verblichenen Gemälden in der Kirche St. Andre des Arts am besten gefallen hat. Eine Inschrift auf einem weissen, schwarz bandirten Marmor, in welcher unter andern die schönen Worte vorkommen: Avitae tenui- tatis aemulator severus, -- laborem assiduum prece interpungebat. Oben liegt eine weibliche Fi- gur mit geschlossenen Augen und mit dem Kopfe unter der linken Hand, in Traurigkeit versunken. Seine Frau und Kinder habens ihm setzen lassen. Mein letztes Ge- schäft von heute war, daß ich noch
Le Discours botanique de Mr. Jussieu abwar- tete. Diese erste Sommer-Vorlesung geschah im Am- phitheater. Dies ist ein elendes Auditorium, ein Platz, wo viele chymische Gefässe standen, weil Macquer seine Chymie auch darin liest. Der Lehrer hatte ein schlechtes hölzernes Tischchen und so einen elenden Stuhl, wie kaum bei uns in einer Dorfschule der Schulmeister hat. In halben Zirkeln um ihn herum war Platz genug für die Zu- hörer, aber enge, gefährliche Treppen, 6 kleine Fenster, kleine Pulte, überhaupt alles sehr eng etc. Um 4. Uhr sollte die Vorlesung angehen und um 5. Uhr auf hören, aber Jussieu kam erst um halb 5. und las dann fort bis 6. Uhr. So ist alles in Paris, nichts geschieht zu rechter Zeit und in der Ordnung. Darunter leidet der Fremde, dem die Zeit kostbar ist, gewaltig. Die Thü- re ward erst um 4. geöfnet, und dann wurden innen und aussen Wachen gestellt. Man empfing die Frauenzim- mer, die auch herein kamen, mit einem höhnischen Ge- klatsche. Das hätt' ich in Paris nicht erwartet! -- Einige verdroß es, andre aber klatschten mit. Es ka- men Leute aller Art, eine Menge Abbe's, Chymisten,
Wund-
verblichenen Gemaͤlden in der Kirche St. André des Arts am beſten gefallen hat. Eine Inſchrift auf einem weiſſen, ſchwarz bandirten Marmor, in welcher unter andern die ſchoͤnen Worte vorkommen: Avitae tenui- tatis aemulator ſeverus, — laborem aſſiduum prece interpungebat. Oben liegt eine weibliche Fi- gur mit geſchloſſenen Augen und mit dem Kopfe unter der linken Hand, in Traurigkeit verſunken. Seine Frau und Kinder habens ihm ſetzen laſſen. Mein letztes Ge- ſchaͤft von heute war, daß ich noch
Le Diſcours botanique de Mr. Juſſieu abwar- tete. Dieſe erſte Sommer-Vorleſung geſchah im Am- phitheater. Dies iſt ein elendes Auditorium, ein Platz, wo viele chymiſche Gefaͤſſe ſtanden, weil Macquer ſeine Chymie auch darin lieſt. Der Lehrer hatte ein ſchlechtes hoͤlzernes Tiſchchen und ſo einen elenden Stuhl, wie kaum bei uns in einer Dorfſchule der Schulmeiſter hat. In halben Zirkeln um ihn herum war Platz genug fuͤr die Zu- hoͤrer, aber enge, gefaͤhrliche Treppen, 6 kleine Fenſter, kleine Pulte, uͤberhaupt alles ſehr eng ꝛc. Um 4. Uhr ſollte die Vorleſung angehen und um 5. Uhr auf hoͤren, aber Juſſieu kam erſt um halb 5. und las dann fort bis 6. Uhr. So iſt alles in Paris, nichts geſchieht zu rechter Zeit und in der Ordnung. Darunter leidet der Fremde, dem die Zeit koſtbar iſt, gewaltig. Die Thuͤ- re ward erſt um 4. geoͤfnet, und dann wurden innen und auſſen Wachen geſtellt. Man empfing die Frauenzim- mer, die auch herein kamen, mit einem hoͤhniſchen Ge- klatſche. Das haͤtt’ ich in Paris nicht erwartet! — Einige verdroß es, andre aber klatſchten mit. Es ka- men Leute aller Art, eine Menge Abbe’s, Chymiſten,
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verblichenen Gemaͤlden in der Kirche St. André des
Arts am beſten gefallen hat. Eine Inſchrift auf einem
weiſſen, ſchwarz bandirten Marmor, in welcher unter
andern die ſchoͤnen Worte vorkommen: Avitae tenui-
tatis aemulator ſeverus, — laborem aſſiduum
prece interpungebat. Oben liegt eine weibliche Fi-
gur mit geſchloſſenen Augen und mit dem Kopfe unter
der linken Hand, in Traurigkeit verſunken. Seine Frau
und Kinder habens ihm ſetzen laſſen. Mein letztes Ge-
ſchaͤft von heute war, daß ich noch
Le Diſcours botanique de Mr. Juſſieu abwar-
tete. Dieſe erſte Sommer-Vorleſung geſchah im Am-
phitheater. Dies iſt ein elendes Auditorium, ein Platz,
wo viele chymiſche Gefaͤſſe ſtanden, weil Macquer ſeine
Chymie auch darin lieſt. Der Lehrer hatte ein ſchlechtes
hoͤlzernes Tiſchchen und ſo einen elenden Stuhl, wie kaum
bei uns in einer Dorfſchule der Schulmeiſter hat. In
halben Zirkeln um ihn herum war Platz genug fuͤr die Zu-
hoͤrer, aber enge, gefaͤhrliche Treppen, 6 kleine Fenſter,
kleine Pulte, uͤberhaupt alles ſehr eng ꝛc. Um 4. Uhr
ſollte die Vorleſung angehen und um 5. Uhr auf hoͤren,
aber Juſſieu kam erſt um halb 5. und las dann fort
bis 6. Uhr. So iſt alles in Paris, nichts geſchieht zu
rechter Zeit und in der Ordnung. Darunter leidet der
Fremde, dem die Zeit koſtbar iſt, gewaltig. Die Thuͤ-
re ward erſt um 4. geoͤfnet, und dann wurden innen und
auſſen Wachen geſtellt. Man empfing die Frauenzim-
mer, die auch herein kamen, mit einem hoͤhniſchen Ge-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/218>, abgerufen am 24.11.2024.
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