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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783.

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meister sonst beständig prügeln müsten. Da sieht man
recht, daß Strafen die Unmenschen nicht besser machen!
Aber es wäre auch eine Aufgabe für unsre Staatsklügler,
Mittel auszudenken, wodurch man solche verderbte Jüng-
linge auf eine nützliche Art beschäftigen könnte. Denn
so wie der Müßiggang der erste Anfang ihrer Thorheiten
war, so werden sie hier durch eine ewige Unthätigkeit vol-
lends verdorben. Die Leidenschaften schweigen nicht, die
bösen Fertigkeiten bekommen keine andre Richtung, und
die rege, und durch den Mangel noch mehr erhitzte, Phanta-
sie zeigt ihnen beständig in ihrem Zauberspiegel die täu-
schenden Freuden, die sie gemißbraucht haben. Man
findet auch viele Krüppel, Lahme, Arme etc. viele Ver-
brecher, welche die Polizei hierher geschickt hat. In der
andern Hälfte des Hofs sieht man hinter etlichen Thüren
eine Menge Narren und Verrückte, die so kläglich unter
einander laufen, schreien, lachen, sich beschmutzen etc. daß
mans ohne Mitleiden nicht ansehen kan! Gott im Him-
mel! von wie vielen Scenen des menschlichen Elends am
Leib und an der Seele war ich in diesem einzigen Gebäude
Zeuge! So lange ein Paris in der Welt ist, muß es
freilich auch ein Bicetre geben: das ist ein nothwendi-
ges Uebel, welches an dieser Stadt hängt. Aber das
gefiel mir nicht, daß so viele Narren beisammen in Ei-
nem Gemache sind, und einander noch verwirrter ma-
chen. Möchte doch einmahl ein Reicher ein ansehnliches
Kapital zur Unterhaltung gewisser Männer -- es müsten ja
eben nicht Candidati Theologiae seyn -- aussetzen,
die Psychologie, Diätetik, Weltkenntniß, Moral und
Menschenliebe studieren, und sich sodann dem schweren,
aber gewiß Verdienstvollen Geschäft widmen wollten, an
Verrükten einen Versuch zu machen, ob sie nicht durch

einen

meiſter ſonſt beſtaͤndig pruͤgeln muͤſten. Da ſieht man
recht, daß Strafen die Unmenſchen nicht beſſer machen!
Aber es waͤre auch eine Aufgabe fuͤr unſre Staatskluͤgler,
Mittel auszudenken, wodurch man ſolche verderbte Juͤng-
linge auf eine nuͤtzliche Art beſchaͤftigen koͤnnte. Denn
ſo wie der Muͤßiggang der erſte Anfang ihrer Thorheiten
war, ſo werden ſie hier durch eine ewige Unthaͤtigkeit vol-
lends verdorben. Die Leidenſchaften ſchweigen nicht, die
boͤſen Fertigkeiten bekommen keine andre Richtung, und
die rege, und durch den Mangel noch mehr erhitzte, Phanta-
ſie zeigt ihnen beſtaͤndig in ihrem Zauberſpiegel die taͤu-
ſchenden Freuden, die ſie gemißbraucht haben. Man
findet auch viele Kruͤppel, Lahme, Arme ꝛc. viele Ver-
brecher, welche die Polizei hierher geſchickt hat. In der
andern Haͤlfte des Hofs ſieht man hinter etlichen Thuͤren
eine Menge Narren und Verruͤckte, die ſo klaͤglich unter
einander laufen, ſchreien, lachen, ſich beſchmutzen ꝛc. daß
mans ohne Mitleiden nicht anſehen kan! Gott im Him-
mel! von wie vielen Scenen des menſchlichen Elends am
Leib und an der Seele war ich in dieſem einzigen Gebaͤude
Zeuge! So lange ein Paris in der Welt iſt, muß es
freilich auch ein Bicetre geben: das iſt ein nothwendi-
ges Uebel, welches an dieſer Stadt haͤngt. Aber das
gefiel mir nicht, daß ſo viele Narren beiſammen in Ei-
nem Gemache ſind, und einander noch verwirrter ma-
chen. Moͤchte doch einmahl ein Reicher ein anſehnliches
Kapital zur Unterhaltung gewiſſer Maͤnner — es muͤſten ja
eben nicht Candidati Theologiae ſeyn — ausſetzen,
die Pſychologie, Diaͤtetik, Weltkenntniß, Moral und
Menſchenliebe ſtudieren, und ſich ſodann dem ſchweren,
aber gewiß Verdienſtvollen Geſchaͤft widmen wollten, an
Verruͤkten einen Verſuch zu machen, ob ſie nicht durch

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[187/0211] meiſter ſonſt beſtaͤndig pruͤgeln muͤſten. Da ſieht man recht, daß Strafen die Unmenſchen nicht beſſer machen! Aber es waͤre auch eine Aufgabe fuͤr unſre Staatskluͤgler, Mittel auszudenken, wodurch man ſolche verderbte Juͤng- linge auf eine nuͤtzliche Art beſchaͤftigen koͤnnte. Denn ſo wie der Muͤßiggang der erſte Anfang ihrer Thorheiten war, ſo werden ſie hier durch eine ewige Unthaͤtigkeit vol- lends verdorben. Die Leidenſchaften ſchweigen nicht, die boͤſen Fertigkeiten bekommen keine andre Richtung, und die rege, und durch den Mangel noch mehr erhitzte, Phanta- ſie zeigt ihnen beſtaͤndig in ihrem Zauberſpiegel die taͤu- ſchenden Freuden, die ſie gemißbraucht haben. Man findet auch viele Kruͤppel, Lahme, Arme ꝛc. viele Ver- brecher, welche die Polizei hierher geſchickt hat. In der andern Haͤlfte des Hofs ſieht man hinter etlichen Thuͤren eine Menge Narren und Verruͤckte, die ſo klaͤglich unter einander laufen, ſchreien, lachen, ſich beſchmutzen ꝛc. daß mans ohne Mitleiden nicht anſehen kan! Gott im Him- mel! von wie vielen Scenen des menſchlichen Elends am Leib und an der Seele war ich in dieſem einzigen Gebaͤude Zeuge! So lange ein Paris in der Welt iſt, muß es freilich auch ein Bicetre geben: das iſt ein nothwendi- ges Uebel, welches an dieſer Stadt haͤngt. Aber das gefiel mir nicht, daß ſo viele Narren beiſammen in Ei- nem Gemache ſind, und einander noch verwirrter ma- chen. Moͤchte doch einmahl ein Reicher ein anſehnliches Kapital zur Unterhaltung gewiſſer Maͤnner — es muͤſten ja eben nicht Candidati Theologiae ſeyn — ausſetzen, die Pſychologie, Diaͤtetik, Weltkenntniß, Moral und Menſchenliebe ſtudieren, und ſich ſodann dem ſchweren, aber gewiß Verdienſtvollen Geſchaͤft widmen wollten, an Verruͤkten einen Verſuch zu machen, ob ſie nicht durch einen

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/211>, abgerufen am 24.11.2024.