ihre verschiedene künstlerische Begabung und Neigung zurückzuführen, die zu sehr abweichender Auffassung und Darstellung in der Natur vor- handener Gegenstände führte, während allerdings einen besonderen Ein- fluß nach dieser Richtung die Art des Schreibmaterials übte.
Notwendigerweise mußte sich mit der Verallgemeinerung dieses Kulturmittels, mit seiner zunehmenden Wichtigkeit, mit der Verbesserung des Schreibmaterials, das, wie an anderer Stelle (siehe S. 923) be- richtet werden wird, namentlich in Ägypten im Pergamentpapier und im Papyrus sicherlich schon mehrere Jahrtausende vor Chr. Geb. zu hoher Vollkommenheit gelangte, das Streben nach Vereinfachung der unbequemen und schwierigen Bilderschrift gebieterisch geltend machen. Am deutlichsten tritt die Entwickelung einer bequemen systematischen
[Abbildung]
Fig. 503.
Hieroglyphen.
Schrift aus der Bilderschrift bei den Ägyptern, Assyrern und Chinesen hervor. Aus den ursprünglichen Hieroglyphen (siehe Fig. 503) der alten Ägypter entstand durch Abschleifung der Bilderformen zu kaum mehr als Sym- bole erkennbaren Zeichen die hieratische Schrift, deren älteste nachweis- bare Anwendung bis ins dritte Jahrtausend v. Chr. zurückgeht, während die durch weitere Vereinfachung der vorhandenen Zeichen entstandene demotische Schrift, die Volksschrift, erst im 9. Jahrhundert v. Chr. in den uns bekannten Schriftdenkmälern auftaucht. Eine große Schwierigkeit bot nun aber bei dieser Symbolschrift die Wiedergabe von abstrakten Begriffen, Gefühlen und Gedanken. Sie wurde teilweise dadurch über- wunden, daß man die Ursache statt der Wirkung, oder irgend ein sinn- liches Objekt hinzeichnete, das den betreffenden Begriff zu charakterisieren besonders geeignet erschien.
Ein ganz erheblicher Fortschritt erfolgte durch die Erfindung der Silbenschrift, die einen rebusartigen Charakter hat, indem man begann, die Wörter in Silben zu zerlegen und gleichlautende Silben in ver- schiedenen Wörtern unabhängig von ihrer jeweiligen Bedeutung durch ein und dasselbe Zeichen darzustellen, das dann erst durch Zusammen- setzung mit anderen Zeichen einen bestimmten Sinn erhielt. Anderer- seits wurde vielfach wegen der Wortarmut der Schriften und Sprachen erst durch Hinzusetzung eines den betreffenden Gegenstand charak- terisierenden Zeichens, eines Determinativs, die spezielle Bedeutung eines Wortes verdeutlicht. Aber die Ägypter gelangten im Gegensatz zu den Babyloniern und Chinesen -- letztere sind noch heute nicht über die Rebus- oder Silbenschrift hinausgekommen -- über diese hinaus zur Lautschrift, zur Fixierung von Konsonanten und Vokalen, wenn sie auch noch kein vollkommenes alphabetisches System aufstellten.
Der bedeutendste Schritt nach der Richtung der Vervollkommnung des Schriftgedankens war damit gethan. Zur vollständigen Durchführung, zur Aufstellung eines Alphabets kam das phonetische System der Schreibung, also die Lautschrift erst bei den Phöniziern, die bei ihrem
Die Schreibſchrift.
ihre verſchiedene künſtleriſche Begabung und Neigung zurückzuführen, die zu ſehr abweichender Auffaſſung und Darſtellung in der Natur vor- handener Gegenſtände führte, während allerdings einen beſonderen Ein- fluß nach dieſer Richtung die Art des Schreibmaterials übte.
Notwendigerweiſe mußte ſich mit der Verallgemeinerung dieſes Kulturmittels, mit ſeiner zunehmenden Wichtigkeit, mit der Verbeſſerung des Schreibmaterials, das, wie an anderer Stelle (ſiehe S. 923) be- richtet werden wird, namentlich in Ägypten im Pergamentpapier und im Papyrus ſicherlich ſchon mehrere Jahrtauſende vor Chr. Geb. zu hoher Vollkommenheit gelangte, das Streben nach Vereinfachung der unbequemen und ſchwierigen Bilderſchrift gebieteriſch geltend machen. Am deutlichſten tritt die Entwickelung einer bequemen ſyſtematiſchen
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Fig. 503.
Hieroglyphen.
Schrift aus der Bilderſchrift bei den Ägyptern, Aſſyrern und Chineſen hervor. Aus den urſprünglichen Hieroglyphen (ſiehe Fig. 503) der alten Ägypter entſtand durch Abſchleifung der Bilderformen zu kaum mehr als Sym- bole erkennbaren Zeichen die hieratiſche Schrift, deren älteſte nachweis- bare Anwendung bis ins dritte Jahrtauſend v. Chr. zurückgeht, während die durch weitere Vereinfachung der vorhandenen Zeichen entſtandene demotiſche Schrift, die Volksſchrift, erſt im 9. Jahrhundert v. Chr. in den uns bekannten Schriftdenkmälern auftaucht. Eine große Schwierigkeit bot nun aber bei dieſer Symbolſchrift die Wiedergabe von abſtrakten Begriffen, Gefühlen und Gedanken. Sie wurde teilweiſe dadurch über- wunden, daß man die Urſache ſtatt der Wirkung, oder irgend ein ſinn- liches Objekt hinzeichnete, das den betreffenden Begriff zu charakteriſieren beſonders geeignet erſchien.
Ein ganz erheblicher Fortſchritt erfolgte durch die Erfindung der Silbenſchrift, die einen rebusartigen Charakter hat, indem man begann, die Wörter in Silben zu zerlegen und gleichlautende Silben in ver- ſchiedenen Wörtern unabhängig von ihrer jeweiligen Bedeutung durch ein und dasſelbe Zeichen darzuſtellen, das dann erſt durch Zuſammen- ſetzung mit anderen Zeichen einen beſtimmten Sinn erhielt. Anderer- ſeits wurde vielfach wegen der Wortarmut der Schriften und Sprachen erſt durch Hinzuſetzung eines den betreffenden Gegenſtand charak- teriſierenden Zeichens, eines Determinativs, die ſpezielle Bedeutung eines Wortes verdeutlicht. Aber die Ägypter gelangten im Gegenſatz zu den Babyloniern und Chineſen — letztere ſind noch heute nicht über die Rebus- oder Silbenſchrift hinausgekommen — über dieſe hinaus zur Lautſchrift, zur Fixierung von Konſonanten und Vokalen, wenn ſie auch noch kein vollkommenes alphabetiſches Syſtem aufſtellten.
Der bedeutendſte Schritt nach der Richtung der Vervollkommnung des Schriftgedankens war damit gethan. Zur vollſtändigen Durchführung, zur Aufſtellung eines Alphabets kam das phonetiſche Syſtem der Schreibung, alſo die Lautſchrift erſt bei den Phöniziern, die bei ihrem
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[937/0955]
Die Schreibſchrift.
ihre verſchiedene künſtleriſche Begabung und Neigung zurückzuführen,
die zu ſehr abweichender Auffaſſung und Darſtellung in der Natur vor-
handener Gegenſtände führte, während allerdings einen beſonderen Ein-
fluß nach dieſer Richtung die Art des Schreibmaterials übte.
Notwendigerweiſe mußte ſich mit der Verallgemeinerung dieſes
Kulturmittels, mit ſeiner zunehmenden Wichtigkeit, mit der Verbeſſerung
des Schreibmaterials, das, wie an anderer Stelle (ſiehe S. 923) be-
richtet werden wird, namentlich in Ägypten im Pergamentpapier und
im Papyrus ſicherlich ſchon mehrere Jahrtauſende vor Chr. Geb. zu
hoher Vollkommenheit gelangte, das Streben nach Vereinfachung der
unbequemen und ſchwierigen Bilderſchrift gebieteriſch geltend machen.
Am deutlichſten tritt die Entwickelung einer bequemen ſyſtematiſchen
[Abbildung Fig. 503. Hieroglyphen.]
Schrift aus der Bilderſchrift bei den Ägyptern,
Aſſyrern und Chineſen hervor. Aus den
urſprünglichen Hieroglyphen (ſiehe Fig. 503)
der alten Ägypter entſtand durch Abſchleifung
der Bilderformen zu kaum mehr als Sym-
bole erkennbaren Zeichen die hieratiſche Schrift, deren älteſte nachweis-
bare Anwendung bis ins dritte Jahrtauſend v. Chr. zurückgeht, während
die durch weitere Vereinfachung der vorhandenen Zeichen entſtandene
demotiſche Schrift, die Volksſchrift, erſt im 9. Jahrhundert v. Chr. in
den uns bekannten Schriftdenkmälern auftaucht. Eine große Schwierigkeit
bot nun aber bei dieſer Symbolſchrift die Wiedergabe von abſtrakten
Begriffen, Gefühlen und Gedanken. Sie wurde teilweiſe dadurch über-
wunden, daß man die Urſache ſtatt der Wirkung, oder irgend ein ſinn-
liches Objekt hinzeichnete, das den betreffenden Begriff zu charakteriſieren
beſonders geeignet erſchien.
Ein ganz erheblicher Fortſchritt erfolgte durch die Erfindung der
Silbenſchrift, die einen rebusartigen Charakter hat, indem man begann,
die Wörter in Silben zu zerlegen und gleichlautende Silben in ver-
ſchiedenen Wörtern unabhängig von ihrer jeweiligen Bedeutung durch
ein und dasſelbe Zeichen darzuſtellen, das dann erſt durch Zuſammen-
ſetzung mit anderen Zeichen einen beſtimmten Sinn erhielt. Anderer-
ſeits wurde vielfach wegen der Wortarmut der Schriften und Sprachen
erſt durch Hinzuſetzung eines den betreffenden Gegenſtand charak-
teriſierenden Zeichens, eines Determinativs, die ſpezielle Bedeutung eines
Wortes verdeutlicht. Aber die Ägypter gelangten im Gegenſatz zu den
Babyloniern und Chineſen — letztere ſind noch heute nicht über die
Rebus- oder Silbenſchrift hinausgekommen — über dieſe hinaus
zur Lautſchrift, zur Fixierung von Konſonanten und Vokalen, wenn
ſie auch noch kein vollkommenes alphabetiſches Syſtem aufſtellten.
Der bedeutendſte Schritt nach der Richtung der Vervollkommnung
des Schriftgedankens war damit gethan. Zur vollſtändigen Durchführung,
zur Aufſtellung eines Alphabets kam das phonetiſche Syſtem der
Schreibung, alſo die Lautſchrift erſt bei den Phöniziern, die bei ihrem
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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 937. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/955>, abgerufen am 22.11.2024.
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