Wie viele Wahrheiten, die dein weiser Mund pre- digt, glauben wir nicht! Salomo sagt: Ein armer aber verständiger Jüngling ist besser, als ein thörichter König, aber wer glaubt deiner Predigt? kocht nicht oft im wei- sesten Herzen Unzufriedenheit?
Hier am Fuß deines Thrones erinnere ich mich an viele Menschen, über die die Chöre der Engel gejauchzt hätten, und die schon in der Blüthe des Lebens den Weg der Tugend verlassen, der Verzweiflung entgegen gegan- gen sind, und zuletzt alles, auch die Scheu vor Gott, die der Wilde im Wald hat, das Gefühl der Abhängigkeit, das die Natur lehrt, und jede andere kostbare Anlage, weise und gut zu werden, im Gebiet des Lasters, wo über- all Abgründe mit Blumen bedeckt sind, unwiederbringlich verlohren haben. Nimm Gebet und Fürbitte auch für sie, o Gott! väterlich an, und beunruhige allmächtig ihr verhärtetes Gewissen.
Da zieht der tausendfältige Pomp, das schimmernde Gepränge der Welt vor meinen Augen vorbey -- aber unendlich schätzbarer ist mir in jedem Fall Erinnerung an das stille, nützliche, liebreiche Betragen des Erlösers.
Ach, wenn sie einst überstanden seyn wird, die Zeit der Uebung, wenn es hingelaufen ist, das mühe- volle Leben, wenn Wanken und Fallen, wenn Sün- digen und Zweifeln auch für mich ein Ende hat, ach, dann werden -- o Gott! alle die Loblieder zu dir aufsteigen, die ich dir jezt oft versprochen habe, aber nicht bringen konnte. Laß mich noch am Ufer der Welt die Christen erbauen, die hinter mir zurückbleiben, bis auch sie vollendet sind. Herr! bis dein Sohn die-
sen
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Unterredungen mit Gott.
Wie viele Wahrheiten, die dein weiſer Mund pre- digt, glauben wir nicht! Salomo ſagt: Ein armer aber verſtändiger Jüngling iſt beſſer, als ein thörichter König, aber wer glaubt deiner Predigt? kocht nicht oft im wei- ſeſten Herzen Unzufriedenheit?
Hier am Fuß deines Thrones erinnere ich mich an viele Menſchen, über die die Chöre der Engel gejauchzt hätten, und die ſchon in der Blüthe des Lebens den Weg der Tugend verlaſſen, der Verzweiflung entgegen gegan- gen ſind, und zuletzt alles, auch die Scheu vor Gott, die der Wilde im Wald hat, das Gefühl der Abhängigkeit, das die Natur lehrt, und jede andere koſtbare Anlage, weiſe und gut zu werden, im Gebiet des Laſters, wo über- all Abgründe mit Blumen bedeckt ſind, unwiederbringlich verlohren haben. Nimm Gebet und Fürbitte auch für ſie, o Gott! väterlich an, und beunruhige allmächtig ihr verhärtetes Gewiſſen.
Da zieht der tauſendfältige Pomp, das ſchimmernde Gepränge der Welt vor meinen Augen vorbey — aber unendlich ſchätzbarer iſt mir in jedem Fall Erinnerung an das ſtille, nützliche, liebreiche Betragen des Erlöſers.
Ach, wenn ſie einſt überſtanden ſeyn wird, die Zeit der Uebung, wenn es hingelaufen iſt, das mühe- volle Leben, wenn Wanken und Fallen, wenn Sün- digen und Zweifeln auch für mich ein Ende hat, ach, dann werden — o Gott! alle die Loblieder zu dir aufſteigen, die ich dir jezt oft verſprochen habe, aber nicht bringen konnte. Laß mich noch am Ufer der Welt die Chriſten erbauen, die hinter mir zurückbleiben, bis auch ſie vollendet ſind. Herr! bis dein Sohn die-
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Unterredungen mit Gott.
Wie viele Wahrheiten, die dein weiſer Mund pre-
digt, glauben wir nicht! Salomo ſagt: Ein armer aber
verſtändiger Jüngling iſt beſſer, als ein thörichter König,
aber wer glaubt deiner Predigt? kocht nicht oft im wei-
ſeſten Herzen Unzufriedenheit?
Hier am Fuß deines Thrones erinnere ich mich an
viele Menſchen, über die die Chöre der Engel gejauchzt
hätten, und die ſchon in der Blüthe des Lebens den Weg
der Tugend verlaſſen, der Verzweiflung entgegen gegan-
gen ſind, und zuletzt alles, auch die Scheu vor Gott, die
der Wilde im Wald hat, das Gefühl der Abhängigkeit,
das die Natur lehrt, und jede andere koſtbare Anlage,
weiſe und gut zu werden, im Gebiet des Laſters, wo über-
all Abgründe mit Blumen bedeckt ſind, unwiederbringlich
verlohren haben. Nimm Gebet und Fürbitte auch für
ſie, o Gott! väterlich an, und beunruhige allmächtig ihr
verhärtetes Gewiſſen.
Da zieht der tauſendfältige Pomp, das ſchimmernde
Gepränge der Welt vor meinen Augen vorbey — aber
unendlich ſchätzbarer iſt mir in jedem Fall Erinnerung
an das ſtille, nützliche, liebreiche Betragen des Erlöſers.
Ach, wenn ſie einſt überſtanden ſeyn wird, die Zeit
der Uebung, wenn es hingelaufen iſt, das mühe-
volle Leben, wenn Wanken und Fallen, wenn Sün-
digen und Zweifeln auch für mich ein Ende hat,
ach, dann werden — o Gott! alle die Loblieder
zu dir aufſteigen, die ich dir jezt oft verſprochen habe,
aber nicht bringen konnte. Laß mich noch am Ufer der
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Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
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Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/43>, abgerufen am 16.07.2024.
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