Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 2,3. Nürnberg, 1679.[Spaltenumbruch] heissen/ in der Welt anders nichts/ dann ein schädlichs Ubel sey. Dieweil nun viel hierauf die Weiber begonnen unwehrt zu haben/ auch keine Heyraht eingehen wollen/ hätten sich die Weiber/ an dem armen Orpheus gerochen/ und unter dem Schein als ob sie dem Bachus opffern wolten/ denselben in Stücken zerrissen. Andere Ursachen gehen wir alhier wissendlich vorbey: in Betrachtung/ die Erzehlungen alter Dinge auf mancherley Art zu fallen pflegen/ und zwar um so viel mehr/ weil die Poeten Geschichtliche Auslegung auf den Orpheus. ihre Gedichte auf viel Geschichte gegründet haben. Orpheus wird genannt ein Sohn des Apollo/ und der Calliope/ oder Polymnia/ dieweil er/ in der Wolredenheits-Kunst/ und sonderlich den Gedichten/ sehr geübt und erfahren war/ und man damaliger Zeit alle ehrliche und löbliche Männer/ Kinder-Gottes nennte: In Meinung/ daß die Seelen solcher durchleuchtigen Männer/ aus einem himmlischen Zeichen/ insonderheit der Sonnen/ in ihre Leiber hernieder kommen wären. Er hat allda zu Lande das gantz rohe und bestialische Volck/ vermittelst seiner Wolredenheit/ und angenehmer Gespräch/ zu einer höfflichern/ und dem Menschen anständigern Lebensart gebracht/ sie Häuser und Stäte bauen lehren/ burgerlichen Sitten gehorsamen/ und den Ehestand nach gewissen Regulen zu unterhalten. Dann dieses war vor Alters das Amt und die Verrichtung der Poeten: Welche waren weise/ erbare/ und ernsthaffte Männer/ die denen Grossen oder Mächtigen in Hoffnung der Geschencke nicht heuchelten: Daher auch ihre Verse und Gedichte für heilige Gesetze/ und Göttliche Geheimnüsse gehalten wurden: Also daß/ wann die Städte gegen einander in Uneinigkeit stunden/ sie auf das Gedicht eines Poeten/ als vortrefflichen/ vollkommenen/ gerechten Richters/ sich wiederum vereinigten. Dieses nun ist gewest/ das angenehme Spielen und Thierzäumen unsers Orpheussen; inmassen Virgilius/ in einem Epigrammate, gleichfalls bezeuget. Also verstehet es auch Horatius/ in seiner Dicht-Kunst/ wann er in Ansehung dessen saget: Der Wunder-Harffenist/ der Orpheus/ welcher hiesse der Götter Dolmetsch/ und sich Klug in Sitten wiese/ hat erst das rohe Volck die Sitten-Zucht gelehret von Mord und Grausamkeit sie zur Ver- nunfft bekehret/ Daß sie die Erbarkeit begunten neu zu lieben und nicht mehr Mörderey/ noch wilde Weiß zu üben: Daß heisst der Löwen Grimm/ und Tieger- arten Zähmen/ durch süsses Seitenspiel/ die saure Wuht benehmen/ das heisst die Stein bewegt/ durch wolbe- redte Zungen wann der Poeten Kehl Gesetze vorgesun- gen. In Summa/ durch Weisheit und Wolredenheit/ [Spaltenumbruch] welche/ durch den Orpheus/ und sein Seiten-Spiel angewiesen oder bezeichnet sind/ werden/ damit wir den Verstand kürtzlich darlegen/ gezämet und zu deroselben Nachfolge erwecket Menschen von unterschiedlichen Neigungen. Durch die Bäume/ so zu ihm kamen/ oder ihme nachfolgten/ werden verstanden diejenige/ so in ihrer falschen Meinung tieff eingewurtzelt sind; durch die Flüsse/ die unbeständige und unkeusche/ welche/ wann sie durch Weisheit nicht verhindert oder bekehret werden/ muthwillig in das Unglücks- und Verderbens-Meer/ dahinein sie solch Leben leitet und führet/ sich zu stürtzen pflegen: Durch Löwen und Tieger/ die Grausame. Durch Füchse/ die betriegliche: und so fort an. Gleicher Gestalt soll Orpheus der erste gewest seyn/ welcher die sieben Leyer-Saiten/ nach der Zahl der sieben Planeten/ eingerichtet/ und in ihre rechte Maß und Höhe zwingen lernen. Er war so überaus künstlich und beredt/ daß er der Menschen niedergeschlagene beängstigte und verzweiffelte Gemühter wunderlich wieder aufrichten/ und sie/ nachdem er die Unruhen und Empörungen ihrer Sinnen und Verstandes gestillet hatte/ wiederum in den vorigen/ friedlichen/ ruhig- und frölichen Stand gebracht. Wer dieses thun/ und zu Wege bringen kan/ ist gewißlich ein sehr tapfferer Mann/ und deme weit vorzuziehen/ so niemanden denn nur ihme selbst lebet. Nachdem nun Orpheus die Hölle/ oder Kümmernusse/ und Empörungen des Geistes/ befriedigt hatte; versuchte er die Eurydice/ welche/ wie ihr Name mit sich bringet/ anders nichts ist/ dann das Recht und die Gerechtigkeit/ in die Welt zu bringen. Sie aber sanck/ durch die ungedultige Liebe des Orpheus/ wiederum hinab in die Hölle; Weil man das Recht nicht allzu genau/ zu scharff/ noch zu ungestümlich suchen darff: Sintemal die Unruh und Empörung des Gemühts/ am füglichsten durch red- und leutseliges Zusprechen sich besänfftigen und stillen lässt. Dann hierinnen gar zu eiferig/ oder allzunachlässig seyn/ den Menschen zuruck weichen machet. Zumalen auch/ zugelassenen ehrlichen Begierden allzu sehr nachzuhängen/ des Menschen Gemühte grosse Bekümmernussen verursachen kan. Und pflegen die/ so ihren Lüsten und Begierden raum geben oder nachhängen/ öffters in schwere Versuchungen/ Kümmernüsse und schädliche Ungefälle zu gerahten. Also wird uns/ mit dem Orpheus/ angewiesen/ die Begierden unserer Seelen zu mässigen/ und daß wir kein Ding auf der Welt mit allzu-feurigem Gemühte/ begehren oder suchen sollen. Einige legen es also aus: Eurydice sey die Seele/ welche geehlicht oder vereinigt mit dem Orpheus/ das ist/ dem Leibe/ in den Aristäus/ oder in das höchste Gut/ verliebt sey: Allein sie fliehe vor ihm/ durch Kräuter und Blumen/ das ist/ durch die Wollüste dieser Welt/ und werde gebissen von der Schlange böser Gewohnheit/ so darinnen verborgen ligt/ worvon sie in die Hölle des unruhigen bösen Lebens sincke: Aus welchem sie/ anderer Gestalt/ schwerlich wiederum können geruffen oder gezogen werden/ als/ durch den süssen Thon der rechten wahren Weisheits-Lehre/ und unter dem Bedinge/ sich nicht/ wieder umzusehen/ sondern/ daß der Leib der gesunden Vernunfft/ wie [Spaltenumbruch] heissen/ in der Welt anders nichts/ dann ein schädlichs Ubel sey. Dieweil nun viel hierauf die Weiber begonnen unwehrt zu haben/ auch keine Heyraht eingehen wollen/ hätten sich die Weiber/ an dem armen Orpheus gerochen/ und unter dem Schein als ob sie dem Bachus opffern wolten/ denselben in Stücken zerrissen. Andere Ursachen gehen wir alhier wissendlich vorbey: in Betrachtung/ die Erzehlungen alter Dinge auf mancherley Art zu fallen pflegen/ und zwar um so viel mehr/ weil die Poeten Geschichtliche Auslegung auf den Orpheus. ihre Gedichte auf viel Geschichte gegründet haben. Orpheus wird genannt ein Sohn des Apollo/ und der Calliope/ oder Polymnia/ dieweil er/ in der Wolredenheits-Kunst/ und sonderlich den Gedichten/ sehr geübt und erfahren war/ und man damaliger Zeit alle ehrliche und löbliche Männer/ Kinder-Gottes nennte: In Meinung/ daß die Seelen solcher durchleuchtigen Männer/ aus einem himmlischen Zeichen/ insonderheit der Sonnen/ in ihre Leiber hernieder kommen wären. Er hat allda zu Lande das gantz rohe und bestialische Volck/ vermittelst seiner Wolredenheit/ und angenehmer Gespräch/ zu einer höfflichern/ und dem Menschen anständigern Lebensart gebracht/ sie Häuser und Stäte bauen lehren/ burgerlichen Sitten gehorsamen/ und den Ehestand nach gewissen Regulen zu unterhalten. Dann dieses war vor Alters das Amt und die Verrichtung der Poeten: Welche waren weise/ erbare/ und ernsthaffte Männer/ die denen Grossen oder Mächtigen in Hoffnung der Geschencke nicht heuchelten: Daher auch ihre Verse und Gedichte für heilige Gesetze/ und Göttliche Geheimnüsse gehalten wurden: Also daß/ wann die Städte gegen einander in Uneinigkeit stunden/ sie auf das Gedicht eines Poeten/ als vortrefflichen/ vollkommenen/ gerechten Richters/ sich wiederum vereinigten. Dieses nun ist gewest/ das angenehme Spielen und Thierzäumen unsers Orpheussen; inmassen Virgilius/ in einem Epigrammate, gleichfalls bezeuget. Also verstehet es auch Horatius/ in seiner Dicht-Kunst/ wann er in Ansehung dessen saget: Der Wunder-Harffenist/ der Orpheus/ welcher hiesse der Götter Dolmetsch/ und sich Klug in Sitten wiese/ hat erst das rohe Volck die Sitten-Zucht gelehret von Mord und Grausamkeit sie zur Ver- nunfft bekehret/ Daß sie die Erbarkeit begunten neu zu lieben und nicht mehr Mörderey/ noch wilde Weiß zu üben: Daß heisst der Löwen Grimm/ und Tieger- arten Zähmen/ durch süsses Seitenspiel/ die saure Wuht benehmen/ das heisst die Stein bewegt/ durch wolbe- redte Zungen wann der Poeten Kehl Gesetze vorgesun- gen. In Summa/ durch Weisheit und Wolredenheit/ [Spaltenumbruch] welche/ durch den Orpheus/ und sein Seiten-Spiel angewiesen oder bezeichnet sind/ werden/ damit wir den Verstand kürtzlich darlegen/ gezämet und zu deroselben Nachfolge erwecket Menschen von unterschiedlichen Neigungen. Durch die Bäume/ so zu ihm kamen/ oder ihme nachfolgten/ werden verstanden diejenige/ so in ihrer falschen Meinung tieff eingewurtzelt sind; durch die Flüsse/ die unbeständige und unkeusche/ welche/ wann sie durch Weisheit nicht verhindert oder bekehret werden/ muthwillig in das Unglücks- und Verderbens-Meer/ dahinein sie solch Leben leitet und führet/ sich zu stürtzen pflegen: Durch Löwen und Tieger/ die Grausame. Durch Füchse/ die betriegliche: und so fort an. Gleicher Gestalt soll Orpheus der erste gewest seyn/ welcher die sieben Leyer-Saiten/ nach der Zahl der sieben Planeten/ eingerichtet/ und in ihre rechte Maß und Höhe zwingen lernen. Er war so überaus künstlich und beredt/ daß er der Menschen niedergeschlagene beängstigte und verzweiffelte Gemühter wunderlich wieder aufrichten/ und sie/ nachdem er die Unruhen und Empörungen ihrer Sinnen und Verstandes gestillet hatte/ wiederum in den vorigen/ friedlichen/ ruhig- und frölichen Stand gebracht. Wer dieses thun/ und zu Wege bringen kan/ ist gewißlich ein sehr tapfferer Mann/ und deme weit vorzuziehen/ so niemanden denn nur ihme selbst lebet. Nachdem nun Orpheus die Hölle/ oder Kümmernusse/ und Empörungen des Geistes/ befriedigt hatte; versuchte er die Eurydice/ welche/ wie ihr Name mit sich bringet/ anders nichts ist/ dann das Recht und die Gerechtigkeit/ in die Welt zu bringen. Sie aber sanck/ durch die ungedultige Liebe des Orpheus/ wiederum hinab in die Hölle; Weil man das Recht nicht allzu genau/ zu scharff/ noch zu ungestümlich suchen darff: Sintemal die Unruh und Empörung des Gemühts/ am füglichsten durch red- und leutseliges Zusprechen sich besänfftigen und stillen lässt. Dann hierinnen gar zu eiferig/ oder allzunachlässig seyn/ den Menschen zuruck weichen machet. Zumalen auch/ zugelassenen ehrlichen Begierden allzu sehr nachzuhängen/ des Menschen Gemühte grosse Bekümmernussen verursachen kan. Und pflegen die/ so ihren Lüsten und Begierden raum geben oder nachhängen/ öffters in schwere Versuchungen/ Kümmernüsse und schädliche Ungefälle zu gerahten. Also wird uns/ mit dem Orpheus/ angewiesen/ die Begierden unserer Seelen zu mässigen/ und daß wir kein Ding auf der Welt mit allzu-feurigem Gemühte/ begehren oder suchen sollen. Einige legen es also aus: Eurydice sey die Seele/ welche geehlicht oder vereinigt mit dem Orpheus/ das ist/ dem Leibe/ in den Aristäus/ oder in das höchste Gut/ verliebt sey: Allein sie fliehe vor ihm/ durch Kräuter und Blumen/ das ist/ durch die Wollüste dieser Welt/ und werde gebissen von der Schlange böser Gewohnheit/ so darinnen verborgen ligt/ worvon sie in die Hölle des unruhigen bösen Lebens sincke: Aus welchem sie/ anderer Gestalt/ schwerlich wiederum können geruffen oder gezogen werden/ als/ durch den süssen Thon der rechten wahren Weisheits-Lehre/ und unter dem Bedinge/ sich nicht/ wieder umzusehen/ sondern/ daß der Leib der gesunden Vernunfft/ wie <TEI> <text> <body> <div> <div> <div> <p><pb facs="#f0294" xml:id="pb-1241" n="[Metamorphosis, S. 118]"/><cb/> heissen/ in der Welt anders nichts/ dann ein schädlichs Ubel sey. 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Er hat allda zu Lande das gantz rohe und bestialische Volck/ vermittelst seiner Wolredenheit/ und angenehmer Gespräch/ zu einer höfflichern/ und dem Menschen anständigern Lebensart gebracht/ sie Häuser und Stäte bauen lehren/ burgerlichen Sitten gehorsamen/ und den Ehestand nach gewissen Regulen zu unterhalten. Dann dieses war vor Alters das Amt und die Verrichtung der Poeten: Welche waren weise/ erbare/ und ernsthaffte Männer/ die denen Grossen oder Mächtigen in Hoffnung der Geschencke nicht heuchelten: Daher auch ihre Verse und Gedichte für heilige Gesetze/ und Göttliche Geheimnüsse gehalten wurden: Also daß/ wann die Städte gegen einander in Uneinigkeit stunden/ sie auf das Gedicht eines Poeten/ als vortrefflichen/ vollkommenen/ gerechten Richters/ sich wiederum vereinigten. 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Er war so überaus künstlich und beredt/ daß er der Menschen niedergeschlagene beängstigte und verzweiffelte Gemühter wunderlich wieder aufrichten/ und sie/ nachdem er die Unruhen und Empörungen ihrer Sinnen und Verstandes gestillet hatte/ wiederum in den vorigen/ friedlichen/ ruhig- und frölichen Stand gebracht. Wer dieses thun/ und zu Wege bringen kan/ ist gewißlich ein sehr tapfferer Mann/ und deme weit vorzuziehen/ so niemanden denn nur ihme selbst lebet. Nachdem nun <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-532 http://d-nb.info/gnd/118590278 http://viaf.org/viaf/27213508">Orpheus</persName> die Hölle/ oder Kümmernusse/ und Empörungen des Geistes/ befriedigt hatte; versuchte er die <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-1818 http://d-nb.info/gnd/119507706 http://viaf.org/viaf/42649968">Eurydice</persName>/ welche/ wie ihr Name mit sich bringet/ anders nichts ist/ dann das Recht und die Gerechtigkeit/ in die Welt zu bringen. Sie aber sanck/ durch die ungedultige Liebe des <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-532 http://d-nb.info/gnd/118590278 http://viaf.org/viaf/27213508">Orpheus</persName>/ wiederum hinab in die Hölle; Weil man das Recht nicht allzu genau/ zu scharff/ noch zu ungestümlich suchen darff: Sintemal die Unruh und Empörung des Gemühts/ am füglichsten durch red- und leutseliges Zusprechen sich besänfftigen und stillen lässt. Dann hierinnen gar zu eiferig/ oder allzunachlässig seyn/ den Menschen zuruck weichen machet. Zumalen auch/ zugelassenen ehrlichen Begierden allzu sehr nachzuhängen/ des Menschen Gemühte grosse Bekümmernussen verursachen kan. Und pflegen die/ so ihren Lüsten und Begierden raum geben oder nachhängen/ öffters in schwere Versuchungen/ Kümmernüsse und schädliche Ungefälle zu gerahten. Also wird uns/ mit dem <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-532 http://d-nb.info/gnd/118590278 http://viaf.org/viaf/27213508">Orpheus</persName>/ angewiesen/ die Begierden unserer Seelen zu mässigen/ und daß wir kein Ding auf der Welt mit allzu-feurigem Gemühte/ begehren oder suchen sollen. Einige legen es also aus: <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-1818 http://d-nb.info/gnd/119507706 http://viaf.org/viaf/42649968">Eurydice</persName> sey die Seele/ welche geehlicht oder vereinigt mit dem <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-532 http://d-nb.info/gnd/118590278 http://viaf.org/viaf/27213508">Orpheus</persName>/ das ist/ dem Leibe/ in den <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-2497">Aristäus</persName>/ oder in das höchste Gut/ verliebt sey: Allein sie fliehe vor ihm/ durch Kräuter und Blumen/ das ist/ durch die Wollüste dieser Welt/ und werde gebissen von der Schlange böser Gewohnheit/ so darinnen verborgen ligt/ worvon sie in die Hölle des unruhigen bösen Lebens sincke: Aus welchem sie/ anderer Gestalt/ schwerlich wiederum können geruffen oder gezogen werden/ als/ durch den süssen Thon der rechten wahren Weisheits-Lehre/ und unter dem Bedinge/ sich nicht/ wieder umzusehen/ sondern/ daß der Leib der gesunden Vernunfft/ wie </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [[Metamorphosis, S. 118]/0294]
heissen/ in der Welt anders nichts/ dann ein schädlichs Ubel sey. Dieweil nun viel hierauf die Weiber begonnen unwehrt zu haben/ auch keine Heyraht eingehen wollen/ hätten sich die Weiber/ an dem armen Orpheus gerochen/ und unter dem Schein als ob sie dem Bachus opffern wolten/ denselben in Stücken zerrissen. Andere Ursachen gehen wir alhier wissendlich vorbey: in Betrachtung/ die Erzehlungen alter Dinge auf mancherley Art zu fallen pflegen/ und zwar um so viel mehr/ weil die Poeten ihre Gedichte auf viel Geschichte gegründet haben. Orpheus wird genannt ein Sohn des Apollo/ und der Calliope/ oder Polymnia/ dieweil er/ in der Wolredenheits-Kunst/ und sonderlich den Gedichten/ sehr geübt und erfahren war/ und man damaliger Zeit alle ehrliche und löbliche Männer/ Kinder-Gottes nennte: In Meinung/ daß die Seelen solcher durchleuchtigen Männer/ aus einem himmlischen Zeichen/ insonderheit der Sonnen/ in ihre Leiber hernieder kommen wären. Er hat allda zu Lande das gantz rohe und bestialische Volck/ vermittelst seiner Wolredenheit/ und angenehmer Gespräch/ zu einer höfflichern/ und dem Menschen anständigern Lebensart gebracht/ sie Häuser und Stäte bauen lehren/ burgerlichen Sitten gehorsamen/ und den Ehestand nach gewissen Regulen zu unterhalten. Dann dieses war vor Alters das Amt und die Verrichtung der Poeten: Welche waren weise/ erbare/ und ernsthaffte Männer/ die denen Grossen oder Mächtigen in Hoffnung der Geschencke nicht heuchelten: Daher auch ihre Verse und Gedichte für heilige Gesetze/ und Göttliche Geheimnüsse gehalten wurden: Also daß/ wann die Städte gegen einander in Uneinigkeit stunden/ sie auf das Gedicht eines Poeten/ als vortrefflichen/ vollkommenen/ gerechten Richters/ sich wiederum vereinigten. Dieses nun ist gewest/ das angenehme Spielen und Thierzäumen unsers Orpheussen; inmassen Virgilius/ in einem Epigrammate, gleichfalls bezeuget. Also verstehet es auch Horatius/ in seiner Dicht-Kunst/ wann er in Ansehung dessen saget:
Geschichtliche Auslegung auf den Orpheus. Der Wunder-Harffenist/ der Orpheus/
welcher hiesse
der Götter Dolmetsch/ und sich Klug
in Sitten wiese/
hat erst das rohe Volck die Sitten-Zucht
gelehret
von Mord und Grausamkeit sie zur Ver-
nunfft bekehret/
Daß sie die Erbarkeit begunten neu zu
lieben
und nicht mehr Mörderey/ noch wilde Weiß
zu üben:
Daß heisst der Löwen Grimm/ und Tieger-
arten Zähmen/
durch süsses Seitenspiel/ die saure Wuht
benehmen/
das heisst die Stein bewegt/ durch wolbe-
redte Zungen
wann der Poeten Kehl Gesetze vorgesun-
gen.
In Summa/ durch Weisheit und Wolredenheit/
welche/ durch den Orpheus/ und sein Seiten-Spiel angewiesen oder bezeichnet sind/ werden/ damit wir den Verstand kürtzlich darlegen/ gezämet und zu deroselben Nachfolge erwecket Menschen von unterschiedlichen Neigungen. Durch die Bäume/ so zu ihm kamen/ oder ihme nachfolgten/ werden verstanden diejenige/ so in ihrer falschen Meinung tieff eingewurtzelt sind; durch die Flüsse/ die unbeständige und unkeusche/ welche/ wann sie durch Weisheit nicht verhindert oder bekehret werden/ muthwillig in das Unglücks- und Verderbens-Meer/ dahinein sie solch Leben leitet und führet/ sich zu stürtzen pflegen: Durch Löwen und Tieger/ die Grausame. Durch Füchse/ die betriegliche: und so fort an. Gleicher Gestalt soll Orpheus der erste gewest seyn/ welcher die sieben Leyer-Saiten/ nach der Zahl der sieben Planeten/ eingerichtet/ und in ihre rechte Maß und Höhe zwingen lernen. Er war so überaus künstlich und beredt/ daß er der Menschen niedergeschlagene beängstigte und verzweiffelte Gemühter wunderlich wieder aufrichten/ und sie/ nachdem er die Unruhen und Empörungen ihrer Sinnen und Verstandes gestillet hatte/ wiederum in den vorigen/ friedlichen/ ruhig- und frölichen Stand gebracht. Wer dieses thun/ und zu Wege bringen kan/ ist gewißlich ein sehr tapfferer Mann/ und deme weit vorzuziehen/ so niemanden denn nur ihme selbst lebet. Nachdem nun Orpheus die Hölle/ oder Kümmernusse/ und Empörungen des Geistes/ befriedigt hatte; versuchte er die Eurydice/ welche/ wie ihr Name mit sich bringet/ anders nichts ist/ dann das Recht und die Gerechtigkeit/ in die Welt zu bringen. Sie aber sanck/ durch die ungedultige Liebe des Orpheus/ wiederum hinab in die Hölle; Weil man das Recht nicht allzu genau/ zu scharff/ noch zu ungestümlich suchen darff: Sintemal die Unruh und Empörung des Gemühts/ am füglichsten durch red- und leutseliges Zusprechen sich besänfftigen und stillen lässt. Dann hierinnen gar zu eiferig/ oder allzunachlässig seyn/ den Menschen zuruck weichen machet. Zumalen auch/ zugelassenen ehrlichen Begierden allzu sehr nachzuhängen/ des Menschen Gemühte grosse Bekümmernussen verursachen kan. Und pflegen die/ so ihren Lüsten und Begierden raum geben oder nachhängen/ öffters in schwere Versuchungen/ Kümmernüsse und schädliche Ungefälle zu gerahten. Also wird uns/ mit dem Orpheus/ angewiesen/ die Begierden unserer Seelen zu mässigen/ und daß wir kein Ding auf der Welt mit allzu-feurigem Gemühte/ begehren oder suchen sollen. Einige legen es also aus: Eurydice sey die Seele/ welche geehlicht oder vereinigt mit dem Orpheus/ das ist/ dem Leibe/ in den Aristäus/ oder in das höchste Gut/ verliebt sey: Allein sie fliehe vor ihm/ durch Kräuter und Blumen/ das ist/ durch die Wollüste dieser Welt/ und werde gebissen von der Schlange böser Gewohnheit/ so darinnen verborgen ligt/ worvon sie in die Hölle des unruhigen bösen Lebens sincke: Aus welchem sie/ anderer Gestalt/ schwerlich wiederum können geruffen oder gezogen werden/ als/ durch den süssen Thon der rechten wahren Weisheits-Lehre/ und unter dem Bedinge/ sich nicht/ wieder umzusehen/ sondern/ daß der Leib der gesunden Vernunfft/ wie
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