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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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lien, die er durch die Gnade der verstorbenen Kaiserin er-
halten hat. Beide sind sehr gros, sehr reich; eins ist
ganz mit Smaragden, das andre ganz mit Diamanten
besetzt. An beiden hängen auch reiche und gestickte Bän-
der. Ihro Majestät liessen ihm, als Sie das letzte
schenkten, sogar die Wahl unter mehrern. Da er, wenn
er will, in einem eignen Zimmer neben seinen Wohn-
und Visitenzimmern Messe lesen kan, so bewahrt er auch
dort ein kostbares Meßgewand, an welchem die verstor-
bene Kaiserin ebenfalls Selbst gearbeitet haben. Man
weis, daß Ihro Höchstseel. Majestät eben so geschickt, als
fleissig in allen weiblichen Künsten gewesen sind, und der
Fürst von St. Blasien ist nicht der einzige, auch viele
Evangelische Gesandten und Agenten haben mir versichert,
daß die Kaiserin auch während der Unterredung mit ihnen
immer ein Nähzeug, oder sonst eine weibliche Arbeit un-
ter den Händen gehabt habe. Ist es nicht Pflicht, auch
noch nach dem Tode, recht oft solche schöne und edle Ka-
raktere zu rühmen, damit so viele andre minder wichtige
Personen des weiblichen Geschlechts daran lernen mögen,
was ihre Pflicht ist, und wodurch sie sich wahren Ruhm
erwerben können. Seit einiger Zeit fangen viele Da-
men, die vielleicht sonst die ganze Woche nicht viel arbei-
ten, die sonderbare Gewohnheit an, am Sonntage in
Gesellschaften Filet zu stricken, oder mit andern spieleri-
schen Arbeiten ans Fenster zu treten, und sich dadurch
vom gemeinen Volk, das in die Kirche geht, zu unter-
scheiden. Muß der Weise nicht öfters lächeln, oder spot-
ten, wenn er solche seltsame Grillen unter jenem wunder-
baren Geschlecht herumschleichen sieht?

Die verstorbene Kaiserin belohnte auf diese Art die
seltenen Verdienste des gelehrten und menschenfreundlichen

Fürsten

lien, die er durch die Gnade der verſtorbenen Kaiſerin er-
halten hat. Beide ſind ſehr gros, ſehr reich; eins iſt
ganz mit Smaragden, das andre ganz mit Diamanten
beſetzt. An beiden haͤngen auch reiche und geſtickte Baͤn-
der. Ihro Majeſtaͤt lieſſen ihm, als Sie das letzte
ſchenkten, ſogar die Wahl unter mehrern. Da er, wenn
er will, in einem eignen Zimmer neben ſeinen Wohn-
und Viſitenzimmern Meſſe leſen kan, ſo bewahrt er auch
dort ein koſtbares Meßgewand, an welchem die verſtor-
bene Kaiſerin ebenfalls Selbſt gearbeitet haben. Man
weis, daß Ihro Hoͤchſtſeel. Majeſtaͤt eben ſo geſchickt, als
fleiſſig in allen weiblichen Kuͤnſten geweſen ſind, und der
Fuͤrſt von St. Blaſien iſt nicht der einzige, auch viele
Evangeliſche Geſandten und Agenten haben mir verſichert,
daß die Kaiſerin auch waͤhrend der Unterredung mit ihnen
immer ein Naͤhzeug, oder ſonſt eine weibliche Arbeit un-
ter den Haͤnden gehabt habe. Iſt es nicht Pflicht, auch
noch nach dem Tode, recht oft ſolche ſchoͤne und edle Ka-
raktere zu ruͤhmen, damit ſo viele andre minder wichtige
Perſonen des weiblichen Geſchlechts daran lernen moͤgen,
was ihre Pflicht iſt, und wodurch ſie ſich wahren Ruhm
erwerben koͤnnen. Seit einiger Zeit fangen viele Da-
men, die vielleicht ſonſt die ganze Woche nicht viel arbei-
ten, die ſonderbare Gewohnheit an, am Sonntage in
Geſellſchaften Filet zu ſtricken, oder mit andern ſpieleri-
ſchen Arbeiten ans Fenſter zu treten, und ſich dadurch
vom gemeinen Volk, das in die Kirche geht, zu unter-
ſcheiden. Muß der Weiſe nicht oͤfters laͤcheln, oder ſpot-
ten, wenn er ſolche ſeltſame Grillen unter jenem wunder-
baren Geſchlecht herumſchleichen ſieht?

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[400/0438] lien, die er durch die Gnade der verſtorbenen Kaiſerin er- halten hat. Beide ſind ſehr gros, ſehr reich; eins iſt ganz mit Smaragden, das andre ganz mit Diamanten beſetzt. An beiden haͤngen auch reiche und geſtickte Baͤn- der. Ihro Majeſtaͤt lieſſen ihm, als Sie das letzte ſchenkten, ſogar die Wahl unter mehrern. Da er, wenn er will, in einem eignen Zimmer neben ſeinen Wohn- und Viſitenzimmern Meſſe leſen kan, ſo bewahrt er auch dort ein koſtbares Meßgewand, an welchem die verſtor- bene Kaiſerin ebenfalls Selbſt gearbeitet haben. Man weis, daß Ihro Hoͤchſtſeel. Majeſtaͤt eben ſo geſchickt, als fleiſſig in allen weiblichen Kuͤnſten geweſen ſind, und der Fuͤrſt von St. Blaſien iſt nicht der einzige, auch viele Evangeliſche Geſandten und Agenten haben mir verſichert, daß die Kaiſerin auch waͤhrend der Unterredung mit ihnen immer ein Naͤhzeug, oder ſonſt eine weibliche Arbeit un- ter den Haͤnden gehabt habe. Iſt es nicht Pflicht, auch noch nach dem Tode, recht oft ſolche ſchoͤne und edle Ka- raktere zu ruͤhmen, damit ſo viele andre minder wichtige Perſonen des weiblichen Geſchlechts daran lernen moͤgen, was ihre Pflicht iſt, und wodurch ſie ſich wahren Ruhm erwerben koͤnnen. Seit einiger Zeit fangen viele Da- men, die vielleicht ſonſt die ganze Woche nicht viel arbei- ten, die ſonderbare Gewohnheit an, am Sonntage in Geſellſchaften Filet zu ſtricken, oder mit andern ſpieleri- ſchen Arbeiten ans Fenſter zu treten, und ſich dadurch vom gemeinen Volk, das in die Kirche geht, zu unter- ſcheiden. Muß der Weiſe nicht oͤfters laͤcheln, oder ſpot- ten, wenn er ſolche ſeltſame Grillen unter jenem wunder- baren Geſchlecht herumſchleichen ſieht? Die verſtorbene Kaiſerin belohnte auf dieſe Art die ſeltenen Verdienſte des gelehrten und menſchenfreundlichen Fuͤrſten

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/438>, abgerufen am 22.11.2024.