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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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Gebraten, wie sie die Amerikaner auf den Tisch brin-
gen, schmeckte sie, wie gekochte süsse Birnen.

Nach diesem amerikanischen Frühstück hörte ich der
Musik zu, die seine Kinder mit Singen und Instru-
menten machten. Der Lehrer war ein Italiäner, und
man läßt hier die Kinder eher Welsch als Englisch ler-
nen. Jacquin vergnügt sich auch selbst mit der Mu-
sik, auch hat er noch so ein gutes Gesicht, daß er eine
Pflanze auf 30. Schritt erkennt, aber bei jeder Gelegen-
heit erwacht der Seufzer des ehrlichen Mannes, den
Nahrungssorgen auspressen. Unglückliches Land, wo
man sich vor dem Monarchen fürchtet, und sobald man
seinen Namen hört, traurig wird! Warum muß doch
alles in der Welt zwo Seiten haben? -- Warum ma-
chen wir sogar nichts Vollkommenes im Menschenleben?
Ist's nicht der weiseste Wunsch: Nicht ohne Nutzen,
aber schnell zu leben?

Er hat auch ein grosses Zimmer zum Seminarium
bestimmt. Da stehen viele tausend Pflanzen-Saamen
in Gläsern mit Namen, in Repositorien, wie in einer
Apothecke, über einander. Einheimische Pflanzen-Saa-
men werden aber hier nicht aufgehoben. Bemerkt er an
einem Saamen einen besondern Geruch, wie z. E. einen
starken Erdbeerengeruch am geriebenen Saamen einer
Nigellenart, so macht er im Winter Versuche in der Che-
mie damit. Denn im Sommer denkt er an nichts als
Botanik, und im Winter weis er von nichts, als von Che-
mie. Ach, und der edle Fleiß soll darben!

Ich fragte ihn auch, ob er nicht amerikanische
Farbhölzer
bei uns ziehen könnte? Er meinte, es sei
unmöglich, weil die zu uns kommenden Hölzer wenig-

stens

Gebraten, wie ſie die Amerikaner auf den Tiſch brin-
gen, ſchmeckte ſie, wie gekochte ſuͤſſe Birnen.

Nach dieſem amerikaniſchen Fruͤhſtuͤck hoͤrte ich der
Muſik zu, die ſeine Kinder mit Singen und Inſtru-
menten machten. Der Lehrer war ein Italiaͤner, und
man laͤßt hier die Kinder eher Welſch als Engliſch ler-
nen. Jacquin vergnuͤgt ſich auch ſelbſt mit der Mu-
ſik, auch hat er noch ſo ein gutes Geſicht, daß er eine
Pflanze auf 30. Schritt erkennt, aber bei jeder Gelegen-
heit erwacht der Seufzer des ehrlichen Mannes, den
Nahrungsſorgen auspreſſen. Ungluͤckliches Land, wo
man ſich vor dem Monarchen fuͤrchtet, und ſobald man
ſeinen Namen hoͤrt, traurig wird! Warum muß doch
alles in der Welt zwo Seiten haben? — Warum ma-
chen wir ſogar nichts Vollkommenes im Menſchenleben?
Iſt’s nicht der weiſeſte Wunſch: Nicht ohne Nutzen,
aber ſchnell zu leben?

Er hat auch ein groſſes Zimmer zum Seminarium
beſtimmt. Da ſtehen viele tauſend Pflanzen-Saamen
in Glaͤſern mit Namen, in Repoſitorien, wie in einer
Apothecke, uͤber einander. Einheimiſche Pflanzen-Saa-
men werden aber hier nicht aufgehoben. Bemerkt er an
einem Saamen einen beſondern Geruch, wie z. E. einen
ſtarken Erdbeerengeruch am geriebenen Saamen einer
Nigellenart, ſo macht er im Winter Verſuche in der Che-
mie damit. Denn im Sommer denkt er an nichts als
Botanik, und im Winter weis er von nichts, als von Che-
mie. Ach, und der edle Fleiß ſoll darben!

Ich fragte ihn auch, ob er nicht amerikaniſche
Farbhoͤlzer
bei uns ziehen koͤnnte? Er meinte, es ſei
unmoͤglich, weil die zu uns kommenden Hoͤlzer wenig-

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[546/0584] Gebraten, wie ſie die Amerikaner auf den Tiſch brin- gen, ſchmeckte ſie, wie gekochte ſuͤſſe Birnen. Nach dieſem amerikaniſchen Fruͤhſtuͤck hoͤrte ich der Muſik zu, die ſeine Kinder mit Singen und Inſtru- menten machten. Der Lehrer war ein Italiaͤner, und man laͤßt hier die Kinder eher Welſch als Engliſch ler- nen. Jacquin vergnuͤgt ſich auch ſelbſt mit der Mu- ſik, auch hat er noch ſo ein gutes Geſicht, daß er eine Pflanze auf 30. Schritt erkennt, aber bei jeder Gelegen- heit erwacht der Seufzer des ehrlichen Mannes, den Nahrungsſorgen auspreſſen. Ungluͤckliches Land, wo man ſich vor dem Monarchen fuͤrchtet, und ſobald man ſeinen Namen hoͤrt, traurig wird! Warum muß doch alles in der Welt zwo Seiten haben? — Warum ma- chen wir ſogar nichts Vollkommenes im Menſchenleben? Iſt’s nicht der weiſeſte Wunſch: Nicht ohne Nutzen, aber ſchnell zu leben? Er hat auch ein groſſes Zimmer zum Seminarium beſtimmt. Da ſtehen viele tauſend Pflanzen-Saamen in Glaͤſern mit Namen, in Repoſitorien, wie in einer Apothecke, uͤber einander. Einheimiſche Pflanzen-Saa- men werden aber hier nicht aufgehoben. Bemerkt er an einem Saamen einen beſondern Geruch, wie z. E. einen ſtarken Erdbeerengeruch am geriebenen Saamen einer Nigellenart, ſo macht er im Winter Verſuche in der Che- mie damit. Denn im Sommer denkt er an nichts als Botanik, und im Winter weis er von nichts, als von Che- mie. Ach, und der edle Fleiß ſoll darben! Ich fragte ihn auch, ob er nicht amerikaniſche Farbhoͤlzer bei uns ziehen koͤnnte? Er meinte, es ſei unmoͤglich, weil die zu uns kommenden Hoͤlzer wenig- ſtens

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 546. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/584>, abgerufen am 27.11.2024.