leben, durch Ermatingen, das Städtchen Steckborn, den Flecken Steinen, und das Städtchen Diessen- hofen.
Auf diesem Wege sah ich eine schöne, mir ganz neue Spielart von Tauben, ganz weis mit schwarzem Schwanze.
Das Feld ist meistens schwerer Boden. Sie span- nen sechs Stücke Rindvieh vor jeden Pflug. Sie ziehen aber nicht am Joch, sondern an Stricken, die über die Brust und den Rücken hingehn, also auch nicht an den Hörnern.
In Steinen ist eine hölzerne Brücke über den Rhein, und auf dem Berge jenseit des Stroms stehen etliche Häuser für die Hohewacht. Da sitzt nämlich immer ein Wächter oben, der durch einen rothen Laden nach allen Strassen sehen kan. Er schießt mit Doppel- haken und Stücken, wenn er 6. Reiter beisammen, oder eine Chaise mit 4. Pferden von Ferne kommen sieht. Ich vermuthete, das geschähe deswegen, damit man einan- der in den schmalen Wegen begegnete. Wenn Sie aber die Leute in dem Städtchen fragen, so sagen sie Ihnen in ihrer groben Sprache: Nein, es sei nur ein alter Brauch, den man nicht wollte abkommen lassen.
Denn wahr fand ich es gleich beim Eintritt in die ei- gentliche Schweiz, was man mir vorher gesagt hatte. Der vornehme und der reiche Schweizer ist stolz und grob, und das gemeine Volk ist äusserst vernachlässigt, steckt in tiefer Unwissenheit, hat gemeiniglich gar keine Sitten, schimpft gleich, setzt seine Ehre und Freiheit im- mer oben an, begegnet dem Fremden kalt, ist gar nicht
die
leben, durch Ermatingen, das Staͤdtchen Steckborn, den Flecken Steinen, und das Staͤdtchen Dieſſen- hofen.
Auf dieſem Wege ſah ich eine ſchoͤne, mir ganz neue Spielart von Tauben, ganz weis mit ſchwarzem Schwanze.
Das Feld iſt meiſtens ſchwerer Boden. Sie ſpan- nen ſechs Stuͤcke Rindvieh vor jeden Pflug. Sie ziehen aber nicht am Joch, ſondern an Stricken, die uͤber die Bruſt und den Ruͤcken hingehn, alſo auch nicht an den Hoͤrnern.
In Steinen iſt eine hoͤlzerne Bruͤcke uͤber den Rhein, und auf dem Berge jenſeit des Stroms ſtehen etliche Haͤuſer fuͤr die Hohewacht. Da ſitzt naͤmlich immer ein Waͤchter oben, der durch einen rothen Laden nach allen Straſſen ſehen kan. Er ſchießt mit Doppel- haken und Stuͤcken, wenn er 6. Reiter beiſammen, oder eine Chaiſe mit 4. Pferden von Ferne kommen ſieht. Ich vermuthete, das geſchaͤhe deswegen, damit man einan- der in den ſchmalen Wegen begegnete. Wenn Sie aber die Leute in dem Staͤdtchen fragen, ſo ſagen ſie Ihnen in ihrer groben Sprache: Nein, es ſei nur ein alter Brauch, den man nicht wollte abkommen laſſen.
Denn wahr fand ich es gleich beim Eintritt in die ei- gentliche Schweiz, was man mir vorher geſagt hatte. Der vornehme und der reiche Schweizer iſt ſtolz und grob, und das gemeine Volk iſt aͤuſſerſt vernachlaͤſſigt, ſteckt in tiefer Unwiſſenheit, hat gemeiniglich gar keine Sitten, ſchimpft gleich, ſetzt ſeine Ehre und Freiheit im- mer oben an, begegnet dem Fremden kalt, iſt gar nicht
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leben, durch Ermatingen, das Staͤdtchen Steckborn,
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hofen.
Auf dieſem Wege ſah ich eine ſchoͤne, mir ganz neue
Spielart von Tauben, ganz weis mit ſchwarzem
Schwanze.
Das Feld iſt meiſtens ſchwerer Boden. Sie ſpan-
nen ſechs Stuͤcke Rindvieh vor jeden Pflug. Sie ziehen
aber nicht am Joch, ſondern an Stricken, die uͤber die
Bruſt und den Ruͤcken hingehn, alſo auch nicht an den
Hoͤrnern.
In Steinen iſt eine hoͤlzerne Bruͤcke uͤber den
Rhein, und auf dem Berge jenſeit des Stroms ſtehen
etliche Haͤuſer fuͤr die Hohewacht. Da ſitzt naͤmlich
immer ein Waͤchter oben, der durch einen rothen Laden
nach allen Straſſen ſehen kan. Er ſchießt mit Doppel-
haken und Stuͤcken, wenn er 6. Reiter beiſammen, oder
eine Chaiſe mit 4. Pferden von Ferne kommen ſieht. Ich
vermuthete, das geſchaͤhe deswegen, damit man einan-
der in den ſchmalen Wegen begegnete. Wenn Sie aber
die Leute in dem Staͤdtchen fragen, ſo ſagen ſie Ihnen
in ihrer groben Sprache: Nein, es ſei nur ein alter
Brauch, den man nicht wollte abkommen laſſen.
Denn wahr fand ich es gleich beim Eintritt in die ei-
gentliche Schweiz, was man mir vorher geſagt hatte.
Der vornehme und der reiche Schweizer iſt ſtolz und
grob, und das gemeine Volk iſt aͤuſſerſt vernachlaͤſſigt,
ſteckt in tiefer Unwiſſenheit, hat gemeiniglich gar keine
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/323>, abgerufen am 25.11.2024.
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