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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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den, bald mit kleinen hartgefrornen Wassertropfen ver-
mischt. Gar oft fiel, indem es regnete, besonders am
frühen Morgen, auch ein feiner Schnee darzwischen, der
freilich nicht liegen blieb. Plötzlich entstand oft ein brau-
sender Schlagregen, und ein tobender Wind, daß man
für alle Fensterscheiben bange seyn sollte. Der Fremde
bemerkt die schnellen Abwechselungen der Witterung mehr,
als die Leute in St. Blasien, die schon lange an die rau-
he Gegend gewöhnt sind, und wovon der gröste Theil die
meiste Zeit des Lebens im stillen Zimmer zubringt. Wenn
Regen, Schnee und Sturmwind hier einmahl anfangen,
wie jetzt geschah, so ganz entsetzlich zu wüthen, daß der,
der es nicht gesehen hat, sich gar keine Vorstellung davon
machen kan, so weis man aus Erfahrung, daß diese dem
Fremden, der immer nach der Strasse hinaussehen will,
so unangenehme Witterung auch nicht eher aufhört, bis
das Wasser nicht mehr trübe, sondern hell und klar von
den Vergen, die das Kloster überall umschliessen, herab-
fließt, und statt des Nordwindes wieder der Ostwind an-
fängt zu wehen. Daher kömmt es, daß Reisende hier
öfters gleichsam Gefangene, und durch Regen und Schnee
im Kloster eingeschlossen werden. Man hat schon den
Fall gehabt, daß, wenn die Fremden endlich voll Unge-
duld wurden, und nicht mehr länger warten wollten, daß
man Wagen und Chaise aus einander schlagen, alles auf
Schlitten laden, und sie so fortführen lies, bis sie wieder
im Thal und in gelindern Gegenden waren. Mir wäre
es beinahe eben so gegangen. Immer sah ich an den
Berg hinauf, der gerade vor meinen Fenstern in die Hö-
he stieg; aber am frühen Morgen war er mit dünnem
Schnee wie überpudert, und nach Tische mochte ich ihn
nicht ansehen, weil er noch immer Wasser in sich schluck-

te,

den, bald mit kleinen hartgefrornen Waſſertropfen ver-
miſcht. Gar oft fiel, indem es regnete, beſonders am
fruͤhen Morgen, auch ein feiner Schnee darzwiſchen, der
freilich nicht liegen blieb. Ploͤtzlich entſtand oft ein brau-
ſender Schlagregen, und ein tobender Wind, daß man
fuͤr alle Fenſterſcheiben bange ſeyn ſollte. Der Fremde
bemerkt die ſchnellen Abwechſelungen der Witterung mehr,
als die Leute in St. Blaſien, die ſchon lange an die rau-
he Gegend gewoͤhnt ſind, und wovon der groͤſte Theil die
meiſte Zeit des Lebens im ſtillen Zimmer zubringt. Wenn
Regen, Schnee und Sturmwind hier einmahl anfangen,
wie jetzt geſchah, ſo ganz entſetzlich zu wuͤthen, daß der,
der es nicht geſehen hat, ſich gar keine Vorſtellung davon
machen kan, ſo weis man aus Erfahrung, daß dieſe dem
Fremden, der immer nach der Straſſe hinausſehen will,
ſo unangenehme Witterung auch nicht eher aufhoͤrt, bis
das Waſſer nicht mehr truͤbe, ſondern hell und klar von
den Vergen, die das Kloſter uͤberall umſchlieſſen, herab-
fließt, und ſtatt des Nordwindes wieder der Oſtwind an-
faͤngt zu wehen. Daher koͤmmt es, daß Reiſende hier
oͤfters gleichſam Gefangene, und durch Regen und Schnee
im Kloſter eingeſchloſſen werden. Man hat ſchon den
Fall gehabt, daß, wenn die Fremden endlich voll Unge-
duld wurden, und nicht mehr laͤnger warten wollten, daß
man Wagen und Chaiſe aus einander ſchlagen, alles auf
Schlitten laden, und ſie ſo fortfuͤhren lies, bis ſie wieder
im Thal und in gelindern Gegenden waren. Mir waͤre
es beinahe eben ſo gegangen. Immer ſah ich an den
Berg hinauf, der gerade vor meinen Fenſtern in die Hoͤ-
he ſtieg; aber am fruͤhen Morgen war er mit duͤnnem
Schnee wie uͤberpudert, und nach Tiſche mochte ich ihn
nicht anſehen, weil er noch immer Waſſer in ſich ſchluck-

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[398/0436] den, bald mit kleinen hartgefrornen Waſſertropfen ver- miſcht. Gar oft fiel, indem es regnete, beſonders am fruͤhen Morgen, auch ein feiner Schnee darzwiſchen, der freilich nicht liegen blieb. Ploͤtzlich entſtand oft ein brau- ſender Schlagregen, und ein tobender Wind, daß man fuͤr alle Fenſterſcheiben bange ſeyn ſollte. Der Fremde bemerkt die ſchnellen Abwechſelungen der Witterung mehr, als die Leute in St. Blaſien, die ſchon lange an die rau- he Gegend gewoͤhnt ſind, und wovon der groͤſte Theil die meiſte Zeit des Lebens im ſtillen Zimmer zubringt. Wenn Regen, Schnee und Sturmwind hier einmahl anfangen, wie jetzt geſchah, ſo ganz entſetzlich zu wuͤthen, daß der, der es nicht geſehen hat, ſich gar keine Vorſtellung davon machen kan, ſo weis man aus Erfahrung, daß dieſe dem Fremden, der immer nach der Straſſe hinausſehen will, ſo unangenehme Witterung auch nicht eher aufhoͤrt, bis das Waſſer nicht mehr truͤbe, ſondern hell und klar von den Vergen, die das Kloſter uͤberall umſchlieſſen, herab- fließt, und ſtatt des Nordwindes wieder der Oſtwind an- faͤngt zu wehen. Daher koͤmmt es, daß Reiſende hier oͤfters gleichſam Gefangene, und durch Regen und Schnee im Kloſter eingeſchloſſen werden. Man hat ſchon den Fall gehabt, daß, wenn die Fremden endlich voll Unge- duld wurden, und nicht mehr laͤnger warten wollten, daß man Wagen und Chaiſe aus einander ſchlagen, alles auf Schlitten laden, und ſie ſo fortfuͤhren lies, bis ſie wieder im Thal und in gelindern Gegenden waren. Mir waͤre es beinahe eben ſo gegangen. Immer ſah ich an den Berg hinauf, der gerade vor meinen Fenſtern in die Hoͤ- he ſtieg; aber am fruͤhen Morgen war er mit duͤnnem Schnee wie uͤberpudert, und nach Tiſche mochte ich ihn nicht anſehen, weil er noch immer Waſſer in ſich ſchluck- te,

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/436>, abgerufen am 25.11.2024.