Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.Unsre Beruhigung beym Willen Gottes. Mutter ihres Sohnes vergessen, daß sie sich nicht er-barmte über die Frucht ihres Leibes? Und wenn auch zur Schande der Menschheit selbst Mutter- liebe oft abstirbt, so will er uns doch nicht ver- gessen -- In meine Hände hab ich dich gezeich- net. (Es. 49, 15. 16.) Ach, dies Leben wäre Wonne, und die Erde müßte dem Himmel gleichen, wenn wir alle gesinnt wären, wie unser Erlöser! Fangen wir bey der Liebe, bey dem Gehorsam gegen Gott, bey der Ge- nügsamkeit an, Jesum Christum nachzuahmen. Er hatte kein andres Gesetz, als die Befehle seines Va- ters. Immer mit ihm einverstanden, billigte er alles, was ihm Gott auflegte, that alles, was Gott von ihm forderte, gieng selber nach Jerusalem zu seinen Mördern, betete, seufzte, weinte für die Elendesten unter allen Menschen, trug sein Kreuz den hohen Berg hinauf, und gab das Leben her, damit des Vaters Wille erfüllt würde. Nicht mein, sondern dein Wille ge- schehe -- das war die herrschende Empfindung bey ihm; daher das Feuer, daher die seelenvolle Kraft, wo- mit er alles that, daher die Heiterkeit, die ihn nie ver- ließ, daher die Bereitwilligkeit, die nie ermüdete, daher die Geduld, womit er sein Leiden trug, die ungekünstelte Größe, womit er starb. Er lebte beständig im Dienst Gottes, war auf der Erde, wie im Himmel, unter den Menschen, wie an der Seite Gottes; schon in der ersten Jugend lenkte sich seine Seele dahin, und wie er bald abtreten wollte, sagte er mit unbeschreiblicher Empfin- dung: Ich habe dich verkläret, Vater! auf Er- den, ich habe vollendet das Werk, das du mir gegeben hast, daß ich es thun soll. (Joh. 17, 4.) Ach, S 3
Unſre Beruhigung beym Willen Gottes. Mutter ihres Sohnes vergeſſen, daß ſie ſich nicht er-barmte über die Frucht ihres Leibes? Und wenn auch zur Schande der Menſchheit ſelbſt Mutter- liebe oft abſtirbt, ſo will er uns doch nicht ver- geſſen — In meine Hände hab ich dich gezeich- net. (Eſ. 49, 15. 16.) Ach, dies Leben wäre Wonne, und die Erde müßte dem Himmel gleichen, wenn wir alle geſinnt wären, wie unſer Erlöſer! Fangen wir bey der Liebe, bey dem Gehorſam gegen Gott, bey der Ge- nügſamkeit an, Jeſum Chriſtum nachzuahmen. Er hatte kein andres Geſetz, als die Befehle ſeines Va- ters. Immer mit ihm einverſtanden, billigte er alles, was ihm Gott auflegte, that alles, was Gott von ihm forderte, gieng ſelber nach Jeruſalem zu ſeinen Mördern, betete, ſeufzte, weinte für die Elendeſten unter allen Menſchen, trug ſein Kreuz den hohen Berg hinauf, und gab das Leben her, damit des Vaters Wille erfüllt würde. Nicht mein, ſondern dein Wille ge- ſchehe — das war die herrſchende Empfindung bey ihm; daher das Feuer, daher die ſeelenvolle Kraft, wo- mit er alles that, daher die Heiterkeit, die ihn nie ver- ließ, daher die Bereitwilligkeit, die nie ermüdete, daher die Geduld, womit er ſein Leiden trug, die ungekünſtelte Größe, womit er ſtarb. Er lebte beſtändig im Dienſt Gottes, war auf der Erde, wie im Himmel, unter den Menſchen, wie an der Seite Gottes; ſchon in der erſten Jugend lenkte ſich ſeine Seele dahin, und wie er bald abtreten wollte, ſagte er mit unbeſchreiblicher Empfin- dung: Ich habe dich verkläret, Vater! auf Er- den, ich habe vollendet das Werk, das du mir gegeben haſt, daß ich es thun ſoll. (Joh. 17, 4.) Ach, S 3
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Unſre Beruhigung beym Willen Gottes.
Mutter ihres Sohnes vergeſſen, daß ſie ſich nicht er-
barmte über die Frucht ihres Leibes? Und wenn
auch zur Schande der Menſchheit ſelbſt Mutter-
liebe oft abſtirbt, ſo will er uns doch nicht ver-
geſſen — In meine Hände hab ich dich gezeich-
net. (Eſ. 49, 15. 16.) Ach, dies Leben wäre Wonne,
und die Erde müßte dem Himmel gleichen, wenn wir
alle geſinnt wären, wie unſer Erlöſer! Fangen wir bey
der Liebe, bey dem Gehorſam gegen Gott, bey der Ge-
nügſamkeit an, Jeſum Chriſtum nachzuahmen. Er
hatte kein andres Geſetz, als die Befehle ſeines Va-
ters. Immer mit ihm einverſtanden, billigte er alles,
was ihm Gott auflegte, that alles, was Gott von ihm
forderte, gieng ſelber nach Jeruſalem zu ſeinen Mördern,
betete, ſeufzte, weinte für die Elendeſten unter allen
Menſchen, trug ſein Kreuz den hohen Berg hinauf, und
gab das Leben her, damit des Vaters Wille erfüllt
würde. Nicht mein, ſondern dein Wille ge-
ſchehe — das war die herrſchende Empfindung bey
ihm; daher das Feuer, daher die ſeelenvolle Kraft, wo-
mit er alles that, daher die Heiterkeit, die ihn nie ver-
ließ, daher die Bereitwilligkeit, die nie ermüdete, daher
die Geduld, womit er ſein Leiden trug, die ungekünſtelte
Größe, womit er ſtarb. Er lebte beſtändig im Dienſt
Gottes, war auf der Erde, wie im Himmel, unter den
Menſchen, wie an der Seite Gottes; ſchon in der erſten
Jugend lenkte ſich ſeine Seele dahin, und wie er bald
abtreten wollte, ſagte er mit unbeſchreiblicher Empfin-
dung: Ich habe dich verkläret, Vater! auf Er-
den, ich habe vollendet das Werk, das du mir
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