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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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plätze, und über schreckliche Steinbrocken hinweg, und
kletterten immer höher. Schade, daß mir die dicken
Nebel, durch die wir einander kaum selber sehen konnten,
das Vergnügen raubten, so manche schöne und weite Aus-
sicht, ganze Reihen von Felsen, die wie Pyramiden da
stehen, und so manche herrliche Wasserfälle deutlich zu
sehen und zu bewundern. Denn weil ich um Mittag
nur noch wenige Stunden von St. Blasien entfernt
seyn, und heute das Stift gewiß erreichen wollte, so wa-
ren wir mit dem Anbruch des Tags ausgeritten, und
scheuten die Kälte nicht, die am 20sten September auf
diesen hohen Gebürgen schon sehr stark war. Wenn ich
nun auf die Ebene, auf das tiefe Thal, in welchem
Carlsruhe liegt, zurück sah, wie hinabgesunken kamen
mir jene Gefilde vor! Wie viele tausend, tausend Schuhe
war ich nun höher, als die Spitze des Schloßthurms,
auf welcher man dort eine weite Aussicht haben kan! Das
erste Stück des Weges, als wir den guten Pfarrer in
Hasel verlassen hatten, führte uns durch einen Wald,
der auf einer Seite dem Hause Oesterreich, und nun
der Schönauischen Familie, und auf der andern mei-
nem Fürsten gehört. Wir kamen an einige enge und
schmale Pässe, deren sich auch die Bosheit schon oft be-
dient hat, um einem armen Wanderer aufzulauern, und
ihn todt zu schlagen. Der Unmensch, der auf das Leben
des Unschuldigen Jagd machen will, damit er ihn desto
leichter berauben kan, versteckt sich hinter den Felsen,
die oft senkrecht in die Höhe stehen, und springt plötzlich
zu, wenn der andre, wie ein ruhiges schuldloses Geschöpf,
durch die todte Stille der Wälder seinen einsamen Pfad
fortwandelt. Ausweichen ist hier unmöglich. Unter
dem Felsen ist östers Wasser, das vielleicht seinen eigenen

Boden

plaͤtze, und uͤber ſchreckliche Steinbrocken hinweg, und
kletterten immer hoͤher. Schade, daß mir die dicken
Nebel, durch die wir einander kaum ſelber ſehen konnten,
das Vergnuͤgen raubten, ſo manche ſchoͤne und weite Aus-
ſicht, ganze Reihen von Felſen, die wie Pyramiden da
ſtehen, und ſo manche herrliche Waſſerfaͤlle deutlich zu
ſehen und zu bewundern. Denn weil ich um Mittag
nur noch wenige Stunden von St. Blaſien entfernt
ſeyn, und heute das Stift gewiß erreichen wollte, ſo wa-
ren wir mit dem Anbruch des Tags ausgeritten, und
ſcheuten die Kaͤlte nicht, die am 20ſten September auf
dieſen hohen Gebuͤrgen ſchon ſehr ſtark war. Wenn ich
nun auf die Ebene, auf das tiefe Thal, in welchem
Carlsruhe liegt, zuruͤck ſah, wie hinabgeſunken kamen
mir jene Gefilde vor! Wie viele tauſend, tauſend Schuhe
war ich nun hoͤher, als die Spitze des Schloßthurms,
auf welcher man dort eine weite Ausſicht haben kan! Das
erſte Stuͤck des Weges, als wir den guten Pfarrer in
Haſel verlaſſen hatten, fuͤhrte uns durch einen Wald,
der auf einer Seite dem Hauſe Oeſterreich, und nun
der Schoͤnauiſchen Familie, und auf der andern mei-
nem Fuͤrſten gehoͤrt. Wir kamen an einige enge und
ſchmale Paͤſſe, deren ſich auch die Bosheit ſchon oft be-
dient hat, um einem armen Wanderer aufzulauern, und
ihn todt zu ſchlagen. Der Unmenſch, der auf das Leben
des Unſchuldigen Jagd machen will, damit er ihn deſto
leichter berauben kan, verſteckt ſich hinter den Felſen,
die oft ſenkrecht in die Hoͤhe ſtehen, und ſpringt ploͤtzlich
zu, wenn der andre, wie ein ruhiges ſchuldloſes Geſchoͤpf,
durch die todte Stille der Waͤlder ſeinen einſamen Pfad
fortwandelt. Ausweichen iſt hier unmoͤglich. Unter
dem Felſen iſt oͤſters Waſſer, das vielleicht ſeinen eigenen

Boden
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[384/0422] plaͤtze, und uͤber ſchreckliche Steinbrocken hinweg, und kletterten immer hoͤher. Schade, daß mir die dicken Nebel, durch die wir einander kaum ſelber ſehen konnten, das Vergnuͤgen raubten, ſo manche ſchoͤne und weite Aus- ſicht, ganze Reihen von Felſen, die wie Pyramiden da ſtehen, und ſo manche herrliche Waſſerfaͤlle deutlich zu ſehen und zu bewundern. Denn weil ich um Mittag nur noch wenige Stunden von St. Blaſien entfernt ſeyn, und heute das Stift gewiß erreichen wollte, ſo wa- ren wir mit dem Anbruch des Tags ausgeritten, und ſcheuten die Kaͤlte nicht, die am 20ſten September auf dieſen hohen Gebuͤrgen ſchon ſehr ſtark war. Wenn ich nun auf die Ebene, auf das tiefe Thal, in welchem Carlsruhe liegt, zuruͤck ſah, wie hinabgeſunken kamen mir jene Gefilde vor! Wie viele tauſend, tauſend Schuhe war ich nun hoͤher, als die Spitze des Schloßthurms, auf welcher man dort eine weite Ausſicht haben kan! Das erſte Stuͤck des Weges, als wir den guten Pfarrer in Haſel verlaſſen hatten, fuͤhrte uns durch einen Wald, der auf einer Seite dem Hauſe Oeſterreich, und nun der Schoͤnauiſchen Familie, und auf der andern mei- nem Fuͤrſten gehoͤrt. Wir kamen an einige enge und ſchmale Paͤſſe, deren ſich auch die Bosheit ſchon oft be- dient hat, um einem armen Wanderer aufzulauern, und ihn todt zu ſchlagen. Der Unmenſch, der auf das Leben des Unſchuldigen Jagd machen will, damit er ihn deſto leichter berauben kan, verſteckt ſich hinter den Felſen, die oft ſenkrecht in die Hoͤhe ſtehen, und ſpringt ploͤtzlich zu, wenn der andre, wie ein ruhiges ſchuldloſes Geſchoͤpf, durch die todte Stille der Waͤlder ſeinen einſamen Pfad fortwandelt. Ausweichen iſt hier unmoͤglich. Unter dem Felſen iſt oͤſters Waſſer, das vielleicht ſeinen eigenen Boden

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/422>, abgerufen am 22.11.2024.