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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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ich mit Hr. Algöwer einen Spaziergang in der Stadt
herum, wobei wir allerlei besahen. Zuletzt wird man
freilich der engen Gäßchen, der Winkel und der Brücken
müde. Man sieht auch viele eingefallene Häuser, welche
die Armuth nicht wieder auf bauen kan.

In den Kirchen hängen frcilich hie und da schöne
Gemälde, aber die meisten Kirchen sind zu finster, als
daß man sie recht genau sehen könnte.

In allen Kirchen, in welchen ich war, sind 2. Kan-
zeln
gegen einander über, da werden oft Disputationen
gehalten. Die Kanzeln sind weit, breit, haben einen
langen Eingang.

Wir gingen bis an das Kastel oder an das Ende
der Stadt, und besahen die Kirche des Patriarchen.
So heißt hier der erste Geistliche. Die Kirche ist völlig
Kreuzförmig und modern gebaut, und dabei hell. Im
Chor hat der Patriarch seinen Sitz unter einem Baldachin.

Wir hörten auch einem italiänischen Prediger
zu. Im prächtigsten Meßgewand redete er über die h.
Messe und den Fronleichnamstag, schnell, lebhaft, aber
wie ein vollkommener Komödiant auf dem Theater. Zu-
weilen deklamirte er eine Stelle sehr schön, nachher mach-
te er wieder die allerübertriebensten Gestus. Sein Schnupf-
tuch hatte er auch neben sich liegen. Zuweilen ging er
einige Schritte hin und her. An der linken Hand hatte
das Kleid Quasten, oder so etwas herabhängendes, das
an der rechten Hand nicht war. Damit spielte er nun
beständig, drehte es zusammen, schlug es mit ein, wenn
er die Hände zusammenfaltete.

Am Sonntage wird auf dem Markusplatze öf-
fentlich gepredigt mitten im Ab- und Zulaufen, und im

hundert-
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ich mit Hr. Algoͤwer einen Spaziergang in der Stadt
herum, wobei wir allerlei beſahen. Zuletzt wird man
freilich der engen Gaͤßchen, der Winkel und der Bruͤcken
muͤde. Man ſieht auch viele eingefallene Haͤuſer, welche
die Armuth nicht wieder auf bauen kan.

In den Kirchen haͤngen frcilich hie und da ſchoͤne
Gemaͤlde, aber die meiſten Kirchen ſind zu finſter, als
daß man ſie recht genau ſehen koͤnnte.

In allen Kirchen, in welchen ich war, ſind 2. Kan-
zeln
gegen einander uͤber, da werden oft Diſputationen
gehalten. Die Kanzeln ſind weit, breit, haben einen
langen Eingang.

Wir gingen bis an das Kaſtel oder an das Ende
der Stadt, und beſahen die Kirche des Patriarchen.
So heißt hier der erſte Geiſtliche. Die Kirche iſt voͤllig
Kreuzfoͤrmig und modern gebaut, und dabei hell. Im
Chor hat der Patriarch ſeinen Sitz unter einem Baldachin.

Wir hoͤrten auch einem italiaͤniſchen Prediger
zu. Im praͤchtigſten Meßgewand redete er uͤber die h.
Meſſe und den Fronleichnamstag, ſchnell, lebhaft, aber
wie ein vollkommener Komoͤdiant auf dem Theater. Zu-
weilen deklamirte er eine Stelle ſehr ſchoͤn, nachher mach-
te er wieder die alleruͤbertriebenſten Geſtus. Sein Schnupf-
tuch hatte er auch neben ſich liegen. Zuweilen ging er
einige Schritte hin und her. An der linken Hand hatte
das Kleid Quaſten, oder ſo etwas herabhaͤngendes, das
an der rechten Hand nicht war. Damit ſpielte er nun
beſtaͤndig, drehte es zuſammen, ſchlug es mit ein, wenn
er die Haͤnde zuſammenfaltete.

Am Sonntage wird auf dem Markusplatze oͤf-
fentlich gepredigt mitten im Ab- und Zulaufen, und im

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[629/0667] ich mit Hr. Algoͤwer einen Spaziergang in der Stadt herum, wobei wir allerlei beſahen. Zuletzt wird man freilich der engen Gaͤßchen, der Winkel und der Bruͤcken muͤde. Man ſieht auch viele eingefallene Haͤuſer, welche die Armuth nicht wieder auf bauen kan. In den Kirchen haͤngen frcilich hie und da ſchoͤne Gemaͤlde, aber die meiſten Kirchen ſind zu finſter, als daß man ſie recht genau ſehen koͤnnte. In allen Kirchen, in welchen ich war, ſind 2. Kan- zeln gegen einander uͤber, da werden oft Diſputationen gehalten. Die Kanzeln ſind weit, breit, haben einen langen Eingang. Wir gingen bis an das Kaſtel oder an das Ende der Stadt, und beſahen die Kirche des Patriarchen. So heißt hier der erſte Geiſtliche. Die Kirche iſt voͤllig Kreuzfoͤrmig und modern gebaut, und dabei hell. Im Chor hat der Patriarch ſeinen Sitz unter einem Baldachin. Wir hoͤrten auch einem italiaͤniſchen Prediger zu. Im praͤchtigſten Meßgewand redete er uͤber die h. Meſſe und den Fronleichnamstag, ſchnell, lebhaft, aber wie ein vollkommener Komoͤdiant auf dem Theater. Zu- weilen deklamirte er eine Stelle ſehr ſchoͤn, nachher mach- te er wieder die alleruͤbertriebenſten Geſtus. Sein Schnupf- tuch hatte er auch neben ſich liegen. Zuweilen ging er einige Schritte hin und her. An der linken Hand hatte das Kleid Quaſten, oder ſo etwas herabhaͤngendes, das an der rechten Hand nicht war. Damit ſpielte er nun beſtaͤndig, drehte es zuſammen, ſchlug es mit ein, wenn er die Haͤnde zuſammenfaltete. Am Sonntage wird auf dem Markusplatze oͤf- fentlich gepredigt mitten im Ab- und Zulaufen, und im hundert- R r 3

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 629. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/667>, abgerufen am 27.11.2024.