in Staub zerfallen sind. Es scheint, die Kirche sei hin- ter der Grille fast eben so lang, als vor derselben. Da ist noch ein erstaunlicher Platz, voll der grösten Merkwür- digkeiten, die man alle genau untersuchen müste. Da liegt die lange Reihe der französischen Könige vom Klo- dowich an -- einige fehlen, z. B. Karl der Grosse, den ich einige Monathe nachher in Aachen fand, -- bis LudwigXV. Das ganze Chor der Kirche mit allen Flügel- und Nebengebäuden ist damit angefüllt. Bei den meisten liegen ihre Gemahlinnen und Kinder. Man zeigte die steinerne Platte, wo der Eingang zur Königl. Gruft ist, und zu der man 12. Stufen hinunter steigt. Man hatte sonst die Gewohnheit, daß man die Könige entweder in Königl. Kleidung, oder sonst in einer langen, faltigen Draperie in Stein aushaute, und dieses Bild über die Stelle, wo sie begraben sind, legte. Diese Bil- der sind es eben, die man hier sieht. Man könnte sie besser betrachten, wenn sie aufrecht stünden. Weil sie aber alle so lang gestreckt da liegen, tod, blas, stille, oh- ne Handlung, in keiner redenden Stellung, meist mit ge- faltenen Händen; so siehts so fürchterlich, so schauerlich aus. Wo man hinblickt, sind alle Ecken mit einer oder mehrern Familien angefüllt. Das Valesische Haus liegt ganz beisammen. Es wandelt den Zuschauer ein heiliges Grausen an, wenn er so das nur von seinem Reiche angefüllte Feld des Todes, und in jeder Ecke ein oder mehrere Familien, die schon lange vom Schauplatze dieser Welt abgetreten sind, erblickt. Ich glaube, es ist unmöglich, ein ganzes ausgestorbenes königliches Haus, die gestürzte irdische Größe und das Nichts der Welt oh- ne Empfindung vor sich zu sehen. Karl der Kahle liegt allein in der Mitte des Chors, und hat, weil er
auch
Y 4
in Staub zerfallen ſind. Es ſcheint, die Kirche ſei hin- ter der Grille faſt eben ſo lang, als vor derſelben. Da iſt noch ein erſtaunlicher Platz, voll der groͤſten Merkwuͤr- digkeiten, die man alle genau unterſuchen muͤſte. Da liegt die lange Reihe der franzoͤſiſchen Koͤnige vom Klo- dowich an — einige fehlen, z. B. Karl der Groſſe, den ich einige Monathe nachher in Aachen fand, — bis LudwigXV. Das ganze Chor der Kirche mit allen Fluͤgel- und Nebengebaͤuden iſt damit angefuͤllt. Bei den meiſten liegen ihre Gemahlinnen und Kinder. Man zeigte die ſteinerne Platte, wo der Eingang zur Koͤnigl. Gruft iſt, und zu der man 12. Stufen hinunter ſteigt. Man hatte ſonſt die Gewohnheit, daß man die Koͤnige entweder in Koͤnigl. Kleidung, oder ſonſt in einer langen, faltigen Draperie in Stein aushaute, und dieſes Bild uͤber die Stelle, wo ſie begraben ſind, legte. Dieſe Bil- der ſind es eben, die man hier ſieht. Man koͤnnte ſie beſſer betrachten, wenn ſie aufrecht ſtuͤnden. Weil ſie aber alle ſo lang geſtreckt da liegen, tod, blas, ſtille, oh- ne Handlung, in keiner redenden Stellung, meiſt mit ge- faltenen Haͤnden; ſo ſiehts ſo fuͤrchterlich, ſo ſchauerlich aus. Wo man hinblickt, ſind alle Ecken mit einer oder mehrern Familien angefuͤllt. Das Valeſiſche Haus liegt ganz beiſammen. Es wandelt den Zuſchauer ein heiliges Grauſen an, wenn er ſo das nur von ſeinem Reiche angefuͤllte Feld des Todes, und in jeder Ecke ein oder mehrere Familien, die ſchon lange vom Schauplatze dieſer Welt abgetreten ſind, erblickt. Ich glaube, es iſt unmoͤglich, ein ganzes ausgeſtorbenes koͤnigliches Haus, die geſtuͤrzte irdiſche Groͤße und das Nichts der Welt oh- ne Empfindung vor ſich zu ſehen. Karl der Kahle liegt allein in der Mitte des Chors, und hat, weil er
auch
Y 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0367"n="343"/>
in Staub zerfallen ſind. Es ſcheint, die Kirche ſei hin-<lb/>
ter der Grille faſt eben ſo lang, als vor derſelben. Da<lb/>
iſt noch ein erſtaunlicher Platz, voll der groͤſten Merkwuͤr-<lb/>
digkeiten, die man alle genau unterſuchen muͤſte. Da<lb/>
liegt die lange Reihe der franzoͤſiſchen Koͤnige vom <hirendition="#fr">Klo-<lb/>
dowich</hi> an — einige fehlen, z. B. <hirendition="#fr">Karl der Groſſe,</hi><lb/>
den ich einige Monathe nachher in <hirendition="#fr">Aachen</hi> fand, — bis<lb/><hirendition="#fr">Ludwig</hi><hirendition="#aq">XV.</hi> Das ganze Chor der Kirche mit allen<lb/>
Fluͤgel- und Nebengebaͤuden iſt damit angefuͤllt. Bei<lb/>
den meiſten liegen ihre Gemahlinnen und Kinder. Man<lb/>
zeigte die ſteinerne Platte, wo der Eingang zur Koͤnigl.<lb/>
Gruft iſt, und zu der man 12. Stufen hinunter ſteigt.<lb/>
Man hatte ſonſt die Gewohnheit, daß man die Koͤnige<lb/>
entweder in Koͤnigl. Kleidung, oder ſonſt in einer langen,<lb/>
faltigen Draperie in Stein aushaute, und dieſes Bild<lb/>
uͤber die Stelle, wo ſie begraben ſind, legte. Dieſe Bil-<lb/>
der ſind es eben, die man hier ſieht. Man koͤnnte ſie<lb/>
beſſer betrachten, wenn ſie aufrecht ſtuͤnden. Weil ſie<lb/>
aber alle ſo lang geſtreckt da liegen, tod, blas, ſtille, oh-<lb/>
ne Handlung, in keiner redenden Stellung, meiſt mit ge-<lb/>
faltenen Haͤnden; ſo ſiehts ſo fuͤrchterlich, ſo ſchauerlich<lb/>
aus. Wo man hinblickt, ſind alle Ecken mit einer oder<lb/>
mehrern Familien angefuͤllt. Das <hirendition="#fr">Valeſ</hi>iſche <hirendition="#fr">Haus</hi><lb/>
liegt ganz beiſammen. Es wandelt den Zuſchauer ein<lb/>
heiliges Grauſen an, wenn er ſo das nur von <hirendition="#fr">ſeinem</hi><lb/>
Reiche angefuͤllte Feld des Todes, und in jeder Ecke ein<lb/>
oder mehrere Familien, die ſchon lange vom Schauplatze<lb/>
dieſer Welt abgetreten ſind, erblickt. Ich glaube, es<lb/>
iſt unmoͤglich, ein ganzes ausgeſtorbenes koͤnigliches Haus,<lb/>
die geſtuͤrzte irdiſche Groͤße und das Nichts der Welt oh-<lb/>
ne Empfindung vor ſich zu ſehen. <hirendition="#fr">Karl der Kahle</hi><lb/>
liegt allein in der Mitte des Chors, und hat, weil er<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Y 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">auch</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[343/0367]
in Staub zerfallen ſind. Es ſcheint, die Kirche ſei hin-
ter der Grille faſt eben ſo lang, als vor derſelben. Da
iſt noch ein erſtaunlicher Platz, voll der groͤſten Merkwuͤr-
digkeiten, die man alle genau unterſuchen muͤſte. Da
liegt die lange Reihe der franzoͤſiſchen Koͤnige vom Klo-
dowich an — einige fehlen, z. B. Karl der Groſſe,
den ich einige Monathe nachher in Aachen fand, — bis
Ludwig XV. Das ganze Chor der Kirche mit allen
Fluͤgel- und Nebengebaͤuden iſt damit angefuͤllt. Bei
den meiſten liegen ihre Gemahlinnen und Kinder. Man
zeigte die ſteinerne Platte, wo der Eingang zur Koͤnigl.
Gruft iſt, und zu der man 12. Stufen hinunter ſteigt.
Man hatte ſonſt die Gewohnheit, daß man die Koͤnige
entweder in Koͤnigl. Kleidung, oder ſonſt in einer langen,
faltigen Draperie in Stein aushaute, und dieſes Bild
uͤber die Stelle, wo ſie begraben ſind, legte. Dieſe Bil-
der ſind es eben, die man hier ſieht. Man koͤnnte ſie
beſſer betrachten, wenn ſie aufrecht ſtuͤnden. Weil ſie
aber alle ſo lang geſtreckt da liegen, tod, blas, ſtille, oh-
ne Handlung, in keiner redenden Stellung, meiſt mit ge-
faltenen Haͤnden; ſo ſiehts ſo fuͤrchterlich, ſo ſchauerlich
aus. Wo man hinblickt, ſind alle Ecken mit einer oder
mehrern Familien angefuͤllt. Das Valeſiſche Haus
liegt ganz beiſammen. Es wandelt den Zuſchauer ein
heiliges Grauſen an, wenn er ſo das nur von ſeinem
Reiche angefuͤllte Feld des Todes, und in jeder Ecke ein
oder mehrere Familien, die ſchon lange vom Schauplatze
dieſer Welt abgetreten ſind, erblickt. Ich glaube, es
iſt unmoͤglich, ein ganzes ausgeſtorbenes koͤnigliches Haus,
die geſtuͤrzte irdiſche Groͤße und das Nichts der Welt oh-
ne Empfindung vor ſich zu ſehen. Karl der Kahle
liegt allein in der Mitte des Chors, und hat, weil er
auch
Y 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/367>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.