Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 1,1. Nürnberg, 1675.[Spaltenumbruch] auch die Arme/ Schenkel/ Hände und Füsse/ samt allen Gliedern/ einen alten abgematteten Leib vorstellen/ ingleichen des ganzen Bilds Musculen/ Nerven und Aderen gerecht und förmlich an gebürendem Ort exprimirt werden. Hingegen wann man das Angesicht eines jungen Menschen ausbildet/ sollen die Figuren rund/ glatt/ zart und anmutig von Gestalt seyn. Kurz: aller Bilder Gliedmaßen müssen nach ihrem Geschlecht/ Alter und Natur-Art/ in allen Theilen/ mit einander concordiren/ und der Bildhauer mus ihm das jenige/ was er bilden will/ in der Einbildung allerdings vorstellen: damit er alle dessen Eigenschaften und Zufälligkeiten leib- und lebhaftig vorstellen möge. Gewand und Kleider des Bildes. Wann das Bild soll bekleidet seyn/ mus er das Gewand nicht zu dünn und trucken anlegen/ doch auch nicht so grob machen/ daß es für einen Stein möchte angesehen werden: sondern er mus/ mit dessen Falten den Leib dergestalt umgeben/ daß das nackende darunter zuweilen erkäntlich seye/ zuweilen aber Kunst-zierlich verborgen werde/ ohne Härtigkeit/ welche des Bildes Gliedmaßen verstellen kan. Es wird hievon zwar ein mehrers/ bey der Pictura, gemeldet. Nachdem aber die Antichen uns dieses/ wie die Bilder gewandt und bekleidet sollen werden/ auch derer bästen Wolstand/ nach Art und Weise/ wie die in der Bildhauerey zu gebrauchen/ in den Statuen vortrefflichst angewisen/ auch kein bässeres Exempel zu erkiesen: als habe/ zu mehrer Erklärung dessen/ in folgenden Kupferplatten/ die antiche Statuen der Minerva, Flora, Cleopatra, Sibylla Cumana, und andere/ die allerberühmtesten in dieser materie, als eine wahre und einige Lehr-Schul/ hierbey legen Bart und Haare. wollen. Die Haare und der Bart müssen mit Büschlein großachtiger Flocken/ jedoch mit anmutiger Sanftigkeit/gemacht/ auch krauslicht und angenehm gestreimet werden/ so viel der Meißel von Lieblichkeit zuweg bringen kan: und weil die Bildhauer nicht ganz vollkommlich die Natur erreichen können/ als sollen sie mehr die schöne zierliche Manier/ als die einfaltige Natur/ in den Haaren beobachten. Wann die bekleideten Figuren auch Hände und Füße vonnöten haben/ müßen solche/ wie andere schöne Theile/ zierlich zuweg gebracht werden. Das Bild mus auf allen Seiten perfect seyn. Ferner/ weil die Bilder rund-um besehen werden/ so sollen sie vorwarts/ im profil, und ruckwarts/ von gleicher Proportion und Perfection seyn: damit sie/ wann man sie auf allen Seiten besihet/ in gleich-guter disposition und aller correspondenz befunden werden/ und neben der Wol-Zeichnung/ auch der Actitudi Zier/ Vernunft und Fleiß hervorscheine/ welches dann die Kunst und den Verstand des Meisters zu Tag bringet. Sollen demnach alle erhobne und gemahlte Figuren/ mehr mit dem Verstand/ als mit der Hand/ verfärtigt werden. Bilder in der Höhe und Ferne/ dörffen etwas keck/ Die Bilder/ so in die Höhe und Ferne sollen gesetzt werden/ weil die sonderbare Sauberkeit von Fernen nicht in acht genommen wird/ dörfen wol etwas gröber/ wie die Antichen gethan/ gehauen seyn: doch müßen/ die schöne Form der Gliedmassen/ [Spaltenumbruch] Arme/ und Füße/ auch die Falten der Kleidung/ in acht genommen werden/ weil man daraus den Verstand und Meisterschaft des Künstlers abnimmet. Derenthalben wollen die Bilder aus Marmor oder Metall/ die von weitem zu stehen kommen/ etwas keck und herzhaft angegriffen seyn/ damit die Weisse des Marmors/ und die Schwärze des Metalls/ der Kunst nichts benehme: zumal ohne das in der Ferne alles wol ausgemacht scheinet. Diese Beobachtung ist manigfaltig bey den Antichen/ so wol in runden als flachen Bildern/ besonders in denen Triumf-Bögen/ Seulen und Porten/ zu Rom/ wie auch in vielen modernen/ voraus in dem niemals genug-gepriesenen H. Andreas/ in S. Peters Kirchen daselbst/ vom du Quenois, zu ersehen ist. und müssen größer seyn Uber das ist noch zu bemerken/ daß/ wann ein Bild oder Statua soll auf einen hohen Ort gesetzt werden/ und unten her/ das Bild zu besehen/ gar ein weniges spatium bleibet/ also daß man fast gleich darunter stehen und hinaufsehen mus/ so wird dieses Bild um ein oder zwey Köpf höher seyn müssen: und das darum/ weil es/ durch des darunter stehenden Gesichts Verkürzung/ sich verlieret/ durch diese Verlängerung aber wieder zur rechten proportion kommet/ daß es kein Zwerg zu seyn scheinet. Wem aber diese Weis nicht belieblich/ der mache die Gliedmaßen nur etwas dünner und rahner/ so werden sie eben dergleichen wirken. Austheilung und Maß eines Bildes. Es pflegen aber die Bild-Künstlere ihre Figuren neun Köpfe lang zu machen/ und wird das Bild hauptsächlich in acht Theile ausgetheilet/ da die Gurgel und der Hals/ samt der Höhe des Fußes/ den neunten Theil machen: dann zwey Theile sind die Beine/ und von den Knien bis an das männliche Glied sind wieder zwey/ der Leib an sich selbst bis an das Halsgrüblein sind drey/ von dem Kien bis zu Ende der Stirn ist eines/ und die Gurgel/ samt dem untersten Knöpfel des Fußes bis auf die Solen wieder eines; von da wir die Arme an den Achseln fäst sehen/ bis zu dem fontanell, ist allerseits eines Kopfs; die Arme sind/ bis zur Faltung an der Hand/ drey Köpfe lang. Wann aber der Mensch beyde Arme ausstrecket/ reichet er eben so weit/ als er lang ist. Weil die proportion des Menschen ungleich und unterschiedlich ist/ als werden etliche viel Kupfer von unterschiedlicher proportion, die discrepanz der Maß und des Geschlechts (sexaus) betreffend/ hier beygelegt/ welche ich meist von den kunstreichsten und berühmsten antichen Statuen in Rom abgesehen/ und deren Unterschied in Gestalt und Maß in ganz genaue Acht gezogen habe. Ein kluges Aug der bäste Maß-Stab. Man soll aber/ bey diesem allen/ an die Maß des guten Urtheils der Augen sich am meisten halten: dann wann schon eine Bildnis just gemessen/ und aber den Augen misfällig ist/ so bleibet sie gleichwol veracht. Ich sage derowegen/daß/ unangesehen das Messen der Weg ist/ dadurch die Figuren zur Ordnung und proportion schreiten/ so müßen doch/ Aug und Vernunft/ das Werk führen/ demselben die proportion, Annehmlichkeit/ Zeichnung und perfection zu geben/ damit es/ als ein vernünftiges Stuck/ gelobet werde. Diese [Spaltenumbruch] auch die Arme/ Schenkel/ Hände und Füsse/ samt allen Gliedern/ einen alten abgematteten Leib vorstellen/ ingleichen des ganzen Bilds Musculen/ Nerven und Aderen gerecht und förmlich an gebürendem Ort exprimirt werden. Hingegen wann man das Angesicht eines jungen Menschen ausbildet/ sollen die Figuren rund/ glatt/ zart und anmutig von Gestalt seyn. Kurz: aller Bilder Gliedmaßen müssen nach ihrem Geschlecht/ Alter und Natur-Art/ in allen Theilen/ mit einander concordiren/ und der Bildhauer mus ihm das jenige/ was er bilden will/ in der Einbildung allerdings vorstellen: damit er alle dessen Eigenschaften und Zufälligkeiten leib- und lebhaftig vorstellen möge. Gewand und Kleider des Bildes. Wann das Bild soll bekleidet seyn/ mus er das Gewand nicht zu dünn und trucken anlegen/ doch auch nicht so grob machen/ daß es für einen Stein möchte angesehen werden: sondern er mus/ mit dessen Falten den Leib dergestalt umgeben/ daß das nackende darunter zuweilen erkäntlich seye/ zuweilen aber Kunst-zierlich verborgen werde/ ohne Härtigkeit/ welche des Bildes Gliedmaßen verstellen kan. Es wird hievon zwar ein mehrers/ bey der Pictura, gemeldet. Nachdem aber die Antichen uns dieses/ wie die Bilder gewandt und bekleidet sollen werden/ auch derer bästen Wolstand/ nach Art und Weise/ wie die in der Bildhauerey zu gebrauchen/ in den Statuen vortrefflichst angewisen/ auch kein bässeres Exempel zu erkiesen: als habe/ zu mehrer Erklärung dessen/ in folgenden Kupferplatten/ die antiche Statuen der Minerva, Flora, Cleopatra, Sibylla Cumana, und andere/ die allerberühmtesten in dieser materie, als eine wahre und einige Lehr-Schul/ hierbey legen Bart und Haare. wollen. Die Haare und der Bart müssen mit Büschlein großachtiger Flocken/ jedoch mit anmutiger Sanftigkeit/gemacht/ auch krauslicht und angenehm gestreimet werden/ so viel der Meißel von Lieblichkeit zuweg bringen kan: und weil die Bildhauer nicht ganz vollkommlich die Natur erreichen können/ als sollen sie mehr die schöne zierliche Manier/ als die einfaltige Natur/ in den Haaren beobachten. Wann die bekleideten Figuren auch Hände und Füße vonnöten haben/ müßen solche/ wie andere schöne Theile/ zierlich zuweg gebracht werden. Das Bild mus auf allen Seiten perfect seyn. Ferner/ weil die Bilder rund-um besehen werden/ so sollen sie vorwarts/ im profil, und ruckwarts/ von gleicher Proportion und Perfection seyn: damit sie/ wann man sie auf allen Seiten besihet/ in gleich-guter disposition und aller correspondenz befunden werden/ und neben der Wol-Zeichnung/ auch der Actitudi Zier/ Vernunft und Fleiß hervorscheine/ welches dann die Kunst und den Verstand des Meisters zu Tag bringet. Sollen demnach alle erhobne und gemahlte Figuren/ mehr mit dem Verstand/ als mit der Hand/ verfärtigt werden. Bilder in der Höhe und Ferne/ dörffen etwas keck/ Die Bilder/ so in die Höhe und Ferne sollen gesetzt werden/ weil die sonderbare Sauberkeit von Fernen nicht in acht genommen wird/ dörfen wol etwas gröber/ wie die Antichen gethan/ gehauen seyn: doch müßen/ die schöne Form der Gliedmassen/ [Spaltenumbruch] Arme/ und Füße/ auch die Falten der Kleidung/ in acht genommen werden/ weil man daraus den Verstand und Meisterschaft des Künstlers abnimmet. Derenthalben wollen die Bilder aus Marmor oder Metall/ die von weitem zu stehen kommen/ etwas keck und herzhaft angegriffen seyn/ damit die Weisse des Marmors/ und die Schwärze des Metalls/ der Kunst nichts benehme: zumal ohne das in der Ferne alles wol ausgemacht scheinet. Diese Beobachtung ist manigfaltig bey den Antichen/ so wol in runden als flachen Bildern/ besonders in denen Triumf-Bögen/ Seulen und Porten/ zu Rom/ wie auch in vielen modernen/ voraus in dem niemals genug-gepriesenen H. Andreas/ in S. Peters Kirchen daselbst/ vom du Quenois, zu ersehen ist. und müssen größer seyn Uber das ist noch zu bemerken/ daß/ wann ein Bild oder Statua soll auf einen hohen Ort gesetzt werden/ und unten her/ das Bild zu besehen/ gar ein weniges spatium bleibet/ also daß man fast gleich darunter stehen und hinaufsehen mus/ so wird dieses Bild um ein oder zwey Köpf höher seyn müssen: und das darum/ weil es/ durch des darunter stehenden Gesichts Verkürzung/ sich verlieret/ durch diese Verlängerung aber wieder zur rechten proportion kommet/ daß es kein Zwerg zu seyn scheinet. Wem aber diese Weis nicht belieblich/ der mache die Gliedmaßen nur etwas dünner und rahner/ so werden sie eben dergleichen wirken. Austheilung und Maß eines Bildes. Es pflegen aber die Bild-Künstlere ihre Figuren neun Köpfe lang zu machen/ und wird das Bild hauptsächlich in acht Theile ausgetheilet/ da die Gurgel und der Hals/ samt der Höhe des Fußes/ den neunten Theil machen: dann zwey Theile sind die Beine/ und von den Knien bis an das männliche Glied sind wieder zwey/ der Leib an sich selbst bis an das Halsgrüblein sind drey/ von dem Kien bis zu Ende der Stirn ist eines/ und die Gurgel/ samt dem untersten Knöpfel des Fußes bis auf die Solen wieder eines; von da wir die Arme an den Achseln fäst sehen/ bis zu dem fontanell, ist allerseits eines Kopfs; die Arme sind/ bis zur Faltung an der Hand/ drey Köpfe lang. Wann aber der Mensch beyde Arme ausstrecket/ reichet er eben so weit/ als er lang ist. Weil die proportion des Menschen ungleich und unterschiedlich ist/ als werden etliche viel Kupfer von unterschiedlicher proportion, die discrepanz der Maß und des Geschlechts (sexûs) betreffend/ hier beygelegt/ welche ich meist von den kunstreichsten und berühmsten antichen Statuen in Rom abgesehen/ und deren Unterschied in Gestalt und Maß in ganz genaue Acht gezogen habe. Ein kluges Aug der bäste Maß-Stab. Man soll aber/ bey diesem allen/ an die Maß des guten Urtheils der Augen sich am meisten halten: dann wann schon eine Bildnis just gemessen/ und aber den Augen misfällig ist/ so bleibet sie gleichwol veracht. Ich sage derowegen/daß/ unangesehen das Messen der Weg ist/ dadurch die Figuren zur Ordnung und proportion schreiten/ so müßen doch/ Aug und Vernunft/ das Werk führen/ demselben die proportion, Annehmlichkeit/ Zeichnung und perfection zu geben/ damit es/ als ein vernünftiges Stuck/ gelobet werde. 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auch die Arme/ Schenkel/ Hände und Füsse/ samt allen Gliedern/ einen alten abgematteten Leib vorstellen/ ingleichen des ganzen Bilds Musculen/ Nerven und Aderen gerecht und förmlich an gebürendem Ort exprimirt werden. Hingegen wann man das Angesicht eines jungen Menschen ausbildet/ sollen die Figuren rund/ glatt/ zart und anmutig von Gestalt seyn. Kurz: aller Bilder Gliedmaßen müssen nach ihrem Geschlecht/ Alter und Natur-Art/ in allen Theilen/ mit einander concordiren/ und der Bildhauer mus ihm das jenige/ was er bilden will/ in der Einbildung allerdings vorstellen: damit er alle dessen Eigenschaften und Zufälligkeiten leib- und lebhaftig vorstellen möge.
Wann das Bild soll bekleidet seyn/ mus er das Gewand nicht zu dünn und trucken anlegen/ doch auch nicht so grob machen/ daß es für einen Stein möchte angesehen werden: sondern er mus/ mit dessen Falten den Leib dergestalt umgeben/ daß das nackende darunter zuweilen erkäntlich seye/ zuweilen aber Kunst-zierlich verborgen werde/ ohne Härtigkeit/ welche des Bildes Gliedmaßen verstellen kan. Es wird hievon zwar ein mehrers/ bey der Pictura, gemeldet. Nachdem aber die Antichen uns dieses/ wie die Bilder gewandt und bekleidet sollen werden/ auch derer bästen Wolstand/ nach Art und Weise/ wie die in der Bildhauerey zu gebrauchen/ in den Statuen vortrefflichst angewisen/ auch kein bässeres Exempel zu erkiesen: als habe/ zu mehrer Erklärung dessen/ in folgenden Kupferplatten/ die antiche Statuen der Minerva, Flora, Cleopatra, Sibylla Cumana, und andere/ die allerberühmtesten in dieser materie, als eine wahre und einige Lehr-Schul/ hierbey legen wollen. Die Haare und der Bart müssen mit Büschlein großachtiger Flocken/ jedoch mit anmutiger Sanftigkeit/gemacht/ auch krauslicht und angenehm gestreimet werden/ so viel der Meißel von Lieblichkeit zuweg bringen kan: und weil die Bildhauer nicht ganz vollkommlich die Natur erreichen können/ als sollen sie mehr die schöne zierliche Manier/ als die einfaltige Natur/ in den Haaren beobachten. Wann die bekleideten Figuren auch Hände und Füße vonnöten haben/ müßen solche/ wie andere schöne Theile/ zierlich zuweg gebracht werden.
Gewand und Kleider des Bildes.
Bart und Haare. Ferner/ weil die Bilder rund-um besehen werden/ so sollen sie vorwarts/ im profil, und ruckwarts/ von gleicher Proportion und Perfection seyn: damit sie/ wann man sie auf allen Seiten besihet/ in gleich-guter disposition und aller correspondenz befunden werden/ und neben der Wol-Zeichnung/ auch der Actitudi Zier/ Vernunft und Fleiß hervorscheine/ welches dann die Kunst und den Verstand des Meisters zu Tag bringet. Sollen demnach alle erhobne und gemahlte Figuren/ mehr mit dem Verstand/ als mit der Hand/ verfärtigt werden.
Das Bild mus auf allen Seiten perfect seyn. Die Bilder/ so in die Höhe und Ferne sollen gesetzt werden/ weil die sonderbare Sauberkeit von Fernen nicht in acht genommen wird/ dörfen wol etwas gröber/ wie die Antichen gethan/ gehauen seyn: doch müßen/ die schöne Form der Gliedmassen/
Arme/ und Füße/ auch die Falten der Kleidung/ in acht genommen werden/ weil man daraus den Verstand und Meisterschaft des Künstlers abnimmet. Derenthalben wollen die Bilder aus Marmor oder Metall/ die von weitem zu stehen kommen/ etwas keck und herzhaft angegriffen seyn/ damit die Weisse des Marmors/ und die Schwärze des Metalls/ der Kunst nichts benehme: zumal ohne das in der Ferne alles wol ausgemacht scheinet. Diese Beobachtung ist manigfaltig bey den Antichen/ so wol in runden als flachen Bildern/ besonders in denen Triumf-Bögen/ Seulen und Porten/ zu Rom/ wie auch in vielen modernen/ voraus in dem niemals genug-gepriesenen H. Andreas/ in S. Peters Kirchen daselbst/ vom du Quenois, zu ersehen ist.
Bilder in der Höhe und Ferne/ dörffen etwas keck/ Uber das ist noch zu bemerken/ daß/ wann ein Bild oder Statua soll auf einen hohen Ort gesetzt werden/ und unten her/ das Bild zu besehen/ gar ein weniges spatium bleibet/ also daß man fast gleich darunter stehen und hinaufsehen mus/ so wird dieses Bild um ein oder zwey Köpf höher seyn müssen: und das darum/ weil es/ durch des darunter stehenden Gesichts Verkürzung/ sich verlieret/ durch diese Verlängerung aber wieder zur rechten proportion kommet/ daß es kein Zwerg zu seyn scheinet. Wem aber diese Weis nicht belieblich/ der mache die Gliedmaßen nur etwas dünner und rahner/ so werden sie eben dergleichen wirken.
und müssen größer seyn Es pflegen aber die Bild-Künstlere ihre Figuren neun Köpfe lang zu machen/ und wird das Bild hauptsächlich in acht Theile ausgetheilet/ da die Gurgel und der Hals/ samt der Höhe des Fußes/ den neunten Theil machen: dann zwey Theile sind die Beine/ und von den Knien bis an das männliche Glied sind wieder zwey/ der Leib an sich selbst bis an das Halsgrüblein sind drey/ von dem Kien bis zu Ende der Stirn ist eines/ und die Gurgel/ samt dem untersten Knöpfel des Fußes bis auf die Solen wieder eines; von da wir die Arme an den Achseln fäst sehen/ bis zu dem fontanell, ist allerseits eines Kopfs; die Arme sind/ bis zur Faltung an der Hand/ drey Köpfe lang. Wann aber der Mensch beyde Arme ausstrecket/ reichet er eben so weit/ als er lang ist. Weil die proportion des Menschen ungleich und unterschiedlich ist/ als werden etliche viel Kupfer von unterschiedlicher proportion, die discrepanz der Maß und des Geschlechts (sexûs) betreffend/ hier beygelegt/ welche ich meist von den kunstreichsten und berühmsten antichen Statuen in Rom abgesehen/ und deren Unterschied in Gestalt und Maß in ganz genaue Acht gezogen habe.
Austheilung und Maß eines Bildes. Man soll aber/ bey diesem allen/ an die Maß des guten Urtheils der Augen sich am meisten halten: dann wann schon eine Bildnis just gemessen/ und aber den Augen misfällig ist/ so bleibet sie gleichwol veracht. Ich sage derowegen/daß/ unangesehen das Messen der Weg ist/ dadurch die Figuren zur Ordnung und proportion schreiten/ so müßen doch/ Aug und Vernunft/ das Werk führen/ demselben die proportion, Annehmlichkeit/ Zeichnung und perfection zu geben/ damit es/ als ein vernünftiges Stuck/ gelobet werde. Diese
Ein kluges Aug der bäste Maß-Stab.
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Zitationshilfe: | Sandrart, Joachim von: L’Academia Todesca. della Architectura, Scultura & Pittura: Oder Teutsche Academie der Edlen Bau- Bild- und Mahlerey-Künste. Bd. 1,1. Nürnberg, 1675, S. [I, Buch 2 (Skulptur), S. 30]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sandrart_academie0101_1675/209>, abgerufen am 16.02.2025. |