Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.Ueber die Tempelreinigung Christi. des Erlösers ist so groß, daß wir bey einer ungeheuchel-ten Reue und Abbitte auf die Gnade Gottes hoffen kön- nen. Aber doch läßt die Weisheit Gottes, die für je- den Menschen einen eigenen Gang geht, die, die in ih- rem Leben oft zwischen Tugend und Laster abgewechselt haben, inne werden, daß es, wie der Prophet sagt, Jammer und Kummer bringt, den Herrn zu ver- lassen. (Jerem. 2, 19.) Selig ist der, der schon lange mit Gott im Bunde stehet: und zu ihm sagen kann: Gott, du bist schon lange meine Zuversicht, Herr, Herr, du bist meine Hoffnung von Jugend auf. (Psalm 71.) Die Pflanze blüht desto schöner, die Frucht wird desto süßer, wenn sie nie beschädigt, nie in ihrem Wachsthum gestört worden ist. Und das saure Amt des Mannes, die an sich beschwerlichen Tage des Greisen, das Alter, das oft selber von vielen Menschen eine Krankheit genennt worden ist, wird desto leichter und erträglicher, wenn es auf ein Leben folgt, das von seinem ersten Anfang an schön und liebenswürdig dahin geflossen ist. Und die letzte Stunde auf Erden -- o ihr werdet sie ruhig schlagen hören, sie wird euch die größte Ehre, das größte Glück mittheilen, wenn euer Wandel beständig edel und weise, wenn er das Bild eines Engels gewesen ist! Die andre Ursache der Thränen JesuZweyte Ur- war
Ueber die Tempelreinigung Chriſti. des Erlöſers iſt ſo groß, daß wir bey einer ungeheuchel-ten Reue und Abbitte auf die Gnade Gottes hoffen kön- nen. Aber doch läßt die Weisheit Gottes, die für je- den Menſchen einen eigenen Gang geht, die, die in ih- rem Leben oft zwiſchen Tugend und Laſter abgewechſelt haben, inne werden, daß es, wie der Prophet ſagt, Jammer und Kummer bringt, den Herrn zu ver- laſſen. (Jerem. 2, 19.) Selig iſt der, der ſchon lange mit Gott im Bunde ſtehet: und zu ihm ſagen kann: Gott, du biſt ſchon lange meine Zuverſicht, Herr, Herr, du biſt meine Hoffnung von Jugend auf. (Pſalm 71.) Die Pflanze blüht deſto ſchöner, die Frucht wird deſto ſüßer, wenn ſie nie beſchädigt, nie in ihrem Wachsthum geſtört worden iſt. Und das ſaure Amt des Mannes, die an ſich beſchwerlichen Tage des Greiſen, das Alter, das oft ſelber von vielen Menſchen eine Krankheit genennt worden iſt, wird deſto leichter und erträglicher, wenn es auf ein Leben folgt, das von ſeinem erſten Anfang an ſchön und liebenswürdig dahin gefloſſen iſt. Und die letzte Stunde auf Erden — o ihr werdet ſie ruhig ſchlagen hören, ſie wird euch die größte Ehre, das größte Glück mittheilen, wenn euer Wandel beſtändig edel und weiſe, wenn er das Bild eines Engels geweſen iſt! Die andre Urſache der Thränen JeſuZweyte Ur- war
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Ueber die Tempelreinigung Chriſti.
des Erlöſers iſt ſo groß, daß wir bey einer ungeheuchel-
ten Reue und Abbitte auf die Gnade Gottes hoffen kön-
nen. Aber doch läßt die Weisheit Gottes, die für je-
den Menſchen einen eigenen Gang geht, die, die in ih-
rem Leben oft zwiſchen Tugend und Laſter abgewechſelt
haben, inne werden, daß es, wie der Prophet ſagt,
Jammer und Kummer bringt, den Herrn zu ver-
laſſen. (Jerem. 2, 19.) Selig iſt der, der ſchon lange
mit Gott im Bunde ſtehet: und zu ihm ſagen kann:
Gott, du biſt ſchon lange meine Zuverſicht, Herr,
Herr, du biſt meine Hoffnung von Jugend auf.
(Pſalm 71.) Die Pflanze blüht deſto ſchöner, die
Frucht wird deſto ſüßer, wenn ſie nie beſchädigt, nie in
ihrem Wachsthum geſtört worden iſt. Und das ſaure
Amt des Mannes, die an ſich beſchwerlichen Tage des
Greiſen, das Alter, das oft ſelber von vielen Menſchen
eine Krankheit genennt worden iſt, wird deſto leichter
und erträglicher, wenn es auf ein Leben folgt, das von
ſeinem erſten Anfang an ſchön und liebenswürdig dahin
gefloſſen iſt. Und die letzte Stunde auf Erden — o ihr
werdet ſie ruhig ſchlagen hören, ſie wird euch die größte
Ehre, das größte Glück mittheilen, wenn euer Wandel
beſtändig edel und weiſe, wenn er das Bild eines Engels
geweſen iſt!
Die andre Urſache der Thränen Jeſu
Chriſti iſt die Geringſchätzung des öf-
fentlichen Gottesdienſtes. Auch dieſe
betrübte Erinnerungen hatte die Seele des
Erlöſers, als er in Jeruſalem ankam, und ſeine Men-
ſchenliebe erlaubte ihm nicht, dabey ſtille zu ſeyn. Kaum
war
Zweyte Ur-
ſache.
Geringſchä-
tzung des auſ-
ſerlichen Got-
tesdienſtes.
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