Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sanders, Daniel: Brief an Berthold Auerbach. Altstrelitz, 23. Mai 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

Feder eigentlich freilich gar nicht bedarf.

Die Zeit ist allerdings verstimmend und niederschlagend,
aber Männer, wie Sie, dürfen sich nicht verstimmen und niederschlagen
lassen. Ich möchte Sie auf Ihre eigenen Worte (Seite 97 Ihrer
Erzählung) verweisen. Die Gemeinheit würde und müsste
obsingen, wenn solche Männer müde werden könnten und wollten,
die Dinge sub specie aeterni zu betrachten, das Dauernde,
Ewige im irdischen Wechsel, "den ruhenden Pol in der Er[-]
scheinungen Flucht"
zu suchen und ihren Führeramte ge[-]
mäß ihrem Glauben und ihre Überzeugung der Welt nun
und immer wieder der Welt zu verkünden. Mir ist es, als
seien Schiller's Worte des Glaubens im Worte des Wahns
ganz besonders für unsere heutige Zeit geschrieben seien.
Doch genug hiervon! Doch kann ich nicht schließen, ohne
Ihnen noch meinen besonderen Dank auszudücken für
die herzlichen und tröstlichen Worte, die Sie am Grab
unseres gemeinsamen Freundes Heinrich Bernhard Oppenheim
gesprochen. Wir haben Leid viel, sehr viel und
ganz Unersetzliches an dem Tapfern und Treuen
verlogen. "Soldatendienst hat der Mensch auf Erden."
Er ist nach tapfer und treu vollendetem Dienst vom
Posten abberufen, aber wir, die wir noch im

Feder eigentlich freilich gar nicht bedarf.

Die Zeit ist allerdings verstim̃end und niederschlagend,
aber Mäñer, wie Sie, dürfen sich nicht verstim̃en und niederschlagen
lassen. Ich möchte Sie auf Ihre eigenen Worte (Seite 97 Ihrer
Erzählung) verweisen. Die Gemeinheit würde und müsste
obsingen, weñ solche Mäñer müde werden könnten und wollten,
die Dinge sub specie aeterni zu betrachten, das Dauernde,
Ewige im irdischen Wechsel, „den ruhenden Pol in der Er[-]
scheinungen Flucht“
zu suchen und ihren Führeramte ge[-]
mäß ihrem Glauben und ihre Überzeugung der Welt nun
und im̃er wieder der Welt zu verkünden. Mir ist es, als
seien Schiller’s Worte des Glaubens im Worte des Wahns
ganz besonders für unsere heutige Zeit geschrieben seien.
Doch genug hiervon! Doch kañ ich nicht schließen, ohne
Ihnen noch meinen besonderen Dank auszudücken für
die herzlichen und tröstlichen Worte, die Sie am Grab
unseres gemeinsamen Freundes Heinrich Bernhard Oppenheim
gesprochen. Wir haben Leid viel, sehr viel und
ganz Unersetzliches an dem Tapfern und Treuen
verlogen. „Soldatendienst hat der Mensch auf Erden.“
Er ist nach tapfer und treu vollendetem Dienst vom
Posten abberufen, aber wir, die wir noch im

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0002" n="[1v]"/>
Feder eigentlich freilich gar nicht bedarf.</p><lb/>
        <p>Die Zeit ist allerdings verstim&#x0303;end und niederschlagend,<lb/>
aber Män&#x0303;er, wie Sie, dürfen sich nicht verstim&#x0303;en und niederschlagen<lb/>
lassen. Ich möchte Sie auf Ihre eigenen Worte (<choice><abbr>S.</abbr><expan>Seite</expan></choice> 97 Ihrer<lb/>
Erzählung) verweisen. Die Gemeinheit würde und müsste<lb/>
obsingen, wen&#x0303; solche Män&#x0303;er müde werden könnten und wollten,<lb/>
die Dinge <hi rendition="#aq"><foreign xml:lang="lat">sub specie aeterni</foreign></hi> zu betrachten, das Dauernde,<lb/>
Ewige im irdischen Wechsel, <quote>&#x201E;den ruhenden Pol in der Er<supplied>-</supplied><lb/>
scheinungen Flucht&#x201C;</quote> zu suchen und ihren Führeramte ge<supplied>-</supplied><lb/>
mäß ihrem Glauben und ihre Überzeugung der Welt nun<lb/><choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> im&#x0303;er wieder <del rendition="#s">der Welt</del> zu verkünden. Mir ist es, als<lb/>
seien <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118607626">Schiller</persName>&#x2019;s Worte des Glaubens im Worte des Wahns<note type="editorial"><bibl>Schiller, Friedrich: Die Worte des Glaubens. Die Worte des Wahns. In: J. G. Cotta'sche Buchhandlung&#x200A; (Hg.): Gedichte von Friedrich von Schiller, Stuttgart 1883, S. 349&#x2013;351.</bibl><ref target="https://archive.org/details/gedichtevonfrie00schigoog">Online verfügbar: Internet Archive, abgerufen am 29.01.2019.</ref></note><lb/>
ganz besonders für unsere heutige Zeit geschrieben seien.<lb/>
Doch genug hiervon! Doch kan&#x0303; ich nicht schließen, ohne<lb/>
Ihnen noch meinen besonderen Dank auszudücken für<lb/>
die herzlichen und tröstlichen Worte, die Sie am Grab<lb/>
unseres gemeinsamen Freundes <hi rendition="#aq"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118951009"><choice><abbr>H. B.</abbr><expan>Heinrich Bernhard</expan></choice> Oppenheim</persName></hi><lb/>
gesprochen. Wir haben Leid viel, sehr viel und<lb/>
ganz Unersetzliches an dem Tapfern und Treuen<lb/>
verlogen. <quote>&#x201E;Soldatendienst hat der Mensch auf Erden.&#x201C;</quote><lb/>
Er ist nach tapfer <choice><abbr>u.</abbr><expan>und</expan></choice> treu vollendetem Dienst vom<lb/>
Posten abberufen, aber wir, die wir noch im<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[1v]/0002] Feder eigentlich freilich gar nicht bedarf. Die Zeit ist allerdings verstim̃end und niederschlagend, aber Mäñer, wie Sie, dürfen sich nicht verstim̃en und niederschlagen lassen. Ich möchte Sie auf Ihre eigenen Worte (S. 97 Ihrer Erzählung) verweisen. Die Gemeinheit würde und müsste obsingen, weñ solche Mäñer müde werden könnten und wollten, die Dinge sub specie aeterni zu betrachten, das Dauernde, Ewige im irdischen Wechsel, „den ruhenden Pol in der Er- scheinungen Flucht“ zu suchen und ihren Führeramte ge- mäß ihrem Glauben und ihre Überzeugung der Welt nun u. im̃er wieder zu verkünden. Mir ist es, als seien Schiller’s Worte des Glaubens im Worte des Wahns ganz besonders für unsere heutige Zeit geschrieben seien. Doch genug hiervon! Doch kañ ich nicht schließen, ohne Ihnen noch meinen besonderen Dank auszudücken für die herzlichen und tröstlichen Worte, die Sie am Grab unseres gemeinsamen Freundes H. B. Oppenheim gesprochen. Wir haben Leid viel, sehr viel und ganz Unersetzliches an dem Tapfern und Treuen verlogen. „Soldatendienst hat der Mensch auf Erden.“ Er ist nach tapfer u. treu vollendetem Dienst vom Posten abberufen, aber wir, die wir noch im

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Sebastian Göttel: Herausgeber.
Linda Martin: Transkription und TEI-Textannotation.
Linda Martin: Bearbeitung und Finalisierung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sanders_auerbach_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sanders_auerbach_1880/2
Zitationshilfe: Sanders, Daniel: Brief an Berthold Auerbach. Altstrelitz, 23. Mai 1880, S. [1v]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sanders_auerbach_1880/2>, abgerufen am 11.12.2024.