Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

leben, durch Ermatingen, das Städtchen Steckborn,
den Flecken Steinen, und das Städtchen Diessen-
hofen.

Auf diesem Wege sah ich eine schöne, mir ganz neue
Spielart von Tauben, ganz weis mit schwarzem
Schwanze.

Das Feld ist meistens schwerer Boden. Sie span-
nen sechs Stücke Rindvieh vor jeden Pflug. Sie ziehen
aber nicht am Joch, sondern an Stricken, die über die
Brust und den Rücken hingehn, also auch nicht an den
Hörnern.

In Steinen ist eine hölzerne Brücke über den
Rhein, und auf dem Berge jenseit des Stroms stehen
etliche Häuser für die Hohewacht. Da sitzt nämlich
immer ein Wächter oben, der durch einen rothen Laden
nach allen Strassen sehen kan. Er schießt mit Doppel-
haken und Stücken, wenn er 6. Reiter beisammen, oder
eine Chaise mit 4. Pferden von Ferne kommen sieht. Ich
vermuthete, das geschähe deswegen, damit man einan-
der in den schmalen Wegen begegnete. Wenn Sie aber
die Leute in dem Städtchen fragen, so sagen sie Ihnen
in ihrer groben Sprache: Nein, es sei nur ein alter
Brauch, den man nicht wollte abkommen lassen.

Denn wahr fand ich es gleich beim Eintritt in die ei-
gentliche Schweiz, was man mir vorher gesagt hatte.
Der vornehme und der reiche Schweizer ist stolz und
grob, und das gemeine Volk ist äusserst vernachlässigt,
steckt in tiefer Unwissenheit, hat gemeiniglich gar keine
Sitten, schimpft gleich, setzt seine Ehre und Freiheit im-
mer oben an, begegnet dem Fremden kalt, ist gar nicht

die

leben, durch Ermatingen, das Staͤdtchen Steckborn,
den Flecken Steinen, und das Staͤdtchen Dieſſen-
hofen.

Auf dieſem Wege ſah ich eine ſchoͤne, mir ganz neue
Spielart von Tauben, ganz weis mit ſchwarzem
Schwanze.

Das Feld iſt meiſtens ſchwerer Boden. Sie ſpan-
nen ſechs Stuͤcke Rindvieh vor jeden Pflug. Sie ziehen
aber nicht am Joch, ſondern an Stricken, die uͤber die
Bruſt und den Ruͤcken hingehn, alſo auch nicht an den
Hoͤrnern.

In Steinen iſt eine hoͤlzerne Bruͤcke uͤber den
Rhein, und auf dem Berge jenſeit des Stroms ſtehen
etliche Haͤuſer fuͤr die Hohewacht. Da ſitzt naͤmlich
immer ein Waͤchter oben, der durch einen rothen Laden
nach allen Straſſen ſehen kan. Er ſchießt mit Doppel-
haken und Stuͤcken, wenn er 6. Reiter beiſammen, oder
eine Chaiſe mit 4. Pferden von Ferne kommen ſieht. Ich
vermuthete, das geſchaͤhe deswegen, damit man einan-
der in den ſchmalen Wegen begegnete. Wenn Sie aber
die Leute in dem Staͤdtchen fragen, ſo ſagen ſie Ihnen
in ihrer groben Sprache: Nein, es ſei nur ein alter
Brauch, den man nicht wollte abkommen laſſen.

Denn wahr fand ich es gleich beim Eintritt in die ei-
gentliche Schweiz, was man mir vorher geſagt hatte.
Der vornehme und der reiche Schweizer iſt ſtolz und
grob, und das gemeine Volk iſt aͤuſſerſt vernachlaͤſſigt,
ſteckt in tiefer Unwiſſenheit, hat gemeiniglich gar keine
Sitten, ſchimpft gleich, ſetzt ſeine Ehre und Freiheit im-
mer oben an, begegnet dem Fremden kalt, iſt gar nicht

die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0323" n="285"/><hi rendition="#fr">leben,</hi> durch <hi rendition="#fr">Ermatingen,</hi> das Sta&#x0364;dtchen <hi rendition="#fr">Steckborn,</hi><lb/>
den Flecken <hi rendition="#fr">Steinen,</hi> und das Sta&#x0364;dtchen <hi rendition="#fr">Die&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
hofen.</hi></p><lb/>
          <p>Auf die&#x017F;em Wege &#x017F;ah ich eine &#x017F;cho&#x0364;ne, mir ganz neue<lb/>
Spielart von <hi rendition="#fr">Tauben,</hi> ganz weis mit &#x017F;chwarzem<lb/>
Schwanze.</p><lb/>
          <p>Das <hi rendition="#fr">Feld</hi> i&#x017F;t mei&#x017F;tens &#x017F;chwerer Boden. Sie &#x017F;pan-<lb/>
nen &#x017F;echs Stu&#x0364;cke Rindvieh vor jeden Pflug. Sie ziehen<lb/>
aber nicht am Joch, &#x017F;ondern an Stricken, die u&#x0364;ber die<lb/>
Bru&#x017F;t und den Ru&#x0364;cken hingehn, al&#x017F;o auch nicht an den<lb/>
Ho&#x0364;rnern.</p><lb/>
          <p>In <hi rendition="#fr">Steinen</hi> i&#x017F;t eine ho&#x0364;lzerne Bru&#x0364;cke u&#x0364;ber den<lb/><hi rendition="#fr">Rhein,</hi> und auf dem Berge jen&#x017F;eit des Stroms &#x017F;tehen<lb/>
etliche Ha&#x0364;u&#x017F;er fu&#x0364;r die <hi rendition="#fr">Hohewacht.</hi> Da &#x017F;itzt na&#x0364;mlich<lb/>
immer ein Wa&#x0364;chter oben, der durch einen rothen Laden<lb/>
nach allen Stra&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ehen kan. Er &#x017F;chießt mit Doppel-<lb/>
haken und Stu&#x0364;cken, wenn er 6. Reiter bei&#x017F;ammen, oder<lb/>
eine Chai&#x017F;e mit 4. Pferden von Ferne kommen &#x017F;ieht. Ich<lb/>
vermuthete, das ge&#x017F;cha&#x0364;he deswegen, damit man einan-<lb/>
der in den &#x017F;chmalen Wegen begegnete. Wenn Sie aber<lb/>
die Leute in dem Sta&#x0364;dtchen fragen, &#x017F;o &#x017F;agen &#x017F;ie Ihnen<lb/>
in ihrer groben Sprache: Nein, es &#x017F;ei nur ein alter<lb/>
Brauch, den man nicht wollte abkommen la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Denn wahr fand ich es gleich beim Eintritt in die ei-<lb/>
gentliche <hi rendition="#fr">Schweiz,</hi> was man mir vorher ge&#x017F;agt hatte.<lb/>
Der vornehme und der reiche Schweizer i&#x017F;t &#x017F;tolz und<lb/>
grob, und das gemeine Volk i&#x017F;t a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;t vernachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igt,<lb/>
&#x017F;teckt in tiefer Unwi&#x017F;&#x017F;enheit, hat gemeiniglich gar keine<lb/>
Sitten, &#x017F;chimpft gleich, &#x017F;etzt &#x017F;eine Ehre und Freiheit im-<lb/>
mer oben an, begegnet dem Fremden kalt, i&#x017F;t gar nicht<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[285/0323] leben, durch Ermatingen, das Staͤdtchen Steckborn, den Flecken Steinen, und das Staͤdtchen Dieſſen- hofen. Auf dieſem Wege ſah ich eine ſchoͤne, mir ganz neue Spielart von Tauben, ganz weis mit ſchwarzem Schwanze. Das Feld iſt meiſtens ſchwerer Boden. Sie ſpan- nen ſechs Stuͤcke Rindvieh vor jeden Pflug. Sie ziehen aber nicht am Joch, ſondern an Stricken, die uͤber die Bruſt und den Ruͤcken hingehn, alſo auch nicht an den Hoͤrnern. In Steinen iſt eine hoͤlzerne Bruͤcke uͤber den Rhein, und auf dem Berge jenſeit des Stroms ſtehen etliche Haͤuſer fuͤr die Hohewacht. Da ſitzt naͤmlich immer ein Waͤchter oben, der durch einen rothen Laden nach allen Straſſen ſehen kan. Er ſchießt mit Doppel- haken und Stuͤcken, wenn er 6. Reiter beiſammen, oder eine Chaiſe mit 4. Pferden von Ferne kommen ſieht. Ich vermuthete, das geſchaͤhe deswegen, damit man einan- der in den ſchmalen Wegen begegnete. Wenn Sie aber die Leute in dem Staͤdtchen fragen, ſo ſagen ſie Ihnen in ihrer groben Sprache: Nein, es ſei nur ein alter Brauch, den man nicht wollte abkommen laſſen. Denn wahr fand ich es gleich beim Eintritt in die ei- gentliche Schweiz, was man mir vorher geſagt hatte. Der vornehme und der reiche Schweizer iſt ſtolz und grob, und das gemeine Volk iſt aͤuſſerſt vernachlaͤſſigt, ſteckt in tiefer Unwiſſenheit, hat gemeiniglich gar keine Sitten, ſchimpft gleich, ſetzt ſeine Ehre und Freiheit im- mer oben an, begegnet dem Fremden kalt, iſt gar nicht die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/323
Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/323>, abgerufen am 25.11.2024.