bis er endlich noch durch Hülfe eines treuen Bedienten, eines Spaniers, sich herausgearbeitet. Nun habe er immer noch unter tausend Gefahren von den noch be- ständig nachstürzenden Mauern auf den Strassen alle Au- genblicke erschlagen zu werden, das freie Feld erreicht. Aber so entsetzlich auch der Anblick der Ruinen und der immer noch nachstürzenden Mauern gewesen; so sei er doch noch nichts in Vergleich des nach einigen Stunden an vie- len Stellen ausgebrochenen Feuers. Dies habe 4. Tage angehalten und alles verzehrt, was das Erdbe- ben noch stehen lassen. Eine Meile lang und breit sei die Stadt nur Eine Flamme gewesen. Alle Elemente hätten mit einander gekämpft. Die See habe wie Ber- ge hoch gestanden. Aber das allererbarmungswürdigste, wo auch dem Unempfindlichsten das Herz habe bluten müssen, sei der Anblick so vieler tausend Todten, das Aechzen der Verwundeten, der Verschütteten, der Ster- benden, das Angstgeschrei der Weiber, der Kinder gewe- sen. Vor dem einen Thore fand er eine Menge vorneh- mer Frauenzimmer in ihren schwarzen Kleidern, wie sie in der Kirche waren, *) die auf den Knien lagen, sich die Haare ausrausten, die Brust zerschlugen, die Hände rangen, und Gott um Barmherzigkeit anflehten. Die Anzahl der theils durch den Einsturz der Häuser, theils durchs Feuer ums Leben gekommenen, schätzte er auf 50,000. Menschen. Doch genug von dem traurigen Gemälde. --
Den
*) Denn es war eben Allerheiligen, und alle Kirchen mit Menschen angefüllt.
bis er endlich noch durch Huͤlfe eines treuen Bedienten, eines Spaniers, ſich herausgearbeitet. Nun habe er immer noch unter tauſend Gefahren von den noch be- ſtaͤndig nachſtuͤrzenden Mauern auf den Straſſen alle Au- genblicke erſchlagen zu werden, das freie Feld erreicht. Aber ſo entſetzlich auch der Anblick der Ruinen und der immer noch nachſtuͤrzenden Mauern geweſen; ſo ſei er doch noch nichts in Vergleich des nach einigen Stunden an vie- len Stellen ausgebrochenen Feuers. Dies habe 4. Tage angehalten und alles verzehrt, was das Erdbe- ben noch ſtehen laſſen. Eine Meile lang und breit ſei die Stadt nur Eine Flamme geweſen. Alle Elemente haͤtten mit einander gekaͤmpft. Die See habe wie Ber- ge hoch geſtanden. Aber das allererbarmungswuͤrdigſte, wo auch dem Unempfindlichſten das Herz habe bluten muͤſſen, ſei der Anblick ſo vieler tauſend Todten, das Aechzen der Verwundeten, der Verſchuͤtteten, der Ster- benden, das Angſtgeſchrei der Weiber, der Kinder gewe- ſen. Vor dem einen Thore fand er eine Menge vorneh- mer Frauenzimmer in ihren ſchwarzen Kleidern, wie ſie in der Kirche waren, *) die auf den Knien lagen, ſich die Haare ausrauſten, die Bruſt zerſchlugen, die Haͤnde rangen, und Gott um Barmherzigkeit anflehten. Die Anzahl der theils durch den Einſturz der Haͤuſer, theils durchs Feuer ums Leben gekommenen, ſchaͤtzte er auf 50,000. Menſchen. Doch genug von dem traurigen Gemaͤlde. —
Den
*) Denn es war eben Allerheiligen, und alle Kirchen mit Menſchen angefuͤllt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0176"n="138"/>
bis er endlich noch durch Huͤlfe eines treuen Bedienten,<lb/>
eines Spaniers, ſich herausgearbeitet. Nun habe<lb/>
er immer noch unter tauſend Gefahren von den noch be-<lb/>ſtaͤndig nachſtuͤrzenden Mauern auf den Straſſen alle Au-<lb/>
genblicke erſchlagen zu werden, das freie Feld erreicht.<lb/>
Aber ſo entſetzlich auch der Anblick der Ruinen und der<lb/>
immer noch nachſtuͤrzenden Mauern geweſen; ſo ſei er doch<lb/>
noch nichts in Vergleich des nach einigen Stunden an vie-<lb/>
len Stellen ausgebrochenen Feuers. Dies habe 4.<lb/>
Tage angehalten und alles verzehrt, was das Erdbe-<lb/>
ben noch ſtehen laſſen. Eine Meile lang und breit ſei<lb/>
die Stadt nur Eine Flamme geweſen. Alle Elemente<lb/>
haͤtten mit einander gekaͤmpft. Die See habe wie Ber-<lb/>
ge hoch geſtanden. Aber das allererbarmungswuͤrdigſte,<lb/>
wo auch dem Unempfindlichſten das Herz habe bluten<lb/>
muͤſſen, ſei der Anblick ſo vieler tauſend Todten, das<lb/>
Aechzen der Verwundeten, der Verſchuͤtteten, der Ster-<lb/>
benden, das Angſtgeſchrei der Weiber, der Kinder gewe-<lb/>ſen. Vor dem einen Thore fand er eine Menge vorneh-<lb/>
mer Frauenzimmer in ihren ſchwarzen Kleidern, wie ſie<lb/>
in der Kirche waren, <noteplace="foot"n="*)">Denn es war eben Allerheiligen, und alle Kirchen mit<lb/>
Menſchen angefuͤllt.</note> die auf den Knien lagen, ſich die<lb/>
Haare ausrauſten, die Bruſt zerſchlugen, die Haͤnde<lb/>
rangen, und Gott um Barmherzigkeit anflehten. Die<lb/>
Anzahl der theils durch den Einſturz der Haͤuſer, theils<lb/>
durchs Feuer ums Leben gekommenen, ſchaͤtzte er auf<lb/>
50,000. Menſchen. Doch genug von dem traurigen<lb/>
Gemaͤlde. —</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Den</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[138/0176]
bis er endlich noch durch Huͤlfe eines treuen Bedienten,
eines Spaniers, ſich herausgearbeitet. Nun habe
er immer noch unter tauſend Gefahren von den noch be-
ſtaͤndig nachſtuͤrzenden Mauern auf den Straſſen alle Au-
genblicke erſchlagen zu werden, das freie Feld erreicht.
Aber ſo entſetzlich auch der Anblick der Ruinen und der
immer noch nachſtuͤrzenden Mauern geweſen; ſo ſei er doch
noch nichts in Vergleich des nach einigen Stunden an vie-
len Stellen ausgebrochenen Feuers. Dies habe 4.
Tage angehalten und alles verzehrt, was das Erdbe-
ben noch ſtehen laſſen. Eine Meile lang und breit ſei
die Stadt nur Eine Flamme geweſen. Alle Elemente
haͤtten mit einander gekaͤmpft. Die See habe wie Ber-
ge hoch geſtanden. Aber das allererbarmungswuͤrdigſte,
wo auch dem Unempfindlichſten das Herz habe bluten
muͤſſen, ſei der Anblick ſo vieler tauſend Todten, das
Aechzen der Verwundeten, der Verſchuͤtteten, der Ster-
benden, das Angſtgeſchrei der Weiber, der Kinder gewe-
ſen. Vor dem einen Thore fand er eine Menge vorneh-
mer Frauenzimmer in ihren ſchwarzen Kleidern, wie ſie
in der Kirche waren, *) die auf den Knien lagen, ſich die
Haare ausrauſten, die Bruſt zerſchlugen, die Haͤnde
rangen, und Gott um Barmherzigkeit anflehten. Die
Anzahl der theils durch den Einſturz der Haͤuſer, theils
durchs Feuer ums Leben gekommenen, ſchaͤtzte er auf
50,000. Menſchen. Doch genug von dem traurigen
Gemaͤlde. —
Den
*) Denn es war eben Allerheiligen, und alle Kirchen mit
Menſchen angefuͤllt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/176>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.