scheibe, die er nach dem Lustgarten zu einsetzen lies, als er vor Alter nicht mehr auf die Parade herabgehen konn- te. Dies ist in dem Zimmer, wo man noch das Bette sieht, auf welchem er gestorben ist. Darneben ist eine Treppe für den Rollwagen, in dem er sich fahren lies. Prächtig sind des jetzigen Königs Winterzimmer. Er kan die Parade durch Spiegel in seinem Zimmer, die in jeder Ecke angebracht sind, sehen, ohne ans Fenster zu treten. In allen Sachen liebt er die blaue Farbe, so wie Prinz Heinrich die gelbe. Unbeschreiblich kostbar sind die Zimmer für die fremden Herrschaften. In des Königs Zimmer hängen auch Kupferstiche von seinen Landstädten. Sonderbar ists, daß in allen diesen Schlös- sern keine ordinäre Wohnzimmer für die Königin, Kron- prinz, Kronprinzessin etc. sind, auch keine Schloskapelle. Alles ist ganz nach dem jetzigen System vom Könige ge- baut worden.
Weils heute eben Sonntag war, so bekam ich die Kirchenparade zu sehen. Von 9.-10. Uhr versam- melt sie sich theils im Lustgarten, theils jenseits der Gar- nisonkirche auf einem grossen Platz. Die Garde hat stark mit Silber besetzte Montirung. Ein herliches Korps von Offiziers ist hier. Auf den Schlag 10. Uhr formirt sich das prächtigste Schauspiel. Vorher rauscht das Geschwätz der Menge, wie Meerwasser oder wie auf einer Börse. Man sollte nicht glauben, daß man viele 1000. Menschen so orbilisiren könnte, daß sie solche Zieh- und Dratpuppen würden etc. In die Kirche geht in Frie- denszeiten nur wer will, im Felde sieht aber der König sehr darauf. Man erzählte mir hier, der König sei ein- mahl bei der Huldigung in Berlin, einmahl in Dres- den, nach der Einnahme dieser Stadt, und einmahl in
Breßlau,
Zweiter Theil. O
ſcheibe, die er nach dem Luſtgarten zu einſetzen lies, als er vor Alter nicht mehr auf die Parade herabgehen konn- te. Dies iſt in dem Zimmer, wo man noch das Bette ſieht, auf welchem er geſtorben iſt. Darneben iſt eine Treppe fuͤr den Rollwagen, in dem er ſich fahren lies. Praͤchtig ſind des jetzigen Koͤnigs Winterzimmer. Er kan die Parade durch Spiegel in ſeinem Zimmer, die in jeder Ecke angebracht ſind, ſehen, ohne ans Fenſter zu treten. In allen Sachen liebt er die blaue Farbe, ſo wie Prinz Heinrich die gelbe. Unbeſchreiblich koſtbar ſind die Zimmer fuͤr die fremden Herrſchaften. In des Koͤnigs Zimmer haͤngen auch Kupferſtiche von ſeinen Landſtaͤdten. Sonderbar iſts, daß in allen dieſen Schloͤſ- ſern keine ordinaͤre Wohnzimmer fuͤr die Koͤnigin, Kron- prinz, Kronprinzeſſin ꝛc. ſind, auch keine Schloskapelle. Alles iſt ganz nach dem jetzigen Syſtem vom Koͤnige ge- baut worden.
Weils heute eben Sonntag war, ſo bekam ich die Kirchenparade zu ſehen. Von 9.-10. Uhr verſam- melt ſie ſich theils im Luſtgarten, theils jenſeits der Gar- niſonkirche auf einem groſſen Platz. Die Garde hat ſtark mit Silber beſetzte Montirung. Ein herliches Korps von Offiziers iſt hier. Auf den Schlag 10. Uhr formirt ſich das praͤchtigſte Schauſpiel. Vorher rauſcht das Geſchwaͤtz der Menge, wie Meerwaſſer oder wie auf einer Boͤrſe. Man ſollte nicht glauben, daß man viele 1000. Menſchen ſo orbiliſiren koͤnnte, daß ſie ſolche Zieh- und Dratpuppen wuͤrden ꝛc. In die Kirche geht in Frie- denszeiten nur wer will, im Felde ſieht aber der Koͤnig ſehr darauf. Man erzaͤhlte mir hier, der Koͤnig ſei ein- mahl bei der Huldigung in Berlin, einmahl in Dres- den, nach der Einnahme dieſer Stadt, und einmahl in
Breßlau,
Zweiter Theil. O
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ſcheibe, die er nach dem Luſtgarten zu einſetzen lies, als
er vor Alter nicht mehr auf die Parade herabgehen konn-
te. Dies iſt in dem Zimmer, wo man noch das Bette
ſieht, auf welchem er geſtorben iſt. Darneben iſt eine
Treppe fuͤr den Rollwagen, in dem er ſich fahren lies.
Praͤchtig ſind des jetzigen Koͤnigs Winterzimmer. Er
kan die Parade durch Spiegel in ſeinem Zimmer, die in
jeder Ecke angebracht ſind, ſehen, ohne ans Fenſter zu
treten. In allen Sachen liebt er die blaue Farbe, ſo
wie Prinz Heinrich die gelbe. Unbeſchreiblich koſtbar
ſind die Zimmer fuͤr die fremden Herrſchaften. In des
Koͤnigs Zimmer haͤngen auch Kupferſtiche von ſeinen
Landſtaͤdten. Sonderbar iſts, daß in allen dieſen Schloͤſ-
ſern keine ordinaͤre Wohnzimmer fuͤr die Koͤnigin, Kron-
prinz, Kronprinzeſſin ꝛc. ſind, auch keine Schloskapelle.
Alles iſt ganz nach dem jetzigen Syſtem vom Koͤnige ge-
baut worden.
Weils heute eben Sonntag war, ſo bekam ich die
Kirchenparade zu ſehen. Von 9.-10. Uhr verſam-
melt ſie ſich theils im Luſtgarten, theils jenſeits der Gar-
niſonkirche auf einem groſſen Platz. Die Garde hat ſtark
mit Silber beſetzte Montirung. Ein herliches Korps
von Offiziers iſt hier. Auf den Schlag 10. Uhr formirt
ſich das praͤchtigſte Schauſpiel. Vorher rauſcht das
Geſchwaͤtz der Menge, wie Meerwaſſer oder wie auf einer
Boͤrſe. Man ſollte nicht glauben, daß man viele 1000.
Menſchen ſo orbiliſiren koͤnnte, daß ſie ſolche Zieh- und
Dratpuppen wuͤrden ꝛc. In die Kirche geht in Frie-
denszeiten nur wer will, im Felde ſieht aber der Koͤnig
ſehr darauf. Man erzaͤhlte mir hier, der Koͤnig ſei ein-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/247>, abgerufen am 24.11.2024.
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