Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

Man behauptet, daß nach der Wasserwaage die
Rheinbrücke bei Costanz eben die Höhe habe, welche
die Würtembergische Festung Hohentwiel hat. So
viel sah ich, daß von Aicheldingen an, wo man das
Bergschlos Twiel gegenüber zum erstenmal sieht, das
Land immer höher und bergan geht.

Auch noch am letzten Abend machte ich mir das Ver-
gnügen, das Sinken der Sonne, und den kommenden
Abend auf der Brücke über dem stillen See anzusehen und
zu bewundern. Keine Sprache erreicht die prächtige
Feier der Natur, und keine menschliche Kunst kan ein
ähnliches Schauspiel darstellen. Noch waren die äusser-
sten Schweizergebirge oben mit Schnee bedeckt. In
der Mitte waren sie blau, und unten schon grün. Je
weiter der Sommer kommt, desto grüner werden sie.
Zuletzt bleibt auf ihnen nicht so viel Schnee liegen, als
man auf einmal sehen konnte. Ehe die Brücke geschlos-
sen ward, ging ich noch einmal hin, und nahm mit stil-
len Empfindungen Abschied von dem schönen See, den
eben ein purpurrother Kranz der untergehenden Sonne
umgab. Es war nicht anders, als wenn man einen
feuerrothen Gürtel, ein flammendes Band um den See
gezogen hätte.

Von Costanz nach Schafhausen geht der Weg
meistens am Rhein hinab, wo zuweilen ganz vortrefliche
Landschaften vorkommen. In den Dörfern sieht man
überall Fähren, Schiffe, Tonnen etc. Die Schweizer
schätzen die Entfernung nur auf 8-9. Stunden, aber es
sind 12. von den gewöhnlichen. Erst reiset man durch
das Paradies, an der Festung Gottleben vorbei, wo
Huß gefangen sas; hernach durch ein grosses Dorf Gott-

leben,

Man behauptet, daß nach der Waſſerwaage die
Rheinbruͤcke bei Coſtanz eben die Hoͤhe habe, welche
die Wuͤrtembergiſche Feſtung Hohentwiel hat. So
viel ſah ich, daß von Aicheldingen an, wo man das
Bergſchlos Twiel gegenuͤber zum erſtenmal ſieht, das
Land immer hoͤher und bergan geht.

Auch noch am letzten Abend machte ich mir das Ver-
gnuͤgen, das Sinken der Sonne, und den kommenden
Abend auf der Bruͤcke uͤber dem ſtillen See anzuſehen und
zu bewundern. Keine Sprache erreicht die praͤchtige
Feier der Natur, und keine menſchliche Kunſt kan ein
aͤhnliches Schauſpiel darſtellen. Noch waren die aͤuſſer-
ſten Schweizergebirge oben mit Schnee bedeckt. In
der Mitte waren ſie blau, und unten ſchon gruͤn. Je
weiter der Sommer kommt, deſto gruͤner werden ſie.
Zuletzt bleibt auf ihnen nicht ſo viel Schnee liegen, als
man auf einmal ſehen konnte. Ehe die Bruͤcke geſchloſ-
ſen ward, ging ich noch einmal hin, und nahm mit ſtil-
len Empfindungen Abſchied von dem ſchoͤnen See, den
eben ein purpurrother Kranz der untergehenden Sonne
umgab. Es war nicht anders, als wenn man einen
feuerrothen Guͤrtel, ein flammendes Band um den See
gezogen haͤtte.

Von Coſtanz nach Schafhauſen geht der Weg
meiſtens am Rhein hinab, wo zuweilen ganz vortrefliche
Landſchaften vorkommen. In den Doͤrfern ſieht man
uͤberall Faͤhren, Schiffe, Tonnen ꝛc. Die Schweizer
ſchaͤtzen die Entfernung nur auf 8-9. Stunden, aber es
ſind 12. von den gewoͤhnlichen. Erſt reiſet man durch
das Paradies, an der Feſtung Gottleben vorbei, wo
Huß gefangen ſas; hernach durch ein groſſes Dorf Gott-

leben,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0322" n="284"/>
          <p>Man behauptet, daß nach der Wa&#x017F;&#x017F;erwaage die<lb/><hi rendition="#fr">Rheinbru&#x0364;cke</hi> bei <hi rendition="#fr">Co&#x017F;tanz</hi> eben die Ho&#x0364;he habe, welche<lb/>
die <hi rendition="#fr">Wu&#x0364;rtemberg</hi>i&#x017F;che Fe&#x017F;tung <hi rendition="#fr">Hohentwiel</hi> hat. So<lb/>
viel &#x017F;ah ich, daß von <hi rendition="#fr">Aicheldingen</hi> an, wo man das<lb/>
Berg&#x017F;chlos <hi rendition="#fr">Twiel</hi> gegenu&#x0364;ber zum er&#x017F;tenmal &#x017F;ieht, das<lb/>
Land immer ho&#x0364;her und bergan geht.</p><lb/>
          <p>Auch noch am letzten Abend machte ich mir das Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gen, das Sinken der Sonne, und den kommenden<lb/>
Abend auf der Bru&#x0364;cke u&#x0364;ber dem &#x017F;tillen See anzu&#x017F;ehen und<lb/>
zu bewundern. Keine Sprache erreicht die pra&#x0364;chtige<lb/>
Feier der Natur, und keine men&#x017F;chliche Kun&#x017F;t kan ein<lb/>
a&#x0364;hnliches Schau&#x017F;piel dar&#x017F;tellen. Noch waren die a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er-<lb/>
&#x017F;ten Schweizergebirge oben mit Schnee bedeckt. In<lb/>
der Mitte waren &#x017F;ie blau, und unten &#x017F;chon gru&#x0364;n. Je<lb/>
weiter der Sommer kommt, de&#x017F;to gru&#x0364;ner werden &#x017F;ie.<lb/>
Zuletzt bleibt auf ihnen nicht &#x017F;o viel Schnee liegen, als<lb/>
man auf einmal &#x017F;ehen konnte. Ehe die Bru&#x0364;cke ge&#x017F;chlo&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en ward, ging ich noch einmal hin, und nahm mit &#x017F;til-<lb/>
len Empfindungen Ab&#x017F;chied von dem &#x017F;cho&#x0364;nen See, den<lb/>
eben ein purpurrother Kranz der untergehenden Sonne<lb/>
umgab. Es war nicht anders, als wenn man einen<lb/>
feuerrothen Gu&#x0364;rtel, ein flammendes Band um den See<lb/>
gezogen ha&#x0364;tte.</p><lb/>
          <p>Von <hi rendition="#fr">Co&#x017F;tanz</hi> nach <hi rendition="#fr">Schafhau&#x017F;en</hi> geht der Weg<lb/>
mei&#x017F;tens am <hi rendition="#fr">Rhein</hi> hinab, wo zuweilen ganz vortrefliche<lb/>
Land&#x017F;chaften vorkommen. In den Do&#x0364;rfern &#x017F;ieht man<lb/>
u&#x0364;berall Fa&#x0364;hren, Schiffe, Tonnen &#xA75B;c. Die Schweizer<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;tzen die Entfernung nur auf 8-9. Stunden, aber es<lb/>
&#x017F;ind 12. von den gewo&#x0364;hnlichen. Er&#x017F;t rei&#x017F;et man durch<lb/>
das <hi rendition="#fr">Paradies,</hi> an der Fe&#x017F;tung <hi rendition="#fr">Gottleben</hi> vorbei, wo<lb/><hi rendition="#fr">Huß</hi> gefangen &#x017F;as; hernach durch ein gro&#x017F;&#x017F;es Dorf <hi rendition="#fr">Gott-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">leben,</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[284/0322] Man behauptet, daß nach der Waſſerwaage die Rheinbruͤcke bei Coſtanz eben die Hoͤhe habe, welche die Wuͤrtembergiſche Feſtung Hohentwiel hat. So viel ſah ich, daß von Aicheldingen an, wo man das Bergſchlos Twiel gegenuͤber zum erſtenmal ſieht, das Land immer hoͤher und bergan geht. Auch noch am letzten Abend machte ich mir das Ver- gnuͤgen, das Sinken der Sonne, und den kommenden Abend auf der Bruͤcke uͤber dem ſtillen See anzuſehen und zu bewundern. Keine Sprache erreicht die praͤchtige Feier der Natur, und keine menſchliche Kunſt kan ein aͤhnliches Schauſpiel darſtellen. Noch waren die aͤuſſer- ſten Schweizergebirge oben mit Schnee bedeckt. In der Mitte waren ſie blau, und unten ſchon gruͤn. Je weiter der Sommer kommt, deſto gruͤner werden ſie. Zuletzt bleibt auf ihnen nicht ſo viel Schnee liegen, als man auf einmal ſehen konnte. Ehe die Bruͤcke geſchloſ- ſen ward, ging ich noch einmal hin, und nahm mit ſtil- len Empfindungen Abſchied von dem ſchoͤnen See, den eben ein purpurrother Kranz der untergehenden Sonne umgab. Es war nicht anders, als wenn man einen feuerrothen Guͤrtel, ein flammendes Band um den See gezogen haͤtte. Von Coſtanz nach Schafhauſen geht der Weg meiſtens am Rhein hinab, wo zuweilen ganz vortrefliche Landſchaften vorkommen. In den Doͤrfern ſieht man uͤberall Faͤhren, Schiffe, Tonnen ꝛc. Die Schweizer ſchaͤtzen die Entfernung nur auf 8-9. Stunden, aber es ſind 12. von den gewoͤhnlichen. Erſt reiſet man durch das Paradies, an der Feſtung Gottleben vorbei, wo Huß gefangen ſas; hernach durch ein groſſes Dorf Gott- leben,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/322
Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/322>, abgerufen am 25.11.2024.