darlegen/ gezämet und zu deroselben Nachfolge erwecket Menschen von unterschiedlichen Neigungen. Durch die Bäume/ so zu ihm kamen/ oder ihme nachfolgten/ werden verstanden diejenige/ so in ihrer falschen Meinung tieff eingewurtzelt sind; durch die Flüsse/ die unbeständige und unkeusche/ welche/ wann sie durch Weisheit nicht verhindert oder bekehret werden/ muthwillig in das Unglücks- und Verderbens-Meer/ dahinein sie solch Leben leitet und führet/ sich zu stürtzen pflegen: Durch Löwen und Tieger/ die Grausame. Durch Füchse/ die betriegliche: und so fort an. Gleicher Gestalt soll Orpheus der erste gewest seyn/ welcher die sieben Leyer-Saiten/ nach der Zahl der sieben Planeten/ eingerichtet/ und in ihre rechte Maß und Höhe zwingen lernen. Er war so überaus künstlich und beredt/ daß er der Menschen niedergeschlagene beängstigte und verzweiffelte Gemühter wunderlich wieder aufrichten/ und sie/ nachdem er die Unruhen und Empörungen ihrer Sinnen und Verstandes gestillet hatte/ wiederum in den vorigen/ friedlichen/ ruhig- und frölichen Stand gebracht. Wer dieses thun/ und zu Wege bringen kan/ ist gewißlich ein sehr tapfferer Mann/ und deme weit vorzuziehen/ so niemanden denn nur ihme selbst lebet. Nachdem nun Orpheus die Hölle/ oder Kümmernusse/ und Empörungen des Geistes/ befriedigt hatte; versuchte er die Eurydice/ welche/ wie ihr Name mit sich bringet/ anders nichts ist/ dann das Recht und die Gerechtigkeit/ in die Welt zu bringen. Sie aber sanck/ durch die ungedultige Liebe des Orpheus/ wiederum hinab in die Hölle; Weil man das Recht nicht allzu genau/ zu scharff/ noch zu ungestümlich suchen darff: Sintemal die Unruh und Empörung des Gemühts/ am füglichsten durch red- und leutseliges Zusprechen sich besänfftigen und stillen lässt. Dann hierinnen gar zu eiferig/ oder allzunachlässig seyn/ den Menschen zuruck weichen machet. Zumalen auch/ zugelassenen ehrlichen Begierden allzu sehr nachzuhängen/ des Menschen Gemühte grosse Bekümmernussen verursachen kan. Und pflegen die/ so ihren Lüsten und Begierden raum geben oder nachhängen/ öffters in schwere Versuchungen/ Kümmernüsse und schädliche Ungefälle zu gerahten. Also wird uns/ mit dem Orpheus/ angewiesen/ die Begierden unserer Seelen zu mässigen/ und daß wir kein Ding auf der Welt mit allzu-feurigem Gemühte/ begehren oder suchen sollen. Einige legen es also aus: Eurydice sey die Seele/ welche geehlicht oder vereinigt mit dem Orpheus/ das ist/ dem Leibe/ in den Aristäus/ oder in das höchste Gut/ verliebt sey: Allein sie fliehe vor ihm/ durch Kräuter und Blumen/ das ist/ durch die Wollüste dieser Welt/ und werde gebissen von der Schlange böser Gewohnheit/ so darinnen verborgen ligt/ worvon sie in die Hölle des unruhigen bösen Lebens sincke: Aus welchem sie/ anderer Gestalt/ schwerlich wiederum können geruffen oder gezogen werden/ als/ durch den süssen Thon der rechten wahren Weisheits-Lehre/ und unter dem Bedinge/ sich nicht/ wieder umzusehen/ sondern/ daß der Leib der gesunden Vernunfft/ wie

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Zitationshilfe: Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 2,3. Nürnberg, 1679, S. [Metamorphosis, S. 118]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sandrart_academie0203_1679/294>, abgerufen am 25.11.2024.