Man sieht hier immer alle mögliche Nationen, Un- garische Bauern mit Pelzröcken, Griechen, Juden aus entfernten Ländern, Wallachen, Türken etc.
Sehr leichte, dünne Betten, mehr Decken als Fe- derbetten sind hier Mode. Ueber Wanzen und Flöhe klagt man hier gewaltig, aber von Ratten spricht man als von einer hier ganz unerhörten Plage.
In jeder Strasse geht immer ein Polizeiwächter auf und ab. Man kennt sie an den gelben Kamisölern. Diese sind das Schrecken der Fuhrleute, Fiakers etc. wenn diese grob sind.
Aber viel schöner sind hier die Fiakres und Lohnkut- schen, als in Paris.
Neben den Reihen von Kaffeehäusern sind auch zwi- schen der Stadt und den Vorstädten grosse Bordels mit frechen Dirnen angefüllt. Die grossen Herrschaften, Kavaliers etc. geben freilich auch oft ein schlechtes Bei- spiel: von vielen erzählt man garstige Geschichten, auch ist oft der Ton in Gesellschaften vom Stande ziemlich frei, zuweilen gar schmutzig.
Vortreflich erhaltenes Obst, und eine unglaubliche Menge süsser Pomeranze nverkaufte man noch jetzt über- all und wohlfeil.
Das Kräuter- und Gartenwerk, das in der Stadt verkauft wird, ist ganz unübersehlich, und doch verliert es sich in der Menge der Leute so, daß das Gemüse bei Tisch immer die kleinste Schüssel ausmacht.
Man trinkt hier bei Tisch nach der Suppe einen Wermuthwein, auch hat man einen braunen Cham- pagner, bei dem man aber das Moußiren erst durch ein- gestreuten Zucker ins Kelchglas erregt.
Den
Man ſieht hier immer alle moͤgliche Nationen, Un- gariſche Bauern mit Pelzroͤcken, Griechen, Juden aus entfernten Laͤndern, Wallachen, Tuͤrken ꝛc.
Sehr leichte, duͤnne Betten, mehr Decken als Fe- derbetten ſind hier Mode. Ueber Wanzen und Floͤhe klagt man hier gewaltig, aber von Ratten ſpricht man als von einer hier ganz unerhoͤrten Plage.
In jeder Straſſe geht immer ein Polizeiwaͤchter auf und ab. Man kennt ſie an den gelben Kamiſoͤlern. Dieſe ſind das Schrecken der Fuhrleute, Fiakers ꝛc. wenn dieſe grob ſind.
Aber viel ſchoͤner ſind hier die Fiakres und Lohnkut- ſchen, als in Paris.
Neben den Reihen von Kaffeehaͤuſern ſind auch zwi- ſchen der Stadt und den Vorſtaͤdten groſſe Bordels mit frechen Dirnen angefuͤllt. Die groſſen Herrſchaften, Kavaliers ꝛc. geben freilich auch oft ein ſchlechtes Bei- ſpiel: von vielen erzaͤhlt man garſtige Geſchichten, auch iſt oft der Ton in Geſellſchaften vom Stande ziemlich frei, zuweilen gar ſchmutzig.
Vortreflich erhaltenes Obſt, und eine unglaubliche Menge ſuͤſſer Pomeranze nverkaufte man noch jetzt uͤber- all und wohlfeil.
Das Kraͤuter- und Gartenwerk, das in der Stadt verkauft wird, iſt ganz unuͤberſehlich, und doch verliert es ſich in der Menge der Leute ſo, daß das Gemuͤſe bei Tiſch immer die kleinſte Schuͤſſel ausmacht.
Man trinkt hier bei Tiſch nach der Suppe einen Wermuthwein, auch hat man einen braunen Cham- pagner, bei dem man aber das Moußiren erſt durch ein- geſtreuten Zucker ins Kelchglas erregt.
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Man ſieht hier immer alle moͤgliche Nationen, Un-
gariſche Bauern mit Pelzroͤcken, Griechen, Juden aus
entfernten Laͤndern, Wallachen, Tuͤrken ꝛc.
Sehr leichte, duͤnne Betten, mehr Decken als Fe-
derbetten ſind hier Mode. Ueber Wanzen und Floͤhe
klagt man hier gewaltig, aber von Ratten ſpricht man
als von einer hier ganz unerhoͤrten Plage.
In jeder Straſſe geht immer ein Polizeiwaͤchter
auf und ab. Man kennt ſie an den gelben Kamiſoͤlern.
Dieſe ſind das Schrecken der Fuhrleute, Fiakers ꝛc. wenn
dieſe grob ſind.
Aber viel ſchoͤner ſind hier die Fiakres und Lohnkut-
ſchen, als in Paris.
Neben den Reihen von Kaffeehaͤuſern ſind auch zwi-
ſchen der Stadt und den Vorſtaͤdten groſſe Bordels mit
frechen Dirnen angefuͤllt. Die groſſen Herrſchaften,
Kavaliers ꝛc. geben freilich auch oft ein ſchlechtes Bei-
ſpiel: von vielen erzaͤhlt man garſtige Geſchichten, auch
iſt oft der Ton in Geſellſchaften vom Stande ziemlich frei,
zuweilen gar ſchmutzig.
Vortreflich erhaltenes Obſt, und eine unglaubliche
Menge ſuͤſſer Pomeranze nverkaufte man noch jetzt uͤber-
all und wohlfeil.
Das Kraͤuter- und Gartenwerk, das in der Stadt
verkauft wird, iſt ganz unuͤberſehlich, und doch verliert
es ſich in der Menge der Leute ſo, daß das Gemuͤſe bei
Tiſch immer die kleinſte Schuͤſſel ausmacht.
Man trinkt hier bei Tiſch nach der Suppe einen
Wermuthwein, auch hat man einen braunen Cham-
pagner, bei dem man aber das Moußiren erſt durch ein-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/508>, abgerufen am 24.11.2024.
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