wöhnt. Ich fand Stallknechte so religiös, daß sie, als die Glocke um 12. Uhr geläutet wurde, vor der Haberki- ste niederknieten, und ihr Gebet verrichteten. Das Städtchen Aichach hat 200. Bürger, braut alle Jahre 800. Eimer Bier, und gibt davon als Ohmgeld an den Churfürsten, vermöge einer Konvention, 600. Gulden.
Auf diesem Wege sah ich auch einer Bayerischen Kirmes oder Kirchweihe zu, und ich wünschte, Sie hätten die Bayerischen Tänze gesehen. Mit der grösten Ehrerbietung fragte ich erst um Erlaubniß, ehe ich mich auf den Tanzboden wagte, aber die Bauerkerl waren höflich, und boten mir ihre Tänzerinnen an, wenn ich Lust gehabt hätte. Allein ich glaube, das Blut wäre mir aus allen Adern hervorgedrungen, wenn ich nur eine Viertelstunde so hätte rasen sollte, wie diese. Wer am laut- sten stampfen, und am Ende das Mädchen recht herzhaft aufheben, und es wieder auf den Boden stossen konnte, daß das Haus zitterte, der war Meister in der Kunst, und bekam das schönste Band auf den Hut. Doch be- merkte ich nicht die geringste Verletzung des Wohlstandes oder der Ehrbarkeit.
Bei Donauwerth kommt man auf beiden Seiten der Stadt etlichemahl über die Donau, und von dort ging der Weg nach Dillingen über die schönsten Frucht- felder hin. Anderthalb Stunden vorher ist das Städt- chen Höchstadt, wo 1703. unsre Nachbarn, die Franzo- sen, nach Verdienst geklopft wurden. Sie können leicht denken, daß ich mit wahrem deutschen Patriotismus über die Gräber der Franzosen hinritt. --
In
D 2
woͤhnt. Ich fand Stallknechte ſo religioͤs, daß ſie, als die Glocke um 12. Uhr gelaͤutet wurde, vor der Haberki- ſte niederknieten, und ihr Gebet verrichteten. Das Staͤdtchen Aichach hat 200. Buͤrger, braut alle Jahre 800. Eimer Bier, und gibt davon als Ohmgeld an den Churfuͤrſten, vermoͤge einer Konvention, 600. Gulden.
Auf dieſem Wege ſah ich auch einer Bayeriſchen Kirmes oder Kirchweihe zu, und ich wuͤnſchte, Sie haͤtten die Bayeriſchen Taͤnze geſehen. Mit der groͤſten Ehrerbietung fragte ich erſt um Erlaubniß, ehe ich mich auf den Tanzboden wagte, aber die Bauerkerl waren hoͤflich, und boten mir ihre Taͤnzerinnen an, wenn ich Luſt gehabt haͤtte. Allein ich glaube, das Blut waͤre mir aus allen Adern hervorgedrungen, wenn ich nur eine Viertelſtunde ſo haͤtte raſen ſollte, wie dieſe. Wer am laut- ſten ſtampfen, und am Ende das Maͤdchen recht herzhaft aufheben, und es wieder auf den Boden ſtoſſen konnte, daß das Haus zitterte, der war Meiſter in der Kunſt, und bekam das ſchoͤnſte Band auf den Hut. Doch be- merkte ich nicht die geringſte Verletzung des Wohlſtandes oder der Ehrbarkeit.
Bei Donauwerth kommt man auf beiden Seiten der Stadt etlichemahl uͤber die Donau, und von dort ging der Weg nach Dillingen uͤber die ſchoͤnſten Frucht- felder hin. Anderthalb Stunden vorher iſt das Staͤdt- chen Hoͤchſtadt, wo 1703. unſre Nachbarn, die Franzo- ſen, nach Verdienſt geklopft wurden. Sie koͤnnen leicht denken, daß ich mit wahrem deutſchen Patriotismus uͤber die Graͤber der Franzoſen hinritt. —
In
D 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="3"><p><pbfacs="#f0089"n="51"/>
woͤhnt. Ich fand Stallknechte ſo religioͤs, daß ſie, als<lb/>
die Glocke um 12. Uhr gelaͤutet wurde, vor der Haberki-<lb/>ſte niederknieten, und ihr Gebet verrichteten. Das<lb/>
Staͤdtchen <hirendition="#fr">Aichach</hi> hat 200. Buͤrger, braut alle Jahre<lb/>
800. Eimer Bier, und gibt davon als Ohmgeld an den<lb/>
Churfuͤrſten, vermoͤge einer Konvention, 600. Gulden.</p><lb/><p>Auf dieſem Wege ſah ich auch einer Bayeriſchen<lb/><hirendition="#fr">Kirmes</hi> oder Kirchweihe zu, und ich wuͤnſchte, Sie<lb/>
haͤtten die <hirendition="#fr">Bayer</hi>iſchen Taͤnze geſehen. Mit der groͤſten<lb/>
Ehrerbietung fragte ich erſt um Erlaubniß, ehe ich mich<lb/>
auf den Tanzboden wagte, aber die Bauerkerl waren<lb/>
hoͤflich, und boten mir ihre Taͤnzerinnen an, wenn ich<lb/>
Luſt gehabt haͤtte. Allein ich glaube, das Blut waͤre<lb/>
mir aus allen Adern hervorgedrungen, wenn ich nur eine<lb/>
Viertelſtunde ſo haͤtte raſen ſollte, wie dieſe. Wer am laut-<lb/>ſten ſtampfen, und am Ende das Maͤdchen recht herzhaft<lb/>
aufheben, und es wieder auf den Boden ſtoſſen konnte,<lb/>
daß das Haus zitterte, der war Meiſter in der Kunſt,<lb/>
und bekam das ſchoͤnſte Band auf den Hut. Doch be-<lb/>
merkte ich nicht die geringſte Verletzung des Wohlſtandes<lb/>
oder der Ehrbarkeit.</p><lb/><p>Bei <hirendition="#fr">Donauwerth</hi> kommt man auf beiden Seiten<lb/>
der Stadt etlichemahl uͤber die <hirendition="#fr">Donau,</hi> und von dort<lb/>
ging der Weg nach <hirendition="#fr">Dillingen</hi> uͤber die ſchoͤnſten Frucht-<lb/>
felder hin. Anderthalb Stunden vorher iſt das Staͤdt-<lb/>
chen <hirendition="#fr">Hoͤchſtadt,</hi> wo 1703. unſre Nachbarn, die Franzo-<lb/>ſen, nach Verdienſt geklopft wurden. Sie koͤnnen leicht<lb/>
denken, daß ich mit wahrem deutſchen Patriotismus uͤber<lb/>
die Graͤber der Franzoſen hinritt. —</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">D 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">In</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[51/0089]
woͤhnt. Ich fand Stallknechte ſo religioͤs, daß ſie, als
die Glocke um 12. Uhr gelaͤutet wurde, vor der Haberki-
ſte niederknieten, und ihr Gebet verrichteten. Das
Staͤdtchen Aichach hat 200. Buͤrger, braut alle Jahre
800. Eimer Bier, und gibt davon als Ohmgeld an den
Churfuͤrſten, vermoͤge einer Konvention, 600. Gulden.
Auf dieſem Wege ſah ich auch einer Bayeriſchen
Kirmes oder Kirchweihe zu, und ich wuͤnſchte, Sie
haͤtten die Bayeriſchen Taͤnze geſehen. Mit der groͤſten
Ehrerbietung fragte ich erſt um Erlaubniß, ehe ich mich
auf den Tanzboden wagte, aber die Bauerkerl waren
hoͤflich, und boten mir ihre Taͤnzerinnen an, wenn ich
Luſt gehabt haͤtte. Allein ich glaube, das Blut waͤre
mir aus allen Adern hervorgedrungen, wenn ich nur eine
Viertelſtunde ſo haͤtte raſen ſollte, wie dieſe. Wer am laut-
ſten ſtampfen, und am Ende das Maͤdchen recht herzhaft
aufheben, und es wieder auf den Boden ſtoſſen konnte,
daß das Haus zitterte, der war Meiſter in der Kunſt,
und bekam das ſchoͤnſte Band auf den Hut. Doch be-
merkte ich nicht die geringſte Verletzung des Wohlſtandes
oder der Ehrbarkeit.
Bei Donauwerth kommt man auf beiden Seiten
der Stadt etlichemahl uͤber die Donau, und von dort
ging der Weg nach Dillingen uͤber die ſchoͤnſten Frucht-
felder hin. Anderthalb Stunden vorher iſt das Staͤdt-
chen Hoͤchſtadt, wo 1703. unſre Nachbarn, die Franzo-
ſen, nach Verdienſt geklopft wurden. Sie koͤnnen leicht
denken, daß ich mit wahrem deutſchen Patriotismus uͤber
die Graͤber der Franzoſen hinritt. —
In
D 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/89>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.