Veränderlichkeit aller Dinge. Wo sind die berühmten Stammväter dieses Hauses? Wo sind die kühnen Er- bauer dieses Schlosses? Wo sind die rüstigen Streiter, die mit Helm und Panzer, mit Lanzen und Reisigen auszogen und sich furchtbar machten? Wer kennt jetzt noch alle die grossen und mit Trompetenschall ausgerufe- nen Ritter, die im Turnier siegten und den Kampfpreis erfochten? Die Ewigkeit hat sie alle verschlungen; die Gemälde verbleichen, die Steine verwittern, und die Na- men verschwinden. Wie ist die Gestalt aller Dinge seit etlichen Jahrhunderten so verändert worden! Deutsch- land kennt seine ehemaligen Söhne nicht mehr, und wenn sie wiederkämen, die ehrwürdigen Helden, die zu Tausenden entschlafen sind, würden sie dann ihr Erbland, die Zwergennation, die unmündigen Streiter, die un- bärtigen Ritter, und so viele ausgeartete Nachkommen noch erkennen können? Zwar der königliche Urenkel derer, die diese Felsen aufführten, ist der Stolz Europens! Er würde selbst seinen grauen Vätern gefallen, und er- hält noch, indes ihr Geist bereits unter den Sternen wan- delt, deutsche Kraft unter den Deutschen!
Von Hechingen nach Bahlingen ist der Weg eben, und weil er meist zwischen Wiesen hingeht, sehr ange- nehm. Kostbare Morgen, wo ich zu Pferd, sobald die Sonne aufgegangen war, den ersten Duft des Tages ge- noß, und den weisen und guten Urheber der Natur in je- dem Thautropfen, der am Grase zitterte, erblickte! In der Mitte des Wegs fängt ein schönes, mächtiges, schwarz- schiefriges Flözgebürge an, das weit in das Land hinein- geht. Bahlingen scheint beinahe eine einzige lange Gasse zu seyn, ganz von Holz, unvernünftig und recht
unüberlegt
Veraͤnderlichkeit aller Dinge. Wo ſind die beruͤhmten Stammvaͤter dieſes Hauſes? Wo ſind die kuͤhnen Er- bauer dieſes Schloſſes? Wo ſind die ruͤſtigen Streiter, die mit Helm und Panzer, mit Lanzen und Reiſigen auszogen und ſich furchtbar machten? Wer kennt jetzt noch alle die groſſen und mit Trompetenſchall ausgerufe- nen Ritter, die im Turnier ſiegten und den Kampfpreis erfochten? Die Ewigkeit hat ſie alle verſchlungen; die Gemaͤlde verbleichen, die Steine verwittern, und die Na- men verſchwinden. Wie iſt die Geſtalt aller Dinge ſeit etlichen Jahrhunderten ſo veraͤndert worden! Deutſch- land kennt ſeine ehemaligen Soͤhne nicht mehr, und wenn ſie wiederkaͤmen, die ehrwuͤrdigen Helden, die zu Tauſenden entſchlafen ſind, wuͤrden ſie dann ihr Erbland, die Zwergennation, die unmuͤndigen Streiter, die un- baͤrtigen Ritter, und ſo viele ausgeartete Nachkommen noch erkennen koͤnnen? Zwar der koͤnigliche Urenkel derer, die dieſe Felſen auffuͤhrten, iſt der Stolz Europens! Er wuͤrde ſelbſt ſeinen grauen Vaͤtern gefallen, und er- haͤlt noch, indes ihr Geiſt bereits unter den Sternen wan- delt, deutſche Kraft unter den Deutſchen!
Von Hechingen nach Bahlingen iſt der Weg eben, und weil er meiſt zwiſchen Wieſen hingeht, ſehr ange- nehm. Koſtbare Morgen, wo ich zu Pferd, ſobald die Sonne aufgegangen war, den erſten Duft des Tages ge- noß, und den weiſen und guten Urheber der Natur in je- dem Thautropfen, der am Graſe zitterte, erblickte! In der Mitte des Wegs faͤngt ein ſchoͤnes, maͤchtiges, ſchwarz- ſchiefriges Floͤzgebuͤrge an, das weit in das Land hinein- geht. Bahlingen ſcheint beinahe eine einzige lange Gaſſe zu ſeyn, ganz von Holz, unvernuͤnftig und recht
unuͤberlegt
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Veraͤnderlichkeit aller Dinge. Wo ſind die beruͤhmten
Stammvaͤter dieſes Hauſes? Wo ſind die kuͤhnen Er-
bauer dieſes Schloſſes? Wo ſind die ruͤſtigen Streiter,
die mit Helm und Panzer, mit Lanzen und Reiſigen
auszogen und ſich furchtbar machten? Wer kennt jetzt
noch alle die groſſen und mit Trompetenſchall ausgerufe-
nen Ritter, die im Turnier ſiegten und den Kampfpreis
erfochten? Die Ewigkeit hat ſie alle verſchlungen; die
Gemaͤlde verbleichen, die Steine verwittern, und die Na-
men verſchwinden. Wie iſt die Geſtalt aller Dinge ſeit
etlichen Jahrhunderten ſo veraͤndert worden! Deutſch-
land kennt ſeine ehemaligen Soͤhne nicht mehr, und
wenn ſie wiederkaͤmen, die ehrwuͤrdigen Helden, die zu
Tauſenden entſchlafen ſind, wuͤrden ſie dann ihr Erbland,
die Zwergennation, die unmuͤndigen Streiter, die un-
baͤrtigen Ritter, und ſo viele ausgeartete Nachkommen
noch erkennen koͤnnen? Zwar der koͤnigliche Urenkel derer,
die dieſe Felſen auffuͤhrten, iſt der Stolz Europens!
Er wuͤrde ſelbſt ſeinen grauen Vaͤtern gefallen, und er-
haͤlt noch, indes ihr Geiſt bereits unter den Sternen wan-
delt, deutſche Kraft unter den Deutſchen!
Von Hechingen nach Bahlingen iſt der Weg eben,
und weil er meiſt zwiſchen Wieſen hingeht, ſehr ange-
nehm. Koſtbare Morgen, wo ich zu Pferd, ſobald die
Sonne aufgegangen war, den erſten Duft des Tages ge-
noß, und den weiſen und guten Urheber der Natur in je-
dem Thautropfen, der am Graſe zitterte, erblickte! In
der Mitte des Wegs faͤngt ein ſchoͤnes, maͤchtiges, ſchwarz-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/296>, abgerufen am 22.11.2024.
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