volles Gebäude, das noch nicht ganz ausgebaut ist. Der Garten ist ganz im englischen Geschmack angelegt, aber zu klein dazu. Man trift Wasserpartien, Inseln, Schlan- gengänge, fremde Holzarten, Lusthäuschen etc. darin an. Auch ist der Besitzer so gefällig, und erlaubt jedermann, d[a]rin frei zu spazieren. Drauf besuchte ich den
Friedrich Richter'schen Garten. Ob er gleich auch im alten Geschmack ist, viele lauge grade Alleen u. s. w. hat; so findet man doch viel angenehme Partien darin. Schon der Eingang über eine schöne Brücke ist empfehlend; dann kömmt man rechter Hand in einen Bogengang, in dessen grünen Schatten man bei drücken- der Hitze sich herrlich erquickt. Aber über alles geht ein niedliches japanisches Häuschen, 2. Stock hoch, das hin- ten in einem einsamen Winkel des Gartens gar reizend liegt. Von da geniest man eine bezaubernde Aussicht über Wasser und ein rauschendes Wehr, auf grünende Wiesen und lebhafte Dörfer.
In der Gesellschaft, die ich bei meinem Freund Hr. Jakobäer heute Abend fand, war auch ein hiesiger bra- ver Kaufmann, Hr. Jungkherr, der 1755. in Lissabon das Erdbeben mit erlebt hatte. Seine Erzählung inter- essirte mich ungemein, zumal da sie durch ihre Simplizi- tät so ganz das Gepräge der Warheit hatte. Er war auch verschüttet worden, als er schon die Hausthüre er- reicht gehabt, war aber in einem Raum, den die zer- brochenen Balken und Mauern formirt, so sonderbar ein- geschlossen worden, daß er zwar aus diesem Gefängnisse nicht herausgekonnt, aber doch nicht beschädigt worden. In der schrecklichen Angst, immer noch zerschmettert zu werden, habe er über 2. Stunden aushalten müssen,
bis
J 5
volles Gebaͤude, das noch nicht ganz ausgebaut iſt. Der Garten iſt ganz im engliſchen Geſchmack angelegt, aber zu klein dazu. Man trift Waſſerpartien, Inſeln, Schlan- gengaͤnge, fremde Holzarten, Luſthaͤuschen ꝛc. darin an. Auch iſt der Beſitzer ſo gefaͤllig, und erlaubt jedermann, d[a]rin frei zu ſpazieren. Drauf beſuchte ich den
Friedrich Richter’ſchen Garten. Ob er gleich auch im alten Geſchmack iſt, viele lauge grade Alleen u. ſ. w. hat; ſo findet man doch viel angenehme Partien darin. Schon der Eingang uͤber eine ſchoͤne Bruͤcke iſt empfehlend; dann koͤmmt man rechter Hand in einen Bogengang, in deſſen gruͤnen Schatten man bei druͤcken- der Hitze ſich herrlich erquickt. Aber uͤber alles geht ein niedliches japaniſches Haͤuschen, 2. Stock hoch, das hin- ten in einem einſamen Winkel des Gartens gar reizend liegt. Von da genieſt man eine bezaubernde Ausſicht uͤber Waſſer und ein rauſchendes Wehr, auf gruͤnende Wieſen und lebhafte Doͤrfer.
In der Geſellſchaft, die ich bei meinem Freund Hr. Jakobaͤer heute Abend fand, war auch ein hieſiger bra- ver Kaufmann, Hr. Jungkherr, der 1755. in Liſſabon das Erdbeben mit erlebt hatte. Seine Erzaͤhlung inter- eſſirte mich ungemein, zumal da ſie durch ihre Simplizi- taͤt ſo ganz das Gepraͤge der Warheit hatte. Er war auch verſchuͤttet worden, als er ſchon die Hausthuͤre er- reicht gehabt, war aber in einem Raum, den die zer- brochenen Balken und Mauern formirt, ſo ſonderbar ein- geſchloſſen worden, daß er zwar aus dieſem Gefaͤngniſſe nicht herausgekonnt, aber doch nicht beſchaͤdigt worden. In der ſchrecklichen Angſt, immer noch zerſchmettert zu werden, habe er uͤber 2. Stunden aushalten muͤſſen,
bis
J 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0175"n="137"/>
volles Gebaͤude, das noch nicht ganz ausgebaut iſt. Der<lb/>
Garten iſt ganz im engliſchen Geſchmack angelegt, aber zu<lb/>
klein dazu. Man trift Waſſerpartien, Inſeln, Schlan-<lb/>
gengaͤnge, fremde Holzarten, Luſthaͤuschen ꝛc. darin an.<lb/>
Auch iſt der Beſitzer ſo gefaͤllig, und erlaubt jedermann,<lb/>
d<supplied>a</supplied>rin frei zu ſpazieren. Drauf beſuchte ich den</p><lb/><p><hirendition="#fr">Friedrich Richter</hi>’ſchen Garten. Ob er gleich<lb/>
auch im alten Geſchmack iſt, viele lauge grade Alleen u.<lb/>ſ. w. hat; ſo findet man doch viel angenehme Partien<lb/>
darin. Schon der Eingang uͤber eine ſchoͤne Bruͤcke iſt<lb/>
empfehlend; dann koͤmmt man rechter Hand in einen<lb/>
Bogengang, in deſſen gruͤnen Schatten man bei druͤcken-<lb/>
der Hitze ſich herrlich erquickt. Aber uͤber alles geht ein<lb/>
niedliches <hirendition="#fr">japani</hi>ſches Haͤuschen, 2. Stock hoch, das hin-<lb/>
ten in einem einſamen Winkel des Gartens gar reizend<lb/>
liegt. Von da genieſt man eine bezaubernde Ausſicht<lb/>
uͤber Waſſer und ein rauſchendes Wehr, auf gruͤnende<lb/>
Wieſen und lebhafte Doͤrfer.</p><lb/><p>In der Geſellſchaft, die ich bei meinem Freund Hr.<lb/><hirendition="#fr">Jakobaͤer</hi> heute Abend fand, war auch ein hieſiger bra-<lb/>
ver Kaufmann, Hr. <hirendition="#fr">Jungkherr,</hi> der 1755. in <hirendition="#fr">Liſſabon</hi><lb/>
das Erdbeben mit erlebt hatte. Seine Erzaͤhlung inter-<lb/>
eſſirte mich ungemein, zumal da ſie durch ihre Simplizi-<lb/>
taͤt ſo ganz das Gepraͤge der Warheit hatte. Er war<lb/>
auch verſchuͤttet worden, als er ſchon die Hausthuͤre er-<lb/>
reicht gehabt, war aber in einem Raum, den die zer-<lb/>
brochenen Balken und Mauern formirt, ſo ſonderbar ein-<lb/>
geſchloſſen worden, daß er zwar aus dieſem Gefaͤngniſſe<lb/>
nicht herausgekonnt, aber doch nicht beſchaͤdigt worden.<lb/>
In der ſchrecklichen Angſt, immer noch zerſchmettert<lb/>
zu werden, habe er uͤber 2. Stunden aushalten muͤſſen,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">J 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">bis</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[137/0175]
volles Gebaͤude, das noch nicht ganz ausgebaut iſt. Der
Garten iſt ganz im engliſchen Geſchmack angelegt, aber zu
klein dazu. Man trift Waſſerpartien, Inſeln, Schlan-
gengaͤnge, fremde Holzarten, Luſthaͤuschen ꝛc. darin an.
Auch iſt der Beſitzer ſo gefaͤllig, und erlaubt jedermann,
darin frei zu ſpazieren. Drauf beſuchte ich den
Friedrich Richter’ſchen Garten. Ob er gleich
auch im alten Geſchmack iſt, viele lauge grade Alleen u.
ſ. w. hat; ſo findet man doch viel angenehme Partien
darin. Schon der Eingang uͤber eine ſchoͤne Bruͤcke iſt
empfehlend; dann koͤmmt man rechter Hand in einen
Bogengang, in deſſen gruͤnen Schatten man bei druͤcken-
der Hitze ſich herrlich erquickt. Aber uͤber alles geht ein
niedliches japaniſches Haͤuschen, 2. Stock hoch, das hin-
ten in einem einſamen Winkel des Gartens gar reizend
liegt. Von da genieſt man eine bezaubernde Ausſicht
uͤber Waſſer und ein rauſchendes Wehr, auf gruͤnende
Wieſen und lebhafte Doͤrfer.
In der Geſellſchaft, die ich bei meinem Freund Hr.
Jakobaͤer heute Abend fand, war auch ein hieſiger bra-
ver Kaufmann, Hr. Jungkherr, der 1755. in Liſſabon
das Erdbeben mit erlebt hatte. Seine Erzaͤhlung inter-
eſſirte mich ungemein, zumal da ſie durch ihre Simplizi-
taͤt ſo ganz das Gepraͤge der Warheit hatte. Er war
auch verſchuͤttet worden, als er ſchon die Hausthuͤre er-
reicht gehabt, war aber in einem Raum, den die zer-
brochenen Balken und Mauern formirt, ſo ſonderbar ein-
geſchloſſen worden, daß er zwar aus dieſem Gefaͤngniſſe
nicht herausgekonnt, aber doch nicht beſchaͤdigt worden.
In der ſchrecklichen Angſt, immer noch zerſchmettert
zu werden, habe er uͤber 2. Stunden aushalten muͤſſen,
bis
J 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/175>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.