Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.Ueber den Charakter Jesu Christi. Menschenfreundschaft, und, wo er hinkommt, folgt erdiesen Regeln, ist unaufhörlich geschäftig, und stiftet Gu- tes, so lang er kann*). Nehmt diesen Maasstab, und beurtheilt darnach die Größe Jesu Christi. Gehet in die Geschichte seines Lebens. Jhr werdet einen Mann finden, der unsre größte Ehrfurcht und Hochschätzung verdient, so lang wir noch auf Tugend und göttliche Ge- sinnung einen Werth legen, und wenn er sich auch gar keine Verdienste um uns erworben hätte. Bey seiner äusseren Niedrigkeit hatte er doch die wahre Größe. Warum denken viele Menschen so unedel, so niedrig? Warum sind wirklich viele unglücklich? Ach, die Weise- sten unter uns haben es schon oft gesagt! Weil man das Vergnügen immer ausser sich selber sucht. Weil man selten den rechten Standpunkt wählt, aus dem man sich, und andre neben sich beschauen sollte. Weil man im Glück immer durch ein gefärbtes, oder falsches, und im Unglück durch ein Vergrößerungsglas sieht. Weil wir einander um Güter drängen und plagen, die unmöglich alle haben können, und nicht nach den Schätzen einer menschenfreundlichen Weisheit streben, wovon jeder, ohne des *) Jn der That sollte es jedem Jüngling keine gleichgültige Bemerkung seyn, daß fast in allen Lebensbeschreibungen großer und berühmter Männer ein ganz unglaublicher Fleiß, eine ausserordentliche Arbeitsamkeit ein Hauptstrich am Gemälde ist. Man weiß die großen und mannichfal- tigen Arbeiten, die Luther zu Stande brachte, und doch sagt Robertson von ihm: Seine Schriften machen so viele Bände aus, als ob er einer steten Ruhe, und unun- terbrochenen Muße genossen hätte. S. Gesch. K. Carls V. Th. III. S. 85. D 5
Ueber den Charakter Jeſu Chriſti. Menſchenfreundſchaft, und, wo er hinkommt, folgt erdieſen Regeln, iſt unaufhörlich geſchäftig, und ſtiftet Gu- tes, ſo lang er kann*). Nehmt dieſen Maasſtab, und beurtheilt darnach die Größe Jeſu Chriſti. Gehet in die Geſchichte ſeines Lebens. Jhr werdet einen Mann finden, der unſre größte Ehrfurcht und Hochſchätzung verdient, ſo lang wir noch auf Tugend und göttliche Ge- ſinnung einen Werth legen, und wenn er ſich auch gar keine Verdienſte um uns erworben hätte. Bey ſeiner äuſſeren Niedrigkeit hatte er doch die wahre Größe. Warum denken viele Menſchen ſo unedel, ſo niedrig? Warum ſind wirklich viele unglücklich? Ach, die Weiſe- ſten unter uns haben es ſchon oft geſagt! Weil man das Vergnügen immer auſſer ſich ſelber ſucht. Weil man ſelten den rechten Standpunkt wählt, aus dem man ſich, und andre neben ſich beſchauen ſollte. Weil man im Glück immer durch ein gefärbtes, oder falſches, und im Unglück durch ein Vergrößerungsglas ſieht. Weil wir einander um Güter drängen und plagen, die unmöglich alle haben können, und nicht nach den Schätzen einer menſchenfreundlichen Weisheit ſtreben, wovon jeder, ohne des *) Jn der That ſollte es jedem Jüngling keine gleichgültige Bemerkung ſeyn, daß faſt in allen Lebensbeſchreibungen großer und berühmter Männer ein ganz unglaublicher Fleiß, eine auſſerordentliche Arbeitſamkeit ein Hauptſtrich am Gemälde iſt. Man weiß die großen und mannichfal- tigen Arbeiten, die Luther zu Stande brachte, und doch ſagt Robertſon von ihm: Seine Schriften machen ſo viele Bände aus, als ob er einer ſteten Ruhe, und unun- terbrochenen Muße genoſſen hätte. S. Geſch. K. Carls V. Th. III. S. 85. D 5
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Ueber den Charakter Jeſu Chriſti.
Menſchenfreundſchaft, und, wo er hinkommt, folgt er
dieſen Regeln, iſt unaufhörlich geſchäftig, und ſtiftet Gu-
tes, ſo lang er kann *). Nehmt dieſen Maasſtab, und
beurtheilt darnach die Größe Jeſu Chriſti. Gehet in
die Geſchichte ſeines Lebens. Jhr werdet einen Mann
finden, der unſre größte Ehrfurcht und Hochſchätzung
verdient, ſo lang wir noch auf Tugend und göttliche Ge-
ſinnung einen Werth legen, und wenn er ſich auch gar
keine Verdienſte um uns erworben hätte. Bey ſeiner
äuſſeren Niedrigkeit hatte er doch die wahre Größe.
Warum denken viele Menſchen ſo unedel, ſo niedrig?
Warum ſind wirklich viele unglücklich? Ach, die Weiſe-
ſten unter uns haben es ſchon oft geſagt! Weil man das
Vergnügen immer auſſer ſich ſelber ſucht. Weil man
ſelten den rechten Standpunkt wählt, aus dem man ſich,
und andre neben ſich beſchauen ſollte. Weil man im
Glück immer durch ein gefärbtes, oder falſches, und im
Unglück durch ein Vergrößerungsglas ſieht. Weil wir
einander um Güter drängen und plagen, die unmöglich
alle haben können, und nicht nach den Schätzen einer
menſchenfreundlichen Weisheit ſtreben, wovon jeder, ohne
des
*) Jn der That ſollte es jedem Jüngling keine gleichgültige
Bemerkung ſeyn, daß faſt in allen Lebensbeſchreibungen
großer und berühmter Männer ein ganz unglaublicher
Fleiß, eine auſſerordentliche Arbeitſamkeit ein Hauptſtrich
am Gemälde iſt. Man weiß die großen und mannichfal-
tigen Arbeiten, die Luther zu Stande brachte, und doch
ſagt Robertſon von ihm: Seine Schriften machen ſo
viele Bände aus, als ob er einer ſteten Ruhe, und unun-
terbrochenen Muße genoſſen hätte. S. Geſch. K. Carls V.
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