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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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die, so zweifelten, hieltens doch für einen süssen Irrthum,
den sie behalten wollten. -- Die Wilden in Amertka
glaubens selber. Die ganze Anwendung war in sechs
Worten, daß also die Christen, die es nicht glauben,
entweder blödsinniger oder lasterhafter als die Heiden wä-
ren! -- So eine Predigt, wie Baer auch eine in Pa-
ris
(s. S. 65. des 1ten Th.) hielt, sagt man, ist in so
grossen Städten, wo Libertinage und Freigeisterei
herrscht, nöthig. -- Aber die, welche ein solch System
haben, gehen nicht hinein; es fassen lauter Handwerks-
bursche, Professionisten, Soldaten, Bediente, Bür-
ger und Bürgersfrauen, und etwa junge unverständige
Fräulein von einigen Gesandten und Agenten da. Für
die Kommunikanten sagte er nun vollends kein Wort.
Leicht ist so eine Predigt, viel leichter, als alle dogmatische
und moralische, denn das alles ist vorgearbeitet in so vie-
len Systemen, Kompendien, Wahrheiten der christli-
chen Religion, von Lardner, Abbadie, Leß etc. Nach
der Predigt ward gar kein allgemein umfassendes Gebet
gesprochen, der Prediger ging mit dem V. U. und dem
Segen weg. Man sang noch ein Lied, wiewohl viele
schon hinausliefen. -- Betrübter Anblick von einer
Menge Protestanten, die sich eng zusammenziehen muß,
um Gottes Wort zu hören, in einer Stadt, die so viele
Palläste, so viele leere Plätze hat!

Hierauf bekam ich einen Besuch von Hrn. Vo-
gel
auf dem Baron Friesschen Comtoir. Der
gute Mann beschwerte sich, daß er keinen Tag frei
habe, als den Sonntag. Er sei schon 24. Jahr
hier, und doch noch wie fremd, weil er nicht immer
essen, trinken, spielen wolle, und andre Unterhal-

tung

die, ſo zweifelten, hieltens doch fuͤr einen ſuͤſſen Irrthum,
den ſie behalten wollten. — Die Wilden in Amertka
glaubens ſelber. Die ganze Anwendung war in ſechs
Worten, daß alſo die Chriſten, die es nicht glauben,
entweder bloͤdſinniger oder laſterhafter als die Heiden waͤ-
ren! — So eine Predigt, wie Baer auch eine in Pa-
ris
(ſ. S. 65. des 1ten Th.) hielt, ſagt man, iſt in ſo
groſſen Staͤdten, wo Libertinage und Freigeiſterei
herrſcht, noͤthig. — Aber die, welche ein ſolch Syſtem
haben, gehen nicht hinein; es faſſen lauter Handwerks-
burſche, Profeſſioniſten, Soldaten, Bediente, Buͤr-
ger und Buͤrgersfrauen, und etwa junge unverſtaͤndige
Fraͤulein von einigen Geſandten und Agenten da. Fuͤr
die Kommunikanten ſagte er nun vollends kein Wort.
Leicht iſt ſo eine Predigt, viel leichter, als alle dogmatiſche
und moraliſche, denn das alles iſt vorgearbeitet in ſo vie-
len Syſtemen, Kompendien, Wahrheiten der chriſtli-
chen Religion, von Lardner, Abbadie, Leß ꝛc. Nach
der Predigt ward gar kein allgemein umfaſſendes Gebet
geſprochen, der Prediger ging mit dem V. U. und dem
Segen weg. Man ſang noch ein Lied, wiewohl viele
ſchon hinausliefen. — Betruͤbter Anblick von einer
Menge Proteſtanten, die ſich eng zuſammenziehen muß,
um Gottes Wort zu hoͤren, in einer Stadt, die ſo viele
Pallaͤſte, ſo viele leere Plaͤtze hat!

Hierauf bekam ich einen Beſuch von Hrn. Vo-
gel
auf dem Baron Friesſchen Comtoir. Der
gute Mann beſchwerte ſich, daß er keinen Tag frei
habe, als den Sonntag. Er ſei ſchon 24. Jahr
hier, und doch noch wie fremd, weil er nicht immer
eſſen, trinken, ſpielen wolle, und andre Unterhal-

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[486/0524] die, ſo zweifelten, hieltens doch fuͤr einen ſuͤſſen Irrthum, den ſie behalten wollten. — Die Wilden in Amertka glaubens ſelber. Die ganze Anwendung war in ſechs Worten, daß alſo die Chriſten, die es nicht glauben, entweder bloͤdſinniger oder laſterhafter als die Heiden waͤ- ren! — So eine Predigt, wie Baer auch eine in Pa- ris (ſ. S. 65. des 1ten Th.) hielt, ſagt man, iſt in ſo groſſen Staͤdten, wo Libertinage und Freigeiſterei herrſcht, noͤthig. — Aber die, welche ein ſolch Syſtem haben, gehen nicht hinein; es faſſen lauter Handwerks- burſche, Profeſſioniſten, Soldaten, Bediente, Buͤr- ger und Buͤrgersfrauen, und etwa junge unverſtaͤndige Fraͤulein von einigen Geſandten und Agenten da. Fuͤr die Kommunikanten ſagte er nun vollends kein Wort. Leicht iſt ſo eine Predigt, viel leichter, als alle dogmatiſche und moraliſche, denn das alles iſt vorgearbeitet in ſo vie- len Syſtemen, Kompendien, Wahrheiten der chriſtli- chen Religion, von Lardner, Abbadie, Leß ꝛc. Nach der Predigt ward gar kein allgemein umfaſſendes Gebet geſprochen, der Prediger ging mit dem V. U. und dem Segen weg. Man ſang noch ein Lied, wiewohl viele ſchon hinausliefen. — Betruͤbter Anblick von einer Menge Proteſtanten, die ſich eng zuſammenziehen muß, um Gottes Wort zu hoͤren, in einer Stadt, die ſo viele Pallaͤſte, ſo viele leere Plaͤtze hat! Hierauf bekam ich einen Beſuch von Hrn. Vo- gel auf dem Baron Friesſchen Comtoir. Der gute Mann beſchwerte ſich, daß er keinen Tag frei habe, als den Sonntag. Er ſei ſchon 24. Jahr hier, und doch noch wie fremd, weil er nicht immer eſſen, trinken, ſpielen wolle, und andre Unterhal- tung

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/524>, abgerufen am 24.11.2024.