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Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.

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Ueber die Thränen Jesu Christi.
gestritten hatten, und nie anders, als mit Lorbeeren ge-
krönt zurückkamen, den Ort, wo so viele Gesandte vom
Himmel aufgetreten waren, und den Willen des Herrn
unmittelbar eröffnet hatten, den Sammelplatz eines
Volks, dessen Geschichte von je her durch so viele Spu-
ren der allerbesondersten Vorsehung Gottes merkwürdig
war, das Fest seiner Landsleute, denen er sich ganz ge-
widmet, für die er gerne alle seine Kräfte aufgeopfert
hatte, indem er das alles übersieht, rückt ihm das Bild der
gegenwärtigen Pracht im Augenblick vom Auge weg,
und wechselt mit dem Bild der Trümmer, der Ruinen,
der Steinhaufen, der Leichen und Erschlagenen ab. Das
festliche Gepränge stört ihn nicht. Er überhört das Ho-
sianna, das gen Himmel schallte, der stille Gram preßt
ihm das Herz, wie einem Sterbenden, zusammen, die
Seele wird weich, die Menschheit überwältigt ihn, er
weint, mitten unter dem Volk, das ihn ehren wollte, und
erklärt selber die tiefeinschneidenden Regungen seiner trau-
renden Seele.

Ist im Leben Jesu Christi alles wichtig und feyer-
lich, wie sollen wir dann diese kostbare, diese heilige Thrä-
nen ansehen? Ach, als die getreuste Sprache seines Her-
zens, als das stärkste Zeugniß gegen die Sünde, als ei-
nen Beweis, daß er den Tod des Sünders nicht
wolle, sondern ernstlich seine Bekehrung, seine Er-
rettung wünsche,
(Ezech. 33, 11.) als eine mächtige
Aufforderung zur Frömmigkeit und Gottseligkeit in un-
serm ganzen Leben, als eine nachdrückliche Warnung vor
der gänzlichen Sorglosigkeit, und vor dem Schlummer
des Gewissens, als eine nöthige Lehre für uns, daß wir

auch
N 2

Ueber die Thränen Jeſu Chriſti.
geſtritten hatten, und nie anders, als mit Lorbeeren ge-
krönt zurückkamen, den Ort, wo ſo viele Geſandte vom
Himmel aufgetreten waren, und den Willen des Herrn
unmittelbar eröffnet hatten, den Sammelplatz eines
Volks, deſſen Geſchichte von je her durch ſo viele Spu-
ren der allerbeſonderſten Vorſehung Gottes merkwürdig
war, das Feſt ſeiner Landsleute, denen er ſich ganz ge-
widmet, für die er gerne alle ſeine Kräfte aufgeopfert
hatte, indem er das alles überſieht, rückt ihm das Bild der
gegenwärtigen Pracht im Augenblick vom Auge weg,
und wechſelt mit dem Bild der Trümmer, der Ruinen,
der Steinhaufen, der Leichen und Erſchlagenen ab. Das
feſtliche Gepränge ſtört ihn nicht. Er überhört das Ho-
ſianna, das gen Himmel ſchallte, der ſtille Gram preßt
ihm das Herz, wie einem Sterbenden, zuſammen, die
Seele wird weich, die Menſchheit überwältigt ihn, er
weint, mitten unter dem Volk, das ihn ehren wollte, und
erklärt ſelber die tiefeinſchneidenden Regungen ſeiner trau-
renden Seele.

Iſt im Leben Jeſu Chriſti alles wichtig und feyer-
lich, wie ſollen wir dann dieſe koſtbare, dieſe heilige Thrä-
nen anſehen? Ach, als die getreuſte Sprache ſeines Her-
zens, als das ſtärkſte Zeugniß gegen die Sünde, als ei-
nen Beweis, daß er den Tod des Sünders nicht
wolle, ſondern ernſtlich ſeine Bekehrung, ſeine Er-
rettung wünſche,
(Ezech. 33, 11.) als eine mächtige
Aufforderung zur Frömmigkeit und Gottſeligkeit in un-
ſerm ganzen Leben, als eine nachdrückliche Warnung vor
der gänzlichen Sorgloſigkeit, und vor dem Schlummer
des Gewiſſens, als eine nöthige Lehre für uns, daß wir

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[195/0201] Ueber die Thränen Jeſu Chriſti. geſtritten hatten, und nie anders, als mit Lorbeeren ge- krönt zurückkamen, den Ort, wo ſo viele Geſandte vom Himmel aufgetreten waren, und den Willen des Herrn unmittelbar eröffnet hatten, den Sammelplatz eines Volks, deſſen Geſchichte von je her durch ſo viele Spu- ren der allerbeſonderſten Vorſehung Gottes merkwürdig war, das Feſt ſeiner Landsleute, denen er ſich ganz ge- widmet, für die er gerne alle ſeine Kräfte aufgeopfert hatte, indem er das alles überſieht, rückt ihm das Bild der gegenwärtigen Pracht im Augenblick vom Auge weg, und wechſelt mit dem Bild der Trümmer, der Ruinen, der Steinhaufen, der Leichen und Erſchlagenen ab. Das feſtliche Gepränge ſtört ihn nicht. Er überhört das Ho- ſianna, das gen Himmel ſchallte, der ſtille Gram preßt ihm das Herz, wie einem Sterbenden, zuſammen, die Seele wird weich, die Menſchheit überwältigt ihn, er weint, mitten unter dem Volk, das ihn ehren wollte, und erklärt ſelber die tiefeinſchneidenden Regungen ſeiner trau- renden Seele. Iſt im Leben Jeſu Chriſti alles wichtig und feyer- lich, wie ſollen wir dann dieſe koſtbare, dieſe heilige Thrä- nen anſehen? Ach, als die getreuſte Sprache ſeines Her- zens, als das ſtärkſte Zeugniß gegen die Sünde, als ei- nen Beweis, daß er den Tod des Sünders nicht wolle, ſondern ernſtlich ſeine Bekehrung, ſeine Er- rettung wünſche, (Ezech. 33, 11.) als eine mächtige Aufforderung zur Frömmigkeit und Gottſeligkeit in un- ſerm ganzen Leben, als eine nachdrückliche Warnung vor der gänzlichen Sorgloſigkeit, und vor dem Schlummer des Gewiſſens, als eine nöthige Lehre für uns, daß wir auch N 2

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/201>, abgerufen am 22.11.2024.