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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783.

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mahnen und Bitten erinnerte mich an den Sinn des Er-
lösers, und wie so ohne Kunst, ohne Begierde durch
Beredsamkeit Ruhm und Lob zu gewinnen, vom Ungelehr-
ten gepredigt wurde, glaubte ich in die ersten Zeiten des
Christenthums zurück gekehrt zu seyn. Ein alter ganz
gemeingekleideter Mann stand hinter einer Lehne auf, nahm
den Hut ab, redete die Versammlung an, und hielt eine
Rede, die ihm recht artig vom Munde floß, und mit ein-
nehmenden Geberden begleitet war. Ich kan nicht sa-
gen, daß ich alles verstanden habe, aber doch vieles, und
das war nicht Unsinn, wie man mir sagte. Er schien
mir die Schwäche des Menschenverstandes zu seiner Haupt-
idee gewählt zu haben. Er nannte oft den Namen Je-
su Christi,
und wie hätte ich dann lachen können, wie
die muthwilligen Kaufmannsbediente, sobald ich seine
Hochachtung für diesen Namen merkte? Er zog die Stel-
le an: "Das Blut Jesu Christi macht uns rein von allen
"Sünden," er sprach öfters vom Reinigen von Sünden,
er sagte: Globt mir dat sickerlick, dat die Menschen nit
sterben wie die Buisten, er nannte Gott öfters, den Gott
der Gnade, des Trostes, des Seegens, er sagte: Gott
wäre der beste und der treuste Lehrer, dem empfahl er uns;
-- zuletzt nannte er uns oft Brüder, Freunde, er fing
an zu weinen, zu beten. -- Es war wahrhaftig rüh-
rend, den alten Mann so väterlich, so liebevoll, mit ei-
nem gewis guten Herzen von Gott und Jesu Christo
sprechen zu hören, er seufzte ernstlich ohne Affektation,
weinte recht durchdringend, betete endlich das Vater un-
ser, bückte sich, setzte seinen Hut wieder auf und setzte sich
nieder. -- Er hatte eine kleine halbe Stunde gesprochen,
und nun wars stille, die Leute sassen alle, wie im Schlaf
da, einige machten mit den Händen wunderliche Bewe-

gungen,
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mahnen und Bitten erinnerte mich an den Sinn des Er-
loͤſers, und wie ſo ohne Kunſt, ohne Begierde durch
Beredſamkeit Ruhm und Lob zu gewinnen, vom Ungelehr-
ten gepredigt wurde, glaubte ich in die erſten Zeiten des
Chriſtenthums zuruͤck gekehrt zu ſeyn. Ein alter ganz
gemeingekleideter Mann ſtand hinter einer Lehne auf, nahm
den Hut ab, redete die Verſammlung an, und hielt eine
Rede, die ihm recht artig vom Munde floß, und mit ein-
nehmenden Geberden begleitet war. Ich kan nicht ſa-
gen, daß ich alles verſtanden habe, aber doch vieles, und
das war nicht Unſinn, wie man mir ſagte. Er ſchien
mir die Schwaͤche des Menſchenverſtandes zu ſeiner Haupt-
idee gewaͤhlt zu haben. Er nannte oft den Namen Je-
ſu Chriſti,
und wie haͤtte ich dann lachen koͤnnen, wie
die muthwilligen Kaufmannsbediente, ſobald ich ſeine
Hochachtung fuͤr dieſen Namen merkte? Er zog die Stel-
le an: „Das Blut Jeſu Chriſti macht uns rein von allen
„Suͤnden,“ er ſprach oͤfters vom Reinigen von Suͤnden,
er ſagte: Globt mir dat ſickerlick, dat die Menſchen nit
ſterben wie die Buiſten, er nannte Gott oͤfters, den Gott
der Gnade, des Troſtes, des Seegens, er ſagte: Gott
waͤre der beſte und der treuſte Lehrer, dem empfahl er uns;
— zuletzt nannte er uns oft Bruͤder, Freunde, er fing
an zu weinen, zu beten. — Es war wahrhaftig ruͤh-
rend, den alten Mann ſo vaͤterlich, ſo liebevoll, mit ei-
nem gewis guten Herzen von Gott und Jeſu Chriſto
ſprechen zu hoͤren, er ſeufzte ernſtlich ohne Affektation,
weinte recht durchdringend, betete endlich das Vater un-
ſer, buͤckte ſich, ſetzte ſeinen Hut wieder auf und ſetzte ſich
nieder. — Er hatte eine kleine halbe Stunde geſprochen,
und nun wars ſtille, die Leute ſaſſen alle, wie im Schlaf
da, einige machten mit den Haͤnden wunderliche Bewe-

gungen,
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[549/0573] mahnen und Bitten erinnerte mich an den Sinn des Er- loͤſers, und wie ſo ohne Kunſt, ohne Begierde durch Beredſamkeit Ruhm und Lob zu gewinnen, vom Ungelehr- ten gepredigt wurde, glaubte ich in die erſten Zeiten des Chriſtenthums zuruͤck gekehrt zu ſeyn. Ein alter ganz gemeingekleideter Mann ſtand hinter einer Lehne auf, nahm den Hut ab, redete die Verſammlung an, und hielt eine Rede, die ihm recht artig vom Munde floß, und mit ein- nehmenden Geberden begleitet war. Ich kan nicht ſa- gen, daß ich alles verſtanden habe, aber doch vieles, und das war nicht Unſinn, wie man mir ſagte. Er ſchien mir die Schwaͤche des Menſchenverſtandes zu ſeiner Haupt- idee gewaͤhlt zu haben. Er nannte oft den Namen Je- ſu Chriſti, und wie haͤtte ich dann lachen koͤnnen, wie die muthwilligen Kaufmannsbediente, ſobald ich ſeine Hochachtung fuͤr dieſen Namen merkte? Er zog die Stel- le an: „Das Blut Jeſu Chriſti macht uns rein von allen „Suͤnden,“ er ſprach oͤfters vom Reinigen von Suͤnden, er ſagte: Globt mir dat ſickerlick, dat die Menſchen nit ſterben wie die Buiſten, er nannte Gott oͤfters, den Gott der Gnade, des Troſtes, des Seegens, er ſagte: Gott waͤre der beſte und der treuſte Lehrer, dem empfahl er uns; — zuletzt nannte er uns oft Bruͤder, Freunde, er fing an zu weinen, zu beten. — Es war wahrhaftig ruͤh- rend, den alten Mann ſo vaͤterlich, ſo liebevoll, mit ei- nem gewis guten Herzen von Gott und Jeſu Chriſto ſprechen zu hoͤren, er ſeufzte ernſtlich ohne Affektation, weinte recht durchdringend, betete endlich das Vater un- ſer, buͤckte ſich, ſetzte ſeinen Hut wieder auf und ſetzte ſich nieder. — Er hatte eine kleine halbe Stunde geſprochen, und nun wars ſtille, die Leute ſaſſen alle, wie im Schlaf da, einige machten mit den Haͤnden wunderliche Bewe- gungen, M m 3

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 549. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/573>, abgerufen am 24.11.2024.