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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783.

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einen beständigen Umgang mit diesen Unglücklichen,
durch geduldiges und ernsthaftes Anhören und Beantwor-
ten ihrer Zweifel, Grillen, Fragen, durch väterliche
Rücksicht auf alle ihre Bedürfnisse und Aengstlichkeiten,
zuweilen auch durch sorgfältige Vermeidung der Einsam-
keit hier und da einen Halbvernünftigen wieder zum nütz-
lichen Gliede der menschlichen Gesellschaft umschaffen könn-
ten. Herkulische Arbeit wärs freilich, mit solchen Leuten
umzugehen, aber, nach einigen Erfahrungen zu urtheilen,
dürfte mein Vorschlag nicht ohne fruchtbaren Erfolg seyn.
Kan mans ohne Jammer ansehen, wie einige, wie Ty-
ger, in die Kette beissen, die sie drückt, wie andre still si-
tzen, in sich selbst zurückgezogen und jammern, im Kum-
mer versinken wollen etc. Freilich ists nur eine ein-
gebildete Last, die sie drückt, aber doch muß sie den
Elenden unsäglich schwer auf dem Herzen liegen.
Zum Theil lernen die Züchtlinge feine Stroharbeiten ma-
chen, die sie den Fremden am Fenster verkaufen, Büch-
sen, Flacons, Dosen mit Silber und Gold, Arbeiten,
die 30. 40. Sous werth sind, und in der Stadt theurer
verkauft werden. Man wies mir in der Kapelle ein Ge-
mälde, das einer von den Gefangnen gemacht hat. Der
vorige Dauphin liegt krank im Bett, die Bischöffe stehen
schon mit den Kerzen vor seinen Lager, und sich mahlte
der arme Kerl selber zu den Füssen des Dauphins hin auf
den Knien um Gnade flehend, die Fesseln hängen ihm
am Fusse. Es ist recht artig gemacht, der Bursche starb
aber 6. Wochen, nachdem es fertig war. Jetzt waren
4500. Menschen hier. Ihre Uniform ist ein schmutzig-
graues Kleid. Es liegen alte Soldaten zur Wache da-
rin. Eine der grösten Merkwürdigkeiten ist der Brun-
nen. Es ist Quellwasser, und hat eine erschreckliche Tie-

fe,

einen beſtaͤndigen Umgang mit dieſen Ungluͤcklichen,
durch geduldiges und ernſthaftes Anhoͤren und Beantwor-
ten ihrer Zweifel, Grillen, Fragen, durch vaͤterliche
Ruͤckſicht auf alle ihre Beduͤrfniſſe und Aengſtlichkeiten,
zuweilen auch durch ſorgfaͤltige Vermeidung der Einſam-
keit hier und da einen Halbvernuͤnftigen wieder zum nuͤtz-
lichen Gliede der menſchlichen Geſellſchaft umſchaffen koͤnn-
ten. Herkuliſche Arbeit waͤrs freilich, mit ſolchen Leuten
umzugehen, aber, nach einigen Erfahrungen zu urtheilen,
duͤrfte mein Vorſchlag nicht ohne fruchtbaren Erfolg ſeyn.
Kan mans ohne Jammer anſehen, wie einige, wie Ty-
ger, in die Kette beiſſen, die ſie druͤckt, wie andre ſtill ſi-
tzen, in ſich ſelbſt zuruͤckgezogen und jammern, im Kum-
mer verſinken wollen ꝛc. Freilich iſts nur eine ein-
gebildete Laſt, die ſie druͤckt, aber doch muß ſie den
Elenden unſaͤglich ſchwer auf dem Herzen liegen.
Zum Theil lernen die Zuͤchtlinge feine Stroharbeiten ma-
chen, die ſie den Fremden am Fenſter verkaufen, Buͤch-
ſen, Flacons, Doſen mit Silber und Gold, Arbeiten,
die 30. 40. Sous werth ſind, und in der Stadt theurer
verkauft werden. Man wies mir in der Kapelle ein Ge-
maͤlde, das einer von den Gefangnen gemacht hat. Der
vorige Dauphin liegt krank im Bett, die Biſchoͤffe ſtehen
ſchon mit den Kerzen vor ſeinen Lager, und ſich mahlte
der arme Kerl ſelber zu den Fuͤſſen des Dauphins hin auf
den Knien um Gnade flehend, die Feſſeln haͤngen ihm
am Fuſſe. Es iſt recht artig gemacht, der Burſche ſtarb
aber 6. Wochen, nachdem es fertig war. Jetzt waren
4500. Menſchen hier. Ihre Uniform iſt ein ſchmutzig-
graues Kleid. Es liegen alte Soldaten zur Wache da-
rin. Eine der groͤſten Merkwuͤrdigkeiten iſt der Brun-
nen. Es iſt Quellwaſſer, und hat eine erſchreckliche Tie-

fe,
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[188/0212] einen beſtaͤndigen Umgang mit dieſen Ungluͤcklichen, durch geduldiges und ernſthaftes Anhoͤren und Beantwor- ten ihrer Zweifel, Grillen, Fragen, durch vaͤterliche Ruͤckſicht auf alle ihre Beduͤrfniſſe und Aengſtlichkeiten, zuweilen auch durch ſorgfaͤltige Vermeidung der Einſam- keit hier und da einen Halbvernuͤnftigen wieder zum nuͤtz- lichen Gliede der menſchlichen Geſellſchaft umſchaffen koͤnn- ten. Herkuliſche Arbeit waͤrs freilich, mit ſolchen Leuten umzugehen, aber, nach einigen Erfahrungen zu urtheilen, duͤrfte mein Vorſchlag nicht ohne fruchtbaren Erfolg ſeyn. Kan mans ohne Jammer anſehen, wie einige, wie Ty- ger, in die Kette beiſſen, die ſie druͤckt, wie andre ſtill ſi- tzen, in ſich ſelbſt zuruͤckgezogen und jammern, im Kum- mer verſinken wollen ꝛc. Freilich iſts nur eine ein- gebildete Laſt, die ſie druͤckt, aber doch muß ſie den Elenden unſaͤglich ſchwer auf dem Herzen liegen. Zum Theil lernen die Zuͤchtlinge feine Stroharbeiten ma- chen, die ſie den Fremden am Fenſter verkaufen, Buͤch- ſen, Flacons, Doſen mit Silber und Gold, Arbeiten, die 30. 40. Sous werth ſind, und in der Stadt theurer verkauft werden. Man wies mir in der Kapelle ein Ge- maͤlde, das einer von den Gefangnen gemacht hat. Der vorige Dauphin liegt krank im Bett, die Biſchoͤffe ſtehen ſchon mit den Kerzen vor ſeinen Lager, und ſich mahlte der arme Kerl ſelber zu den Fuͤſſen des Dauphins hin auf den Knien um Gnade flehend, die Feſſeln haͤngen ihm am Fuſſe. Es iſt recht artig gemacht, der Burſche ſtarb aber 6. Wochen, nachdem es fertig war. Jetzt waren 4500. Menſchen hier. Ihre Uniform iſt ein ſchmutzig- graues Kleid. Es liegen alte Soldaten zur Wache da- rin. Eine der groͤſten Merkwuͤrdigkeiten iſt der Brun- nen. Es iſt Quellwaſſer, und hat eine erſchreckliche Tie- fe,

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/212>, abgerufen am 24.11.2024.