Examen in der Kaiserl. Normalschule. -- Sie hat schöne grosse Säle, und man sieht, daß es Lehrern und Vorstehern ein Ernst seyn soll. Die Schule war sehr zahlreich. Die Kinder sitzen einander gegenüber, in immer höhern Bänken. Am Ende fragt man sie, ob sie sich wollen um des Studirens willen für die lateini- sche Klassen examiniren lassen, oder nicht? Der Ober- aufseher hatte das Register in der Hand, und rief im- mer zu jeder Frage den Antwortenden, ausser der Ord- nung selber auf. Die Schüler geben so lange und weitläuf- tige Antworten, daß es beinahe dem blos Auswendig- gelernten gleich kommt. Die Lehrer sind alle Geistliche, Exjesuiten etc. Die Kompendien für die Normalschule sind bekannt. Ich hörte über Religion und biblische Geschichte examiniren *). Ganz Katholisches kam da- bei nicht vor, im Gegentheil wurden die Beweise für das Daseyn Gottes bei Röm. I, 21. besser entwickelt, und scheinen im Lehrbuche besser angegeben zu seyn, als bei uns. Auch einige Damen waren da, doch nicht mehr als 3-4. von Stande. Ich machte hier Bekanntschaft mit dem Vorsteher der Schule für die Arabische, Per- sische, Griechische und andre Sprachen, wo die jungen Leute in diesen Sprachen nicht um der Bibel willen, sondern wegen des Gebrauchs, den der Kaiser in Geschäften mit jenen Völkern von ihnen macht, unterrichtet werden. Dieser Vorsteher wohnt in dem nämlichen Hause, dem ehemaligen Jesuiterkollegium, war aber auch hier nur als Zuhörer.
Bemer-
*) Die Examinatoren hatten doch alle das Kompendium in der Hand, und examinirten aus dem Buche.
Examen in der Kaiſerl. Normalſchule. — Sie hat ſchoͤne groſſe Saͤle, und man ſieht, daß es Lehrern und Vorſtehern ein Ernſt ſeyn ſoll. Die Schule war ſehr zahlreich. Die Kinder ſitzen einander gegenuͤber, in immer hoͤhern Baͤnken. Am Ende fragt man ſie, ob ſie ſich wollen um des Studirens willen fuͤr die lateini- ſche Klaſſen examiniren laſſen, oder nicht? Der Ober- aufſeher hatte das Regiſter in der Hand, und rief im- mer zu jeder Frage den Antwortenden, auſſer der Ord- nung ſelber auf. Die Schuͤler geben ſo lange und weitlaͤuf- tige Antworten, daß es beinahe dem blos Auswendig- gelernten gleich kommt. Die Lehrer ſind alle Geiſtliche, Exjeſuiten ꝛc. Die Kompendien fuͤr die Normalſchule ſind bekannt. Ich hoͤrte uͤber Religion und bibliſche Geſchichte examiniren *). Ganz Katholiſches kam da- bei nicht vor, im Gegentheil wurden die Beweiſe fuͤr das Daſeyn Gottes bei Roͤm. I, 21. beſſer entwickelt, und ſcheinen im Lehrbuche beſſer angegeben zu ſeyn, als bei uns. Auch einige Damen waren da, doch nicht mehr als 3-4. von Stande. Ich machte hier Bekanntſchaft mit dem Vorſteher der Schule fuͤr die Arabiſche, Per- ſiſche, Griechiſche und andre Sprachen, wo die jungen Leute in dieſen Sprachen nicht um der Bibel willen, ſondern wegen des Gebrauchs, den der Kaiſer in Geſchaͤften mit jenen Voͤlkern von ihnen macht, unterrichtet werden. Dieſer Vorſteher wohnt in dem naͤmlichen Hauſe, dem ehemaligen Jeſuiterkollegium, war aber auch hier nur als Zuhoͤrer.
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*) Die Examinatoren hatten doch alle das Kompendium in der Hand, und examinirten aus dem Buche.
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Examen in der Kaiſerl. Normalſchule. — Sie
hat ſchoͤne groſſe Saͤle, und man ſieht, daß es Lehrern
und Vorſtehern ein Ernſt ſeyn ſoll. Die Schule war
ſehr zahlreich. Die Kinder ſitzen einander gegenuͤber, in
immer hoͤhern Baͤnken. Am Ende fragt man ſie, ob
ſie ſich wollen um des Studirens willen fuͤr die lateini-
ſche Klaſſen examiniren laſſen, oder nicht? Der Ober-
aufſeher hatte das Regiſter in der Hand, und rief im-
mer zu jeder Frage den Antwortenden, auſſer der Ord-
nung ſelber auf. Die Schuͤler geben ſo lange und weitlaͤuf-
tige Antworten, daß es beinahe dem blos Auswendig-
gelernten gleich kommt. Die Lehrer ſind alle Geiſtliche,
Exjeſuiten ꝛc. Die Kompendien fuͤr die Normalſchule
ſind bekannt. Ich hoͤrte uͤber Religion und bibliſche
Geſchichte examiniren *). Ganz Katholiſches kam da-
bei nicht vor, im Gegentheil wurden die Beweiſe fuͤr das
Daſeyn Gottes bei Roͤm. I, 21. beſſer entwickelt, und
ſcheinen im Lehrbuche beſſer angegeben zu ſeyn, als bei
uns. Auch einige Damen waren da, doch nicht mehr
als 3-4. von Stande. Ich machte hier Bekanntſchaft
mit dem Vorſteher der Schule fuͤr die Arabiſche, Per-
ſiſche, Griechiſche und andre Sprachen, wo die jungen
Leute in dieſen Sprachen nicht um der Bibel willen, ſondern
wegen des Gebrauchs, den der Kaiſer in Geſchaͤften mit
jenen Voͤlkern von ihnen macht, unterrichtet werden.
Dieſer Vorſteher wohnt in dem naͤmlichen Hauſe, dem
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*) Die Examinatoren hatten doch alle das Kompendium
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/546>, abgerufen am 28.11.2024.
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