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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

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Die Stenographie.
Patientia Nostra (Anfang der berühmten Ciceronischen Rede gegen
Katilina: Wie lange wirst Du noch unsere Geduld mißbrauchen,
Katilina?). Die Wörter tandem, abuteris und Catilina sind überhaupt
nicht angedeutet, mußten vielmehr bei der Übertragung mit Hülfe des Ge-
dächtnisses hinzugefügt werden. Die Tironischen Noten fanden mannig-
faltige Anwendung im öffentlichen und privaten Leben und hielten sich
wahrscheinlich auch bis in die Verfallzeit des Mittelalters hinein.
Die letzten Urkunden über ihre Anwendung reichen nur in das
10. Jahrhundert unserer Zeitrechnung zurück. Von einer später er-
fundenen griechischen Kurzschrift wissen wir nur, daß sie im 3. Jahr-
hundert nach Chr. Geb. in Gebrauch war. Viele Fingerzeige deuten
darauf hin, daß auch im späteren Mittelalter eine Stenographie be-
kannt und angewandt war, ohne daß wir aber über ihr Wesen näheres
wissen. Das durch die religiösen Kämpfe und durch die Anfänge eines
parlamentarischen Systems in England gesteigerte öffentliche geistige
Leben rief im Jahre 1602 ein neues stenographisches System von
Willis hervor, das im wesentlichen in einer vereinfachten Schreibweise
der Konsonanten und in der Bezeichnung der Vokale durch verschiedene
Stellung der Konsonanten bestand. Von den folgenden Versuchen in
England ist erst wieder der Taylors im Jahre 1786 zu erwähnen, der
den inlautenden, d. h. von 2 Konsonanten eingeschlossenen Vokal, über-
haupt unbezeichnet ließ. Trotzdem dieses System dem Lesen große
Schwierigkeiten entgegensetzte, wurde es in viele andere Sprachen über-
tragen. Einen Abschluß fanden diese englischen Bestrebungen in der
"Phonographie" von Isaac Pitman, so genannt, weil er die streng
lautliche Schreibweise einführte, was ja gerade für die englische Sprache
von sehr großer Bedeutung ist. Seine Konsonanten waren im allge-
meinen verschieden lange Linien oder verschieden große Stücke des Kreises,
während er die Vokale durch Punkte und Striche in verschiedenen
Stellungen bezeichnete. Die französischen älteren Systeme basieren
meistenteils auf den englischen. Erwähnt sei nur Cossards "Methode,
so schnell zu schreiben, als man spricht" aus dem Jahre 1641, Ram-
says "Tachygraphie" aus dem Ende des 17. Jahrhunderts und Prevosts
Umarbeitung des Taylorschen Systems aus dem Jahre 1827. Weit
origineller ist das System von Duploye aus dem Jahre 1868, das
den großen Vorteil besserer Verbindungsfähigkeit der Konsonanten und
Vokale hat.

Doch da haben wir eigentlich schon der Entwicklung vorgegriffen,
zwar nur zeitlich. Denn zu einer vollen, originellen, wissenschaftlich be-
gründeten und praktisch verwertbaren Entwicklung baute sich der steno-
graphische Gedanke schon vorher in Deutschland in den Köpfen Gabels-
bergers und Stolzes aus. Es ist hier nicht der Ort, die Vorzüge und
Nachteile des einen und anderen Systems gegen einander abzuwägen.
Beide erfüllen die Aufgaben einer guten Stenographie, sowohl für den
gewöhnlichen privaten Gebrauch eine leicht erlernbare, flüssig schreib-

Die Stenographie.
Patientia Nostra (Anfang der berühmten Ciceroniſchen Rede gegen
Katilina: Wie lange wirſt Du noch unſere Geduld mißbrauchen,
Katilina?). Die Wörter tandem, abuteris und Catilina ſind überhaupt
nicht angedeutet, mußten vielmehr bei der Übertragung mit Hülfe des Ge-
dächtniſſes hinzugefügt werden. Die Tironiſchen Noten fanden mannig-
faltige Anwendung im öffentlichen und privaten Leben und hielten ſich
wahrſcheinlich auch bis in die Verfallzeit des Mittelalters hinein.
Die letzten Urkunden über ihre Anwendung reichen nur in das
10. Jahrhundert unſerer Zeitrechnung zurück. Von einer ſpäter er-
fundenen griechiſchen Kurzſchrift wiſſen wir nur, daß ſie im 3. Jahr-
hundert nach Chr. Geb. in Gebrauch war. Viele Fingerzeige deuten
darauf hin, daß auch im ſpäteren Mittelalter eine Stenographie be-
kannt und angewandt war, ohne daß wir aber über ihr Weſen näheres
wiſſen. Das durch die religiöſen Kämpfe und durch die Anfänge eines
parlamentariſchen Syſtems in England geſteigerte öffentliche geiſtige
Leben rief im Jahre 1602 ein neues ſtenographiſches Syſtem von
Willis hervor, das im weſentlichen in einer vereinfachten Schreibweiſe
der Konſonanten und in der Bezeichnung der Vokale durch verſchiedene
Stellung der Konſonanten beſtand. Von den folgenden Verſuchen in
England iſt erſt wieder der Taylors im Jahre 1786 zu erwähnen, der
den inlautenden, d. h. von 2 Konſonanten eingeſchloſſenen Vokal, über-
haupt unbezeichnet ließ. Trotzdem dieſes Syſtem dem Leſen große
Schwierigkeiten entgegenſetzte, wurde es in viele andere Sprachen über-
tragen. Einen Abſchluß fanden dieſe engliſchen Beſtrebungen in der
„Phonographie“ von Iſaac Pitman, ſo genannt, weil er die ſtreng
lautliche Schreibweiſe einführte, was ja gerade für die engliſche Sprache
von ſehr großer Bedeutung iſt. Seine Konſonanten waren im allge-
meinen verſchieden lange Linien oder verſchieden große Stücke des Kreiſes,
während er die Vokale durch Punkte und Striche in verſchiedenen
Stellungen bezeichnete. Die franzöſiſchen älteren Syſteme baſieren
meiſtenteils auf den engliſchen. Erwähnt ſei nur Coſſards „Methode,
ſo ſchnell zu ſchreiben, als man ſpricht“ aus dem Jahre 1641, Ram-
ſays „Tachygraphie“ aus dem Ende des 17. Jahrhunderts und Prevoſts
Umarbeitung des Taylorſchen Syſtems aus dem Jahre 1827. Weit
origineller iſt das Syſtem von Duployé aus dem Jahre 1868, das
den großen Vorteil beſſerer Verbindungsfähigkeit der Konſonanten und
Vokale hat.

Doch da haben wir eigentlich ſchon der Entwicklung vorgegriffen,
zwar nur zeitlich. Denn zu einer vollen, originellen, wiſſenſchaftlich be-
gründeten und praktiſch verwertbaren Entwicklung baute ſich der ſteno-
graphiſche Gedanke ſchon vorher in Deutſchland in den Köpfen Gabels-
bergers und Stolzes aus. Es iſt hier nicht der Ort, die Vorzüge und
Nachteile des einen und anderen Syſtems gegen einander abzuwägen.
Beide erfüllen die Aufgaben einer guten Stenographie, ſowohl für den
gewöhnlichen privaten Gebrauch eine leicht erlernbare, flüſſig ſchreib-

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[941/0959] Die Stenographie. Patientia Nostra (Anfang der berühmten Ciceroniſchen Rede gegen Katilina: Wie lange wirſt Du noch unſere Geduld mißbrauchen, Katilina?). Die Wörter tandem, abuteris und Catilina ſind überhaupt nicht angedeutet, mußten vielmehr bei der Übertragung mit Hülfe des Ge- dächtniſſes hinzugefügt werden. Die Tironiſchen Noten fanden mannig- faltige Anwendung im öffentlichen und privaten Leben und hielten ſich wahrſcheinlich auch bis in die Verfallzeit des Mittelalters hinein. Die letzten Urkunden über ihre Anwendung reichen nur in das 10. Jahrhundert unſerer Zeitrechnung zurück. Von einer ſpäter er- fundenen griechiſchen Kurzſchrift wiſſen wir nur, daß ſie im 3. Jahr- hundert nach Chr. Geb. in Gebrauch war. Viele Fingerzeige deuten darauf hin, daß auch im ſpäteren Mittelalter eine Stenographie be- kannt und angewandt war, ohne daß wir aber über ihr Weſen näheres wiſſen. Das durch die religiöſen Kämpfe und durch die Anfänge eines parlamentariſchen Syſtems in England geſteigerte öffentliche geiſtige Leben rief im Jahre 1602 ein neues ſtenographiſches Syſtem von Willis hervor, das im weſentlichen in einer vereinfachten Schreibweiſe der Konſonanten und in der Bezeichnung der Vokale durch verſchiedene Stellung der Konſonanten beſtand. Von den folgenden Verſuchen in England iſt erſt wieder der Taylors im Jahre 1786 zu erwähnen, der den inlautenden, d. h. von 2 Konſonanten eingeſchloſſenen Vokal, über- haupt unbezeichnet ließ. Trotzdem dieſes Syſtem dem Leſen große Schwierigkeiten entgegenſetzte, wurde es in viele andere Sprachen über- tragen. Einen Abſchluß fanden dieſe engliſchen Beſtrebungen in der „Phonographie“ von Iſaac Pitman, ſo genannt, weil er die ſtreng lautliche Schreibweiſe einführte, was ja gerade für die engliſche Sprache von ſehr großer Bedeutung iſt. Seine Konſonanten waren im allge- meinen verſchieden lange Linien oder verſchieden große Stücke des Kreiſes, während er die Vokale durch Punkte und Striche in verſchiedenen Stellungen bezeichnete. Die franzöſiſchen älteren Syſteme baſieren meiſtenteils auf den engliſchen. Erwähnt ſei nur Coſſards „Methode, ſo ſchnell zu ſchreiben, als man ſpricht“ aus dem Jahre 1641, Ram- ſays „Tachygraphie“ aus dem Ende des 17. Jahrhunderts und Prevoſts Umarbeitung des Taylorſchen Syſtems aus dem Jahre 1827. Weit origineller iſt das Syſtem von Duployé aus dem Jahre 1868, das den großen Vorteil beſſerer Verbindungsfähigkeit der Konſonanten und Vokale hat. Doch da haben wir eigentlich ſchon der Entwicklung vorgegriffen, zwar nur zeitlich. Denn zu einer vollen, originellen, wiſſenſchaftlich be- gründeten und praktiſch verwertbaren Entwicklung baute ſich der ſteno- graphiſche Gedanke ſchon vorher in Deutſchland in den Köpfen Gabels- bergers und Stolzes aus. Es iſt hier nicht der Ort, die Vorzüge und Nachteile des einen und anderen Syſtems gegen einander abzuwägen. Beide erfüllen die Aufgaben einer guten Stenographie, ſowohl für den gewöhnlichen privaten Gebrauch eine leicht erlernbare, flüſſig ſchreib-

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Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 941. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/959>, abgerufen am 22.11.2024.