Schorndorf war ehemals fest, und ist jetzt ein Landstädtchen. Eben so Waiblingen, und mancher andrer Ort an der Strasse. Canstadt liegt von wei- tem sehr schön, in einem Thal am Neckar, der hier sehr breit wird, durch einen Damm, den man in den Strom gebaut hat. Aber man betrügt sich in der Er- wartung. Die Stadt ist finster, eng, am schönsten ist es vor der Stadt, aussen am Neckar, wo das Rau- schen des Stroms in der stillen Nacht sehr angenehm ist. Im Posthause ist ein Brunnen mit einigen Röh- ren in der Wirthsstube, und dabei ein Fischkasten für Aale, Hechte etc. Finden Sie das nicht sehr bequem? Auch hier belebte der Herbst alles. Man hörte im- mer das freudige Schiessen, Raketen stiegen in die Höhe, und kleine Feuerwerke wurden am Wasser ange- zündet.
Als ich nach Hause kam, blühete (im Oktober) in unserm botanischen Garten Curcuma longa L. eine Pflanze, die Linne'e schwerlich in der Blüte gesehen hat. Die Blüte kam unten aus dem Sten- gel, die Blumenblätter waren weis, sehr zärtlich, eine Blüthe steckte in der andern, und sie verwelk- ten bald.
Da haben Sie nun, meine Beste! die kleinen Bemerkungen, die ich gesammelt habe. Wollte Gott, daß Sie einmal in dieser schönen Jahrszeit zu mir kom- men, und so mit mir durch Berg und Thal, durch Feld und Wald, durch Städte und Dörfer reisen könn- ten! Wie vergnügt würden wir seyn! Wie vieles wür-
de
Schorndorf war ehemals feſt, und iſt jetzt ein Landſtaͤdtchen. Eben ſo Waiblingen, und mancher andrer Ort an der Straſſe. Canſtadt liegt von wei- tem ſehr ſchoͤn, in einem Thal am Neckar, der hier ſehr breit wird, durch einen Damm, den man in den Strom gebaut hat. Aber man betruͤgt ſich in der Er- wartung. Die Stadt iſt finſter, eng, am ſchoͤnſten iſt es vor der Stadt, auſſen am Neckar, wo das Rau- ſchen des Stroms in der ſtillen Nacht ſehr angenehm iſt. Im Poſthauſe iſt ein Brunnen mit einigen Roͤh- ren in der Wirthsſtube, und dabei ein Fiſchkaſten fuͤr Aale, Hechte ꝛc. Finden Sie das nicht ſehr bequem? Auch hier belebte der Herbſt alles. Man hoͤrte im- mer das freudige Schieſſen, Raketen ſtiegen in die Hoͤhe, und kleine Feuerwerke wurden am Waſſer ange- zuͤndet.
Als ich nach Hauſe kam, bluͤhete (im Oktober) in unſerm botaniſchen Garten Curcuma longa L. eine Pflanze, die Linne’e ſchwerlich in der Bluͤte geſehen hat. Die Bluͤte kam unten aus dem Sten- gel, die Blumenblaͤtter waren weis, ſehr zaͤrtlich, eine Bluͤthe ſteckte in der andern, und ſie verwelk- ten bald.
Da haben Sie nun, meine Beſte! die kleinen Bemerkungen, die ich geſammelt habe. Wollte Gott, daß Sie einmal in dieſer ſchoͤnen Jahrszeit zu mir kom- men, und ſo mit mir durch Berg und Thal, durch Feld und Wald, durch Staͤdte und Doͤrfer reiſen koͤnn- ten! Wie vergnuͤgt wuͤrden wir ſeyn! Wie vieles wuͤr-
de
<TEI><text><body><divn="1"><divn="3"><pbfacs="#f0097"n="59"/><p><hirendition="#fr">Schorndorf</hi> war ehemals feſt, und iſt jetzt ein<lb/>
Landſtaͤdtchen. Eben ſo <hirendition="#fr">Waiblingen,</hi> und mancher<lb/>
andrer Ort an der Straſſe. <hirendition="#fr">Canſtadt</hi> liegt von wei-<lb/>
tem ſehr ſchoͤn, in einem Thal am <hirendition="#fr">Neckar,</hi> der hier<lb/>ſehr breit wird, durch einen Damm, den man in den<lb/>
Strom gebaut hat. Aber man betruͤgt ſich in der Er-<lb/>
wartung. Die Stadt iſt finſter, eng, am ſchoͤnſten<lb/>
iſt es vor der Stadt, auſſen am <hirendition="#fr">Neckar,</hi> wo das Rau-<lb/>ſchen des Stroms in der ſtillen Nacht ſehr angenehm<lb/>
iſt. Im Poſthauſe iſt ein Brunnen mit einigen Roͤh-<lb/>
ren in der <hirendition="#fr">Wirthsſtube,</hi> und dabei ein Fiſchkaſten fuͤr<lb/>
Aale, Hechte ꝛc. Finden Sie das nicht ſehr bequem?<lb/>
Auch hier belebte der Herbſt alles. Man hoͤrte im-<lb/>
mer das freudige Schieſſen, Raketen ſtiegen in die<lb/>
Hoͤhe, und kleine Feuerwerke wurden am Waſſer ange-<lb/>
zuͤndet.</p><lb/><p>Als ich nach Hauſe kam, bluͤhete (im Oktober)<lb/>
in unſerm botaniſchen Garten <hirendition="#aq">Curcuma longa L.</hi><lb/>
eine Pflanze, die <hirendition="#fr">Linne’e</hi>ſchwerlich in der Bluͤte<lb/>
geſehen hat. Die Bluͤte kam unten aus dem Sten-<lb/>
gel, die Blumenblaͤtter waren weis, ſehr zaͤrtlich,<lb/>
eine Bluͤthe ſteckte in der andern, und ſie verwelk-<lb/>
ten bald.</p><lb/><p>Da haben Sie nun, <hirendition="#fr">meine Beſte!</hi> die kleinen<lb/>
Bemerkungen, die ich geſammelt habe. Wollte Gott,<lb/>
daß Sie einmal in dieſer ſchoͤnen Jahrszeit zu mir kom-<lb/>
men, und ſo mit mir durch Berg und Thal, durch<lb/>
Feld und Wald, durch Staͤdte und Doͤrfer reiſen koͤnn-<lb/>
ten! Wie vergnuͤgt wuͤrden wir ſeyn! Wie vieles wuͤr-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">de</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[59/0097]
Schorndorf war ehemals feſt, und iſt jetzt ein
Landſtaͤdtchen. Eben ſo Waiblingen, und mancher
andrer Ort an der Straſſe. Canſtadt liegt von wei-
tem ſehr ſchoͤn, in einem Thal am Neckar, der hier
ſehr breit wird, durch einen Damm, den man in den
Strom gebaut hat. Aber man betruͤgt ſich in der Er-
wartung. Die Stadt iſt finſter, eng, am ſchoͤnſten
iſt es vor der Stadt, auſſen am Neckar, wo das Rau-
ſchen des Stroms in der ſtillen Nacht ſehr angenehm
iſt. Im Poſthauſe iſt ein Brunnen mit einigen Roͤh-
ren in der Wirthsſtube, und dabei ein Fiſchkaſten fuͤr
Aale, Hechte ꝛc. Finden Sie das nicht ſehr bequem?
Auch hier belebte der Herbſt alles. Man hoͤrte im-
mer das freudige Schieſſen, Raketen ſtiegen in die
Hoͤhe, und kleine Feuerwerke wurden am Waſſer ange-
zuͤndet.
Als ich nach Hauſe kam, bluͤhete (im Oktober)
in unſerm botaniſchen Garten Curcuma longa L.
eine Pflanze, die Linne’e ſchwerlich in der Bluͤte
geſehen hat. Die Bluͤte kam unten aus dem Sten-
gel, die Blumenblaͤtter waren weis, ſehr zaͤrtlich,
eine Bluͤthe ſteckte in der andern, und ſie verwelk-
ten bald.
Da haben Sie nun, meine Beſte! die kleinen
Bemerkungen, die ich geſammelt habe. Wollte Gott,
daß Sie einmal in dieſer ſchoͤnen Jahrszeit zu mir kom-
men, und ſo mit mir durch Berg und Thal, durch
Feld und Wald, durch Staͤdte und Doͤrfer reiſen koͤnn-
ten! Wie vergnuͤgt wuͤrden wir ſeyn! Wie vieles wuͤr-
de
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/97>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.