Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Vergleichung unsers Lebens damit.
aber weil wahre fromme Religion, weil Liebe zu Gott,
und um Gottes willen zu seinen Menschen so selten ist,
so spielen wir mit dem Namen, und kennen, leider! diese
Glückseligkeit nicht. Die Falschheit vertreibt mit zu-
nehmenden Jahren die ruhigern Freuden der Jugend.
O du traurige Erfahrung, wo lebt ein Jüngling, der dich
nicht frühe, theuer genug bezahlen mußte! Die tückischen,
eigennützigen, selbstsüchtigen Gesinnungen entheiligen den
herrlichen Kreis der Freundschaft, und der unverstellten
Zärtlichkeit. Der Neid zerreißt die Blumenkränze wieder,
die Rechtschaffenheit und billige Werthschätzung dem em-
porstrebenden Verdienst gewunden haben. Die mensch-
liche Gesellschaft gleicht einem großen Kampfplatz, wo
tausend feindselige Kräfte beständig gegen einander ge-
spannt sind, und im Verborgenen sich bemühen, jeden
Augenblick hervorzustürzen. Wir ruhen hienieden nie
völlig. Das hab ich von Greisen gehört, denen der
Stab aus den ohnmächtigen Händen sallen wollte, und
wer weiß es nicht, wenn er nur zwanzig Jahre zugesehen
hat? Der Sabbath Gottes erwartet uns erst.
(Ebr. 3, 4.) Die widerstrebenden Leidenschaften schwei-
gen nicht eher, bis wir zum finstern und gemeinschaftli-
chen Haufen der Todten zurückkehren. Ach, so laßt uns
dann von Jesu Christo Weisheit lernen, und du, großer
Geber menschlicher Freuden! pflanze deine Liebe unter
uns, daß uns das Leben leicht, und jede Tugend versüßt
werde! Jn einer Welt, wo so wenige Edle Nahrung für
die Seele, wo viele gute Menschen kaum die Nothwen-
digkeiten dieses Lebens finden können, da lehre uns, uns
unter einander als Brüder lieben, damit es nicht aus-

sterbe

Vergleichung unſers Lebens damit.
aber weil wahre fromme Religion, weil Liebe zu Gott,
und um Gottes willen zu ſeinen Menſchen ſo ſelten iſt,
ſo ſpielen wir mit dem Namen, und kennen, leider! dieſe
Glückſeligkeit nicht. Die Falſchheit vertreibt mit zu-
nehmenden Jahren die ruhigern Freuden der Jugend.
O du traurige Erfahrung, wo lebt ein Jüngling, der dich
nicht frühe, theuer genug bezahlen mußte! Die tückiſchen,
eigennützigen, ſelbſtſüchtigen Geſinnungen entheiligen den
herrlichen Kreis der Freundſchaft, und der unverſtellten
Zärtlichkeit. Der Neid zerreißt die Blumenkränze wieder,
die Rechtſchaffenheit und billige Werthſchätzung dem em-
porſtrebenden Verdienſt gewunden haben. Die menſch-
liche Geſellſchaft gleicht einem großen Kampfplatz, wo
tauſend feindſelige Kräfte beſtändig gegen einander ge-
ſpannt ſind, und im Verborgenen ſich bemühen, jeden
Augenblick hervorzuſtürzen. Wir ruhen hienieden nie
völlig. Das hab ich von Greiſen gehört, denen der
Stab aus den ohnmächtigen Händen ſallen wollte, und
wer weiß es nicht, wenn er nur zwanzig Jahre zugeſehen
hat? Der Sabbath Gottes erwartet uns erſt.
(Ebr. 3, 4.) Die widerſtrebenden Leidenſchaften ſchwei-
gen nicht eher, bis wir zum finſtern und gemeinſchaftli-
chen Haufen der Todten zurückkehren. Ach, ſo laßt uns
dann von Jeſu Chriſto Weisheit lernen, und du, großer
Geber menſchlicher Freuden! pflanze deine Liebe unter
uns, daß uns das Leben leicht, und jede Tugend verſüßt
werde! Jn einer Welt, wo ſo wenige Edle Nahrung für
die Seele, wo viele gute Menſchen kaum die Nothwen-
digkeiten dieſes Lebens finden können, da lehre uns, uns
unter einander als Brüder lieben, damit es nicht aus-

ſterbe
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0145" n="139"/><fw place="top" type="header">Vergleichung un&#x017F;ers Lebens damit.</fw><lb/>
aber weil wahre fromme Religion, weil Liebe zu Gott,<lb/>
und um Gottes willen zu &#x017F;einen Men&#x017F;chen &#x017F;o &#x017F;elten i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;pielen wir mit dem Namen, und kennen, leider! die&#x017F;e<lb/>
Glück&#x017F;eligkeit nicht. Die Fal&#x017F;chheit vertreibt mit zu-<lb/>
nehmenden Jahren die ruhigern Freuden der Jugend.<lb/>
O du traurige Erfahrung, wo lebt ein Jüngling, der dich<lb/>
nicht frühe, theuer genug bezahlen mußte! Die tücki&#x017F;chen,<lb/>
eigennützigen, &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;üchtigen Ge&#x017F;innungen entheiligen den<lb/>
herrlichen Kreis der Freund&#x017F;chaft, und der unver&#x017F;tellten<lb/>
Zärtlichkeit. Der Neid zerreißt die Blumenkränze wieder,<lb/>
die Recht&#x017F;chaffenheit und billige Werth&#x017F;chätzung dem em-<lb/>
por&#x017F;trebenden Verdien&#x017F;t gewunden haben. Die men&#x017F;ch-<lb/>
liche Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft gleicht einem großen Kampfplatz, wo<lb/>
tau&#x017F;end feind&#x017F;elige Kräfte be&#x017F;tändig gegen einander ge-<lb/>
&#x017F;pannt &#x017F;ind, und im Verborgenen &#x017F;ich bemühen, jeden<lb/>
Augenblick hervorzu&#x017F;türzen. Wir ruhen hienieden nie<lb/>
völlig. Das hab ich von Grei&#x017F;en gehört, denen der<lb/>
Stab aus den ohnmächtigen Händen &#x017F;allen wollte, und<lb/>
wer weiß es nicht, wenn er nur zwanzig Jahre zuge&#x017F;ehen<lb/>
hat? <hi rendition="#fr">Der Sabbath Gottes erwartet uns er&#x017F;t.</hi><lb/>
(Ebr. 3, 4.) Die wider&#x017F;trebenden Leiden&#x017F;chaften &#x017F;chwei-<lb/>
gen nicht eher, bis wir zum fin&#x017F;tern und gemein&#x017F;chaftli-<lb/>
chen Haufen der Todten zurückkehren. Ach, &#x017F;o laßt uns<lb/>
dann von Je&#x017F;u Chri&#x017F;to Weisheit lernen, und du, großer<lb/>
Geber men&#x017F;chlicher Freuden! pflanze deine Liebe unter<lb/>
uns, daß uns das Leben leicht, und jede Tugend ver&#x017F;üßt<lb/>
werde! Jn einer Welt, wo &#x017F;o wenige Edle Nahrung für<lb/>
die Seele, wo viele gute Men&#x017F;chen kaum die Nothwen-<lb/>
digkeiten die&#x017F;es Lebens finden können, da lehre uns, uns<lb/>
unter einander als Brüder lieben, damit es nicht aus-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;terbe</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0145] Vergleichung unſers Lebens damit. aber weil wahre fromme Religion, weil Liebe zu Gott, und um Gottes willen zu ſeinen Menſchen ſo ſelten iſt, ſo ſpielen wir mit dem Namen, und kennen, leider! dieſe Glückſeligkeit nicht. Die Falſchheit vertreibt mit zu- nehmenden Jahren die ruhigern Freuden der Jugend. O du traurige Erfahrung, wo lebt ein Jüngling, der dich nicht frühe, theuer genug bezahlen mußte! Die tückiſchen, eigennützigen, ſelbſtſüchtigen Geſinnungen entheiligen den herrlichen Kreis der Freundſchaft, und der unverſtellten Zärtlichkeit. Der Neid zerreißt die Blumenkränze wieder, die Rechtſchaffenheit und billige Werthſchätzung dem em- porſtrebenden Verdienſt gewunden haben. Die menſch- liche Geſellſchaft gleicht einem großen Kampfplatz, wo tauſend feindſelige Kräfte beſtändig gegen einander ge- ſpannt ſind, und im Verborgenen ſich bemühen, jeden Augenblick hervorzuſtürzen. Wir ruhen hienieden nie völlig. Das hab ich von Greiſen gehört, denen der Stab aus den ohnmächtigen Händen ſallen wollte, und wer weiß es nicht, wenn er nur zwanzig Jahre zugeſehen hat? Der Sabbath Gottes erwartet uns erſt. (Ebr. 3, 4.) Die widerſtrebenden Leidenſchaften ſchwei- gen nicht eher, bis wir zum finſtern und gemeinſchaftli- chen Haufen der Todten zurückkehren. Ach, ſo laßt uns dann von Jeſu Chriſto Weisheit lernen, und du, großer Geber menſchlicher Freuden! pflanze deine Liebe unter uns, daß uns das Leben leicht, und jede Tugend verſüßt werde! Jn einer Welt, wo ſo wenige Edle Nahrung für die Seele, wo viele gute Menſchen kaum die Nothwen- digkeiten dieſes Lebens finden können, da lehre uns, uns unter einander als Brüder lieben, damit es nicht aus- ſterbe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/145
Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/145>, abgerufen am 25.11.2024.