stehenden Kanzel war ein ungeheurer Deckel angebracht. Die Prediger haben keine Sakristei, sondern sitzen bei der Kanzel. Sie predigen in ihrem kurzen schmalen Mantel. Heute ward vom Glücke des Mittelstandes, den Gefahren des Reichthums und der Armuth gepredigt. Die holländische Mode ist, sehr weitläuftig zu seyn, erst 2. Eingänge, dann die allgemeine Texterklärung, drauf erst die Abhandlung. Ueber den Agur etc. würde ein Holländer viel gesagt haben. Man redet griechisch und ebräisch auf der Kanzel, und stellt viele Streituntersuchun- gen an. Doch sucht man jetzt das Volk von diesem Vorurtheil abzubringen.
Nach der Kirche gingen Hr. Muzenbecher und ich spazieren, und besahen die herrlichen Spaziergänge der Stadt, drauf die Juden Synagoge, die schönste, die ich noch gesehen habe, eine wahre Schloskirche, und endlich, eines Ostindienfahrers Hille Haus. Der Reichthum dieses Manns begegnete einem überall. Al- les war mit ostindischen und chinesischen Tapeten, Porzel- län, Vasen, Kunstsachen etc. angefüllt. Man erstaunt über die grossen Stücke aus Elfenbein, welche die ärmsten Leute in China machen sollen. Es ist gar nicht bizarres, oder groteskes Zeug. Hille gab ihnen die Vignetten aus deutschen Dichtern, aus Zachariäs Renommisten etc. sie schnitzten sie auf Dosen recht artig nach. Ich möch- te wohl wissen, wie sie den Nacre aus der Muschelschale herausbekommen, um so grosse Stücke daraus zusammen zu setzen.
Bemer-
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ſtehenden Kanzel war ein ungeheurer Deckel angebracht. Die Prediger haben keine Sakriſtei, ſondern ſitzen bei der Kanzel. Sie predigen in ihrem kurzen ſchmalen Mantel. Heute ward vom Gluͤcke des Mittelſtandes, den Gefahren des Reichthums und der Armuth gepredigt. Die hollaͤndiſche Mode iſt, ſehr weitlaͤuftig zu ſeyn, erſt 2. Eingaͤnge, dann die allgemeine Texterklaͤrung, drauf erſt die Abhandlung. Ueber den Agur etc. wuͤrde ein Hollaͤnder viel geſagt haben. Man redet griechiſch und ebraͤiſch auf der Kanzel, und ſtellt viele Streitunterſuchun- gen an. Doch ſucht man jetzt das Volk von dieſem Vorurtheil abzubringen.
Nach der Kirche gingen Hr. Muzenbecher und ich ſpazieren, und beſahen die herrlichen Spaziergaͤnge der Stadt, drauf die Juden Synagoge, die ſchoͤnſte, die ich noch geſehen habe, eine wahre Schloskirche, und endlich, eines Oſtindienfahrers Hille Haus. Der Reichthum dieſes Manns begegnete einem uͤberall. Al- les war mit oſtindiſchen und chineſiſchen Tapeten, Porzel- laͤn, Vaſen, Kunſtſachen ꝛc. angefuͤllt. Man erſtaunt uͤber die groſſen Stuͤcke aus Elfenbein, welche die aͤrmſten Leute in China machen ſollen. Es iſt gar nicht bizarres, oder groteskes Zeug. Hille gab ihnen die Vignetten aus deutſchen Dichtern, aus Zachariaͤs Renommiſten ꝛc. ſie ſchnitzten ſie auf Doſen recht artig nach. Ich moͤch- te wohl wiſſen, wie ſie den Nacre aus der Muſchelſchale herausbekommen, um ſo groſſe Stuͤcke daraus zuſammen zu ſetzen.
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ſtehenden Kanzel war ein ungeheurer Deckel angebracht.
Die Prediger haben keine Sakriſtei, ſondern ſitzen bei
der Kanzel. Sie predigen in ihrem kurzen ſchmalen
Mantel. Heute ward vom Gluͤcke des Mittelſtandes,
den Gefahren des Reichthums und der Armuth gepredigt.
Die hollaͤndiſche Mode iſt, ſehr weitlaͤuftig zu ſeyn, erſt
2. Eingaͤnge, dann die allgemeine Texterklaͤrung, drauf
erſt die Abhandlung. Ueber den Agur etc. wuͤrde ein
Hollaͤnder viel geſagt haben. Man redet griechiſch und
ebraͤiſch auf der Kanzel, und ſtellt viele Streitunterſuchun-
gen an. Doch ſucht man jetzt das Volk von dieſem
Vorurtheil abzubringen.
Nach der Kirche gingen Hr. Muzenbecher und ich
ſpazieren, und beſahen die herrlichen Spaziergaͤnge der
Stadt, drauf die Juden Synagoge, die ſchoͤnſte,
die ich noch geſehen habe, eine wahre Schloskirche, und
endlich, eines Oſtindienfahrers Hille Haus. Der
Reichthum dieſes Manns begegnete einem uͤberall. Al-
les war mit oſtindiſchen und chineſiſchen Tapeten, Porzel-
laͤn, Vaſen, Kunſtſachen ꝛc. angefuͤllt. Man erſtaunt
uͤber die groſſen Stuͤcke aus Elfenbein, welche die aͤrmſten
Leute in China machen ſollen. Es iſt gar nicht bizarres,
oder groteskes Zeug. Hille gab ihnen die Vignetten
aus deutſchen Dichtern, aus Zachariaͤs Renommiſten ꝛc.
ſie ſchnitzten ſie auf Doſen recht artig nach. Ich moͤch-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 513. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/537>, abgerufen am 24.11.2024.
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