Man behauptet, daß nach der Wasserwaage die Rheinbrücke bei Costanz eben die Höhe habe, welche die Würtembergische Festung Hohentwiel hat. So viel sah ich, daß von Aicheldingen an, wo man das Bergschlos Twiel gegenüber zum erstenmal sieht, das Land immer höher und bergan geht.
Auch noch am letzten Abend machte ich mir das Ver- gnügen, das Sinken der Sonne, und den kommenden Abend auf der Brücke über dem stillen See anzusehen und zu bewundern. Keine Sprache erreicht die prächtige Feier der Natur, und keine menschliche Kunst kan ein ähnliches Schauspiel darstellen. Noch waren die äusser- sten Schweizergebirge oben mit Schnee bedeckt. In der Mitte waren sie blau, und unten schon grün. Je weiter der Sommer kommt, desto grüner werden sie. Zuletzt bleibt auf ihnen nicht so viel Schnee liegen, als man auf einmal sehen konnte. Ehe die Brücke geschlos- sen ward, ging ich noch einmal hin, und nahm mit stil- len Empfindungen Abschied von dem schönen See, den eben ein purpurrother Kranz der untergehenden Sonne umgab. Es war nicht anders, als wenn man einen feuerrothen Gürtel, ein flammendes Band um den See gezogen hätte.
Von Costanz nach Schafhausen geht der Weg meistens am Rhein hinab, wo zuweilen ganz vortrefliche Landschaften vorkommen. In den Dörfern sieht man überall Fähren, Schiffe, Tonnen etc. Die Schweizer schätzen die Entfernung nur auf 8-9. Stunden, aber es sind 12. von den gewöhnlichen. Erst reiset man durch das Paradies, an der Festung Gottleben vorbei, wo Huß gefangen sas; hernach durch ein grosses Dorf Gott-
leben,
Man behauptet, daß nach der Waſſerwaage die Rheinbruͤcke bei Coſtanz eben die Hoͤhe habe, welche die Wuͤrtembergiſche Feſtung Hohentwiel hat. So viel ſah ich, daß von Aicheldingen an, wo man das Bergſchlos Twiel gegenuͤber zum erſtenmal ſieht, das Land immer hoͤher und bergan geht.
Auch noch am letzten Abend machte ich mir das Ver- gnuͤgen, das Sinken der Sonne, und den kommenden Abend auf der Bruͤcke uͤber dem ſtillen See anzuſehen und zu bewundern. Keine Sprache erreicht die praͤchtige Feier der Natur, und keine menſchliche Kunſt kan ein aͤhnliches Schauſpiel darſtellen. Noch waren die aͤuſſer- ſten Schweizergebirge oben mit Schnee bedeckt. In der Mitte waren ſie blau, und unten ſchon gruͤn. Je weiter der Sommer kommt, deſto gruͤner werden ſie. Zuletzt bleibt auf ihnen nicht ſo viel Schnee liegen, als man auf einmal ſehen konnte. Ehe die Bruͤcke geſchloſ- ſen ward, ging ich noch einmal hin, und nahm mit ſtil- len Empfindungen Abſchied von dem ſchoͤnen See, den eben ein purpurrother Kranz der untergehenden Sonne umgab. Es war nicht anders, als wenn man einen feuerrothen Guͤrtel, ein flammendes Band um den See gezogen haͤtte.
Von Coſtanz nach Schafhauſen geht der Weg meiſtens am Rhein hinab, wo zuweilen ganz vortrefliche Landſchaften vorkommen. In den Doͤrfern ſieht man uͤberall Faͤhren, Schiffe, Tonnen ꝛc. Die Schweizer ſchaͤtzen die Entfernung nur auf 8-9. Stunden, aber es ſind 12. von den gewoͤhnlichen. Erſt reiſet man durch das Paradies, an der Feſtung Gottleben vorbei, wo Huß gefangen ſas; hernach durch ein groſſes Dorf Gott-
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Man behauptet, daß nach der Waſſerwaage die
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die Wuͤrtembergiſche Feſtung Hohentwiel hat. So
viel ſah ich, daß von Aicheldingen an, wo man das
Bergſchlos Twiel gegenuͤber zum erſtenmal ſieht, das
Land immer hoͤher und bergan geht.
Auch noch am letzten Abend machte ich mir das Ver-
gnuͤgen, das Sinken der Sonne, und den kommenden
Abend auf der Bruͤcke uͤber dem ſtillen See anzuſehen und
zu bewundern. Keine Sprache erreicht die praͤchtige
Feier der Natur, und keine menſchliche Kunſt kan ein
aͤhnliches Schauſpiel darſtellen. Noch waren die aͤuſſer-
ſten Schweizergebirge oben mit Schnee bedeckt. In
der Mitte waren ſie blau, und unten ſchon gruͤn. Je
weiter der Sommer kommt, deſto gruͤner werden ſie.
Zuletzt bleibt auf ihnen nicht ſo viel Schnee liegen, als
man auf einmal ſehen konnte. Ehe die Bruͤcke geſchloſ-
ſen ward, ging ich noch einmal hin, und nahm mit ſtil-
len Empfindungen Abſchied von dem ſchoͤnen See, den
eben ein purpurrother Kranz der untergehenden Sonne
umgab. Es war nicht anders, als wenn man einen
feuerrothen Guͤrtel, ein flammendes Band um den See
gezogen haͤtte.
Von Coſtanz nach Schafhauſen geht der Weg
meiſtens am Rhein hinab, wo zuweilen ganz vortrefliche
Landſchaften vorkommen. In den Doͤrfern ſieht man
uͤberall Faͤhren, Schiffe, Tonnen ꝛc. Die Schweizer
ſchaͤtzen die Entfernung nur auf 8-9. Stunden, aber es
ſind 12. von den gewoͤhnlichen. Erſt reiſet man durch
das Paradies, an der Feſtung Gottleben vorbei, wo
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/322>, abgerufen am 25.11.2024.
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