besucht zugleich Kranke in der Stadt. Er hat eine Ge- schichte der Anatomie geschrieben. Jetzt arbeitet er an einer neuen Ausgabe der Hist. anatom. & pratiq. de M. Lieutaud mit starken Anmerk. T. I. II. sind schon heraus. Die Membrane im stapede auris, die ich bei der Mdlle. Biheron sah, (deren Freund er nicht ist) hat er nie gesehen; Haller sieht sie für ein Periost. an, wir schlugen die Stelle im Lieutaud auf. Sib- baldi Balaenol. kannt' er auch nicht. Das Graduiren der Aerzte sah er für das an, was es ist. Von den De- batten in der Akad. sagte er: C'est une chose terri- ble dans les Societes.
Den 29sten Mai.
Frohnleichnamstag (la Fete Dieu) war heute und auch einmahl ein schöner Tag, doch Abends schwärz- te sich der Himmel schon wieder. Man hörte den gan- zen Vormittag nichts als Läuten, Trommeln, Schellen, Singen, Beten. Alle Strassen wurden mit Tapeten behangen, die bald recht schön, bald recht schlecht waren; aus allen Kirchen gingen Prozessionen, man sah prächti- ge Meßkleider, Blumen, Lichter, Rauchwerk, Mon- stranzen, -- die zum Theil über 1000. Louisd'or kosten. Bei jeder Prozession waren Wachen. -- Es war nicht rathsam viel auszugehen, man wird zum Knien, wenn die Hostie vorbeigetragen wird, gezwungen, und alle Bi- bliotheken und Kabinette sind ohnehin geschlossen. In- des der Aberglaube sein prächtiges Spiel trieb, studirte ich in D'Argenville's Conchyliologie die Wunder der Natur im Meer an den verächtlichen Thieren, und sah Nachmittags
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beſucht zugleich Kranke in der Stadt. Er hat eine Ge- ſchichte der Anatomie geſchrieben. Jetzt arbeitet er an einer neuen Ausgabe der Hiſt. anatom. & pratiq. de M. Lieutaud mit ſtarken Anmerk. T. I. II. ſind ſchon heraus. Die Membrane im ſtapede auris, die ich bei der Mdlle. Biheron ſah, (deren Freund er nicht iſt) hat er nie geſehen; Haller ſieht ſie fuͤr ein Perioſt. an, wir ſchlugen die Stelle im Lieutaud auf. Sib- baldi Balaenol. kannt’ er auch nicht. Das Graduiren der Aerzte ſah er fuͤr das an, was es iſt. Von den De- batten in der Akad. ſagte er: C’eſt une choſe terri- ble dans les Societés.
Den 29ſten Mai.
Frohnleichnamstag (la Fête Dieu) war heute und auch einmahl ein ſchoͤner Tag, doch Abends ſchwaͤrz- te ſich der Himmel ſchon wieder. Man hoͤrte den gan- zen Vormittag nichts als Laͤuten, Trommeln, Schellen, Singen, Beten. Alle Straſſen wurden mit Tapeten behangen, die bald recht ſchoͤn, bald recht ſchlecht waren; aus allen Kirchen gingen Prozeſſionen, man ſah praͤchti- ge Meßkleider, Blumen, Lichter, Rauchwerk, Mon- ſtranzen, — die zum Theil uͤber 1000. Louisd’or koſten. Bei jeder Prozeſſion waren Wachen. — Es war nicht rathſam viel auszugehen, man wird zum Knien, wenn die Hoſtie vorbeigetragen wird, gezwungen, und alle Bi- bliotheken und Kabinette ſind ohnehin geſchloſſen. In- des der Aberglaube ſein praͤchtiges Spiel trieb, ſtudirte ich in D’Argenville’s Conchyliologie die Wunder der Natur im Meer an den veraͤchtlichen Thieren, und ſah Nachmittags
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beſucht zugleich Kranke in der Stadt. Er hat eine Ge-
ſchichte der Anatomie geſchrieben. Jetzt arbeitet er an
einer neuen Ausgabe der Hiſt. anatom. & pratiq. de
M. Lieutaud mit ſtarken Anmerk. T. I. II. ſind ſchon
heraus. Die Membrane im ſtapede auris, die ich
bei der Mdlle. Biheron ſah, (deren Freund er nicht iſt)
hat er nie geſehen; Haller ſieht ſie fuͤr ein Perioſt.
an, wir ſchlugen die Stelle im Lieutaud auf. Sib-
baldi Balaenol. kannt’ er auch nicht. Das Graduiren
der Aerzte ſah er fuͤr das an, was es iſt. Von den De-
batten in der Akad. ſagte er: C’eſt une choſe terri-
ble dans les Societés.
Den 29ſten Mai.
Frohnleichnamstag (la Fête Dieu) war heute
und auch einmahl ein ſchoͤner Tag, doch Abends ſchwaͤrz-
te ſich der Himmel ſchon wieder. Man hoͤrte den gan-
zen Vormittag nichts als Laͤuten, Trommeln, Schellen,
Singen, Beten. Alle Straſſen wurden mit Tapeten
behangen, die bald recht ſchoͤn, bald recht ſchlecht waren;
aus allen Kirchen gingen Prozeſſionen, man ſah praͤchti-
ge Meßkleider, Blumen, Lichter, Rauchwerk, Mon-
ſtranzen, — die zum Theil uͤber 1000. Louisd’or koſten.
Bei jeder Prozeſſion waren Wachen. — Es war nicht
rathſam viel auszugehen, man wird zum Knien, wenn
die Hoſtie vorbeigetragen wird, gezwungen, und alle Bi-
bliotheken und Kabinette ſind ohnehin geſchloſſen. In-
des der Aberglaube ſein praͤchtiges Spiel trieb, ſtudirte
ich in D’Argenville’s Conchyliologie die Wunder der
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/123>, abgerufen am 25.11.2024.
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