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Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.

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Menschenliebe des Erlösers.
O Christen! so wie die ganze Natur immer zur Ehre Got-
tes arbeitet, so seyd auch ihr unaufhörlich mit seinen Ab-
sichten beschäftigt. Nie müsse uns die Erde entleiden,
und das Menschengeschlecht verhaßt werden. Wenn uns
die Kaltsinnigkeit, die Gleichgültigkeit, die Treulosigkeit,
die leeren Versprechungen, das Zögern und Zaudern an-
drer Menschen mit ihrer armseligen Hülfe wehe thut, so
gehen wir in die stille Kammer, lassen den Thränen, aber
nicht dem Murren und Klagen über andre, den Lauf,
weinen vor Gott, stärken uns mit seinem Wort, leben
bey seinen Verheißungen wieder auf, und sagen zu ihm:
dennoch bleib ich stets bey dir! (Ps. 73, 23.) Es
ist schwer, aber es ist das Schicksal des edelsten Theils
der Menschen. Schöne, gute, liebevolle Seelen werden
wir doch noch überall antreffen, und mit ihnen verschwi-
stert, machen wir uns die Erde zum Paradies, und be-
reiten uns vor zu dem Land, wo kein Haß, kein Neid,
keine Feindschaft, keine Untreue mehr seyn wird, wo alle
harte und grobe Menschen ausgeschlossen seyn werden.

Die Menschenliebe des Erlösers offenbarte sich in
allen seinen Reden. Seine sogenannte Gleichnisse sind
die getreusten Schilderungen des menschlichen Lebens,
und die Erzählung vom Sämann, und vom verschiede-
nen Erfolg der Saat gehört unstreitig zu den schönsten,
und wichtigsten. Man lese sie, und beobachte dabey die
Bewegungen der Seele. (Matth. 13, 3-23. Luc. 8, 4-15.)
Jeder wird ohne Zweifel die Wahrheit und Richtigkeit
dieser Beschreibungen, die tiefe Menschenkenntniß, das
Licht der Allwissenheit, den Geist der Weissagung, die
liebenswürdige Aufmerksamkeit auf unsre Veredlung, die

trauri-

Menſchenliebe des Erlöſers.
O Chriſten! ſo wie die ganze Natur immer zur Ehre Got-
tes arbeitet, ſo ſeyd auch ihr unaufhörlich mit ſeinen Ab-
ſichten beſchäftigt. Nie müſſe uns die Erde entleiden,
und das Menſchengeſchlecht verhaßt werden. Wenn uns
die Kaltſinnigkeit, die Gleichgültigkeit, die Treuloſigkeit,
die leeren Verſprechungen, das Zögern und Zaudern an-
drer Menſchen mit ihrer armſeligen Hülfe wehe thut, ſo
gehen wir in die ſtille Kammer, laſſen den Thränen, aber
nicht dem Murren und Klagen über andre, den Lauf,
weinen vor Gott, ſtärken uns mit ſeinem Wort, leben
bey ſeinen Verheißungen wieder auf, und ſagen zu ihm:
dennoch bleib ich ſtets bey dir! (Pſ. 73, 23.) Es
iſt ſchwer, aber es iſt das Schickſal des edelſten Theils
der Menſchen. Schöne, gute, liebevolle Seelen werden
wir doch noch überall antreffen, und mit ihnen verſchwi-
ſtert, machen wir uns die Erde zum Paradies, und be-
reiten uns vor zu dem Land, wo kein Haß, kein Neid,
keine Feindſchaft, keine Untreue mehr ſeyn wird, wo alle
harte und grobe Menſchen ausgeſchloſſen ſeyn werden.

Die Menſchenliebe des Erlöſers offenbarte ſich in
allen ſeinen Reden. Seine ſogenannte Gleichniſſe ſind
die getreuſten Schilderungen des menſchlichen Lebens,
und die Erzählung vom Sämann, und vom verſchiede-
nen Erfolg der Saat gehört unſtreitig zu den ſchönſten,
und wichtigſten. Man leſe ſie, und beobachte dabey die
Bewegungen der Seele. (Matth. 13, 3-23. Luc. 8, 4-15.)
Jeder wird ohne Zweifel die Wahrheit und Richtigkeit
dieſer Beſchreibungen, die tiefe Menſchenkenntniß, das
Licht der Allwiſſenheit, den Geiſt der Weiſſagung, die
liebenswürdige Aufmerkſamkeit auf unſre Veredlung, die

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[166/0172] Menſchenliebe des Erlöſers. O Chriſten! ſo wie die ganze Natur immer zur Ehre Got- tes arbeitet, ſo ſeyd auch ihr unaufhörlich mit ſeinen Ab- ſichten beſchäftigt. Nie müſſe uns die Erde entleiden, und das Menſchengeſchlecht verhaßt werden. Wenn uns die Kaltſinnigkeit, die Gleichgültigkeit, die Treuloſigkeit, die leeren Verſprechungen, das Zögern und Zaudern an- drer Menſchen mit ihrer armſeligen Hülfe wehe thut, ſo gehen wir in die ſtille Kammer, laſſen den Thränen, aber nicht dem Murren und Klagen über andre, den Lauf, weinen vor Gott, ſtärken uns mit ſeinem Wort, leben bey ſeinen Verheißungen wieder auf, und ſagen zu ihm: dennoch bleib ich ſtets bey dir! (Pſ. 73, 23.) Es iſt ſchwer, aber es iſt das Schickſal des edelſten Theils der Menſchen. Schöne, gute, liebevolle Seelen werden wir doch noch überall antreffen, und mit ihnen verſchwi- ſtert, machen wir uns die Erde zum Paradies, und be- reiten uns vor zu dem Land, wo kein Haß, kein Neid, keine Feindſchaft, keine Untreue mehr ſeyn wird, wo alle harte und grobe Menſchen ausgeſchloſſen ſeyn werden. Die Menſchenliebe des Erlöſers offenbarte ſich in allen ſeinen Reden. Seine ſogenannte Gleichniſſe ſind die getreuſten Schilderungen des menſchlichen Lebens, und die Erzählung vom Sämann, und vom verſchiede- nen Erfolg der Saat gehört unſtreitig zu den ſchönſten, und wichtigſten. Man leſe ſie, und beobachte dabey die Bewegungen der Seele. (Matth. 13, 3-23. Luc. 8, 4-15.) Jeder wird ohne Zweifel die Wahrheit und Richtigkeit dieſer Beſchreibungen, die tiefe Menſchenkenntniß, das Licht der Allwiſſenheit, den Geiſt der Weiſſagung, die liebenswürdige Aufmerkſamkeit auf unſre Veredlung, die trauri-

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/172>, abgerufen am 22.11.2024.