So sonderbar ist die Mischung des Despotismus und der Freiheit in diesem Staate! Der gewesene Kanzler lebt noch mit Figur von seinem ansehnlichen Vermögen, kommt noch zur Königin nach Hofe etc. Er war zu klein für den König, grübelte in Kleinigkeiten, war nicht für das Weite und Grosse, das der König liebt, hatte aber viele Jahre mit unveränderlicher Rechtschaffen- heit erstaunend gearbeitet. Das Publikum wünschte ver- gebens, daß ihm der König doch die Besoldung lassen möchte. --
Nachmittags war ich in einer Versammlung der
Königl. Akademie der Wissenschaften. Sie hat ein schönes Gebäude unter den Linden zu ihren Ver- sammlungen, zu Aufbehaltung der Bibliothek, mathe- matischer Instrumente, Kabinette etc. inne. Der Geh. Rath Formey ist ihr beständiger Sekretär. Der Mini- ster, Freiherr von Zedlitz, war auch als Mitglied zuge- gen. Hr. Hofr. Gleditsch las erst eine kurze Beurthei- lung eines Forstbuchs ab, das Jemand aus dem Lande eingeschickt hatte, worin ein kostbares Instrument, den Holzinhalt der Bäume zu bestimmen, vorgeschlagen war. Prevot, der heute auf Befehl des Königs an Sulzers Platz kam, las sein Antrittskompliment französisch vor, worin er Sulzers Verlust bedauerte. Darauf dankte ihm Formey, und sprach etwas von dem Karakter der wah- ren Philosophen, Enseignez nous a douter, a igno- rer, sagte er, et apres avoir saisi ce point, nous serons des philosophes. Darauf las Prevot noch eine Abhandlung über die Probabilität in den Wissen- schaften vor, womit die Sitzung beschlossen ward. Hin- ter dem Versammlungszimmer steht die Biblothek der
Akademie,
So ſonderbar iſt die Miſchung des Despotismus und der Freiheit in dieſem Staate! Der geweſene Kanzler lebt noch mit Figur von ſeinem anſehnlichen Vermoͤgen, kommt noch zur Koͤnigin nach Hofe ꝛc. Er war zu klein fuͤr den Koͤnig, gruͤbelte in Kleinigkeiten, war nicht fuͤr das Weite und Groſſe, das der Koͤnig liebt, hatte aber viele Jahre mit unveraͤnderlicher Rechtſchaffen- heit erſtaunend gearbeitet. Das Publikum wuͤnſchte ver- gebens, daß ihm der Koͤnig doch die Beſoldung laſſen moͤchte. —
Nachmittags war ich in einer Verſammlung der
Koͤnigl. Akademie der Wiſſenſchaften. Sie hat ein ſchoͤnes Gebaͤude unter den Linden zu ihren Ver- ſammlungen, zu Aufbehaltung der Bibliothek, mathe- matiſcher Inſtrumente, Kabinette ꝛc. inne. Der Geh. Rath Formey iſt ihr beſtaͤndiger Sekretaͤr. Der Mini- ſter, Freiherr von Zedlitz, war auch als Mitglied zuge- gen. Hr. Hofr. Gleditſch las erſt eine kurze Beurthei- lung eines Forſtbuchs ab, das Jemand aus dem Lande eingeſchickt hatte, worin ein koſtbares Inſtrument, den Holzinhalt der Baͤume zu beſtimmen, vorgeſchlagen war. Prevot, der heute auf Befehl des Koͤnigs an Sulzers Platz kam, las ſein Antrittskompliment franzoͤſiſch vor, worin er Sulzers Verluſt bedauerte. Darauf dankte ihm Formey, und ſprach etwas von dem Karakter der wah- ren Philoſophen, Enſeignez nous à douter, à igno- rer, ſagte er, et après avoir ſaiſi ce point, nous ſerons des philoſophes. Darauf las Prevot noch eine Abhandlung uͤber die Probabilitaͤt in den Wiſſen- ſchaften vor, womit die Sitzung beſchloſſen ward. Hin- ter dem Verſammlungszimmer ſteht die Biblothek der
Akademie,
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So ſonderbar iſt die Miſchung des Despotismus und
der Freiheit in dieſem Staate! Der geweſene Kanzler
lebt noch mit Figur von ſeinem anſehnlichen Vermoͤgen,
kommt noch zur Koͤnigin nach Hofe ꝛc. Er war zu
klein fuͤr den Koͤnig, gruͤbelte in Kleinigkeiten, war
nicht fuͤr das Weite und Groſſe, das der Koͤnig liebt,
hatte aber viele Jahre mit unveraͤnderlicher Rechtſchaffen-
heit erſtaunend gearbeitet. Das Publikum wuͤnſchte ver-
gebens, daß ihm der Koͤnig doch die Beſoldung laſſen
moͤchte. —
Nachmittags war ich in einer Verſammlung der
Koͤnigl. Akademie der Wiſſenſchaften. Sie
hat ein ſchoͤnes Gebaͤude unter den Linden zu ihren Ver-
ſammlungen, zu Aufbehaltung der Bibliothek, mathe-
matiſcher Inſtrumente, Kabinette ꝛc. inne. Der Geh.
Rath Formey iſt ihr beſtaͤndiger Sekretaͤr. Der Mini-
ſter, Freiherr von Zedlitz, war auch als Mitglied zuge-
gen. Hr. Hofr. Gleditſch las erſt eine kurze Beurthei-
lung eines Forſtbuchs ab, das Jemand aus dem Lande
eingeſchickt hatte, worin ein koſtbares Inſtrument, den
Holzinhalt der Baͤume zu beſtimmen, vorgeſchlagen war.
Prevot, der heute auf Befehl des Koͤnigs an Sulzers
Platz kam, las ſein Antrittskompliment franzoͤſiſch vor,
worin er Sulzers Verluſt bedauerte. Darauf dankte
ihm Formey, und ſprach etwas von dem Karakter der wah-
ren Philoſophen, Enſeignez nous à douter, à igno-
rer, ſagte er, et après avoir ſaiſi ce point, nous
ſerons des philoſophes. Darauf las Prevot noch
eine Abhandlung uͤber die Probabilitaͤt in den Wiſſen-
ſchaften vor, womit die Sitzung beſchloſſen ward. Hin-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/241>, abgerufen am 25.11.2024.
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