der Arbeit, das optische Ungetüm von Melbourne, das Spiegelteleskop von 120 cm Öffnung aufzustellen. Wo die Newtonsche Form des Fernrohrs verwendet wird, da ist die Gegenwart des Beobachters am hohen Ende des Fernrohrs erforderlich, und das Problem, ihn dort mit Sicherheit in unmittelbarer Nähe des Augenglases zu erhalten, ist noch nicht genügend gelöst.
Die Geschichte der Aufstellung von großen Refraktoren erreicht ihren Glanzpunkt wieder bei Fraunhofer, der den heute noch allgemein gebräuchlichen Typus für die Aufstellung des Dorpater Äquatoreals erfand. In dem Maße, wie die Größe dieser Fernröhre wuchs, ver- mehrte sich auch die Fülle und Verwicklung der mechanischen Probleme so erstaunlich, daß die besten Kräfte der geschicktesten Mechaniker ihnen gerade gerecht werden konnten. Von ihnen seien die Repsolds in Hamburg und Sir Howard Grubb genannt. Daß man das Fern- rohr in vollkommen gleichmäßiger Bewegung erhält, so daß das Sternbild im Gesichtsfelde bleibt, das erfordert zunächst eine äqua- toreale Aufstellung, d. h. die Umdrehungsachse des Fernrohrs muß mit der Erdachse parallel liegen. Vermag man das Fernrohr außerdem in einer mit der Erdachse parallelen Ebene einzustellen, so läßt sich dasselbe nach allen Teilen des Himmels richten; dann kann das Rohr jedem Himmelskörper folgen, wenn man nur die Polarachse des Rohres mit derselben Geschwindigkeit, wie sie die Erdachse besitzt, aber in entgegengesetzter Richtung in fortwährender Bewegung erhält; wir haben so die vollendete äquatoreale Bewegung. Es giebt verschiedene Wege, diesen Zweck zu erreichen. Das große Nizzaer Teleskop der Gebrüder Henry und das Lick-Fernrohr haben kurze, starke Achsen, die durch Gegengewichte ausbalanciert sind, wie Fig. 498 lehrt. Werfen wir einen Blick auf die letztere. Die gußeiserne Säule, welche das Lick-Fernrohr trägt, ist an der Basis 5,3 m lang und 3,1 m breit, das obere Ende hat 2,5 m und 1,3 m als entsprechende Ausdehnungen; die Säule wiegt 400 Centner. Der Kopf dieser rechtwinkligen Säule, auf welchem die Polarachse aufliegt, wiegt 80 Centner. Um diesen Kopf geht eine Gallerie für den Assistenten des Beobachters. Durch ein verwickeltes System von Rädern vermag er mit dem leisesten Druck das Instrument auf jeden Himmelskörper hin zu stellen und die Lage desselben an den elektrisch erleuchteten Mikroskopen abzulesen. Die Polarachse von Stahl hat 36 cm Durchmesser, 3 m Länge und wiegt 27 Centner; die andere, ebenfalls stählerne Achse ist ebenso lang und wiegt 23 Centner. Das Rohr ist von Stahl und 18 m lang; sein Durch- messer beträgt in der Mitte 120 cm und an den Enden 95 cm. Das vollständige Rohr mit allem, was daran zu sehen ist, wiegt nicht weniger als 100 Centner, und die Uhr, welche seine Bewegung kontrolliert, 20 Centner. Sie steht innerhalb der Säule, nahe ihrem oberen Ende, und ist von der Plattform aus leicht zu erreichen. Der Bewegungs- mittelpunkt des Rohres liegt 11 m über dem Boden, und wenn es
Das Fernrohr.
der Arbeit, das optiſche Ungetüm von Melbourne, das Spiegelteleſkop von 120 cm Öffnung aufzuſtellen. Wo die Newtonſche Form des Fernrohrs verwendet wird, da iſt die Gegenwart des Beobachters am hohen Ende des Fernrohrs erforderlich, und das Problem, ihn dort mit Sicherheit in unmittelbarer Nähe des Augenglaſes zu erhalten, iſt noch nicht genügend gelöſt.
Die Geſchichte der Aufſtellung von großen Refraktoren erreicht ihren Glanzpunkt wieder bei Fraunhofer, der den heute noch allgemein gebräuchlichen Typus für die Aufſtellung des Dorpater Äquatoreals erfand. In dem Maße, wie die Größe dieſer Fernröhre wuchs, ver- mehrte ſich auch die Fülle und Verwicklung der mechaniſchen Probleme ſo erſtaunlich, daß die beſten Kräfte der geſchickteſten Mechaniker ihnen gerade gerecht werden konnten. Von ihnen ſeien die Repſolds in Hamburg und Sir Howard Grubb genannt. Daß man das Fern- rohr in vollkommen gleichmäßiger Bewegung erhält, ſo daß das Sternbild im Geſichtsfelde bleibt, das erfordert zunächſt eine äqua- toreale Aufſtellung, d. h. die Umdrehungsachſe des Fernrohrs muß mit der Erdachſe parallel liegen. Vermag man das Fernrohr außerdem in einer mit der Erdachſe parallelen Ebene einzuſtellen, ſo läßt ſich dasſelbe nach allen Teilen des Himmels richten; dann kann das Rohr jedem Himmelskörper folgen, wenn man nur die Polarachſe des Rohres mit derſelben Geſchwindigkeit, wie ſie die Erdachſe beſitzt, aber in entgegengeſetzter Richtung in fortwährender Bewegung erhält; wir haben ſo die vollendete äquatoreale Bewegung. Es giebt verſchiedene Wege, dieſen Zweck zu erreichen. Das große Nizzaer Teleſkop der Gebrüder Henry und das Lick-Fernrohr haben kurze, ſtarke Achſen, die durch Gegengewichte ausbalanciert ſind, wie Fig. 498 lehrt. Werfen wir einen Blick auf die letztere. Die gußeiſerne Säule, welche das Lick-Fernrohr trägt, iſt an der Baſis 5,3 m lang und 3,1 m breit, das obere Ende hat 2,5 m und 1,3 m als entſprechende Ausdehnungen; die Säule wiegt 400 Centner. Der Kopf dieſer rechtwinkligen Säule, auf welchem die Polarachſe aufliegt, wiegt 80 Centner. Um dieſen Kopf geht eine Gallerie für den Aſſiſtenten des Beobachters. Durch ein verwickeltes Syſtem von Rädern vermag er mit dem leiſeſten Druck das Inſtrument auf jeden Himmelskörper hin zu ſtellen und die Lage desſelben an den elektriſch erleuchteten Mikroſkopen abzuleſen. Die Polarachſe von Stahl hat 36 cm Durchmeſſer, 3 m Länge und wiegt 27 Centner; die andere, ebenfalls ſtählerne Achſe iſt ebenſo lang und wiegt 23 Centner. Das Rohr iſt von Stahl und 18 m lang; ſein Durch- meſſer beträgt in der Mitte 120 cm und an den Enden 95 cm. Das vollſtändige Rohr mit allem, was daran zu ſehen iſt, wiegt nicht weniger als 100 Centner, und die Uhr, welche ſeine Bewegung kontrolliert, 20 Centner. Sie ſteht innerhalb der Säule, nahe ihrem oberen Ende, und iſt von der Plattform aus leicht zu erreichen. Der Bewegungs- mittelpunkt des Rohres liegt 11 m über dem Boden, und wenn es
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Das Fernrohr.
der Arbeit, das optiſche Ungetüm von Melbourne, das Spiegelteleſkop
von 120 cm Öffnung aufzuſtellen. Wo die Newtonſche Form des
Fernrohrs verwendet wird, da iſt die Gegenwart des Beobachters
am hohen Ende des Fernrohrs erforderlich, und das Problem, ihn
dort mit Sicherheit in unmittelbarer Nähe des Augenglaſes zu erhalten,
iſt noch nicht genügend gelöſt.
Die Geſchichte der Aufſtellung von großen Refraktoren erreicht
ihren Glanzpunkt wieder bei Fraunhofer, der den heute noch allgemein
gebräuchlichen Typus für die Aufſtellung des Dorpater Äquatoreals
erfand. In dem Maße, wie die Größe dieſer Fernröhre wuchs, ver-
mehrte ſich auch die Fülle und Verwicklung der mechaniſchen Probleme
ſo erſtaunlich, daß die beſten Kräfte der geſchickteſten Mechaniker ihnen
gerade gerecht werden konnten. Von ihnen ſeien die Repſolds in
Hamburg und Sir Howard Grubb genannt. Daß man das Fern-
rohr in vollkommen gleichmäßiger Bewegung erhält, ſo daß das
Sternbild im Geſichtsfelde bleibt, das erfordert zunächſt eine äqua-
toreale Aufſtellung, d. h. die Umdrehungsachſe des Fernrohrs muß
mit der Erdachſe parallel liegen. Vermag man das Fernrohr außerdem
in einer mit der Erdachſe parallelen Ebene einzuſtellen, ſo läßt ſich
dasſelbe nach allen Teilen des Himmels richten; dann kann das Rohr
jedem Himmelskörper folgen, wenn man nur die Polarachſe des Rohres
mit derſelben Geſchwindigkeit, wie ſie die Erdachſe beſitzt, aber in
entgegengeſetzter Richtung in fortwährender Bewegung erhält; wir
haben ſo die vollendete äquatoreale Bewegung. Es giebt verſchiedene
Wege, dieſen Zweck zu erreichen. Das große Nizzaer Teleſkop der
Gebrüder Henry und das Lick-Fernrohr haben kurze, ſtarke Achſen,
die durch Gegengewichte ausbalanciert ſind, wie Fig. 498 lehrt.
Werfen wir einen Blick auf die letztere. Die gußeiſerne Säule, welche
das Lick-Fernrohr trägt, iſt an der Baſis 5,3 m lang und 3,1 m breit,
das obere Ende hat 2,5 m und 1,3 m als entſprechende Ausdehnungen;
die Säule wiegt 400 Centner. Der Kopf dieſer rechtwinkligen Säule,
auf welchem die Polarachſe aufliegt, wiegt 80 Centner. Um dieſen
Kopf geht eine Gallerie für den Aſſiſtenten des Beobachters. Durch
ein verwickeltes Syſtem von Rädern vermag er mit dem leiſeſten Druck
das Inſtrument auf jeden Himmelskörper hin zu ſtellen und die Lage
desſelben an den elektriſch erleuchteten Mikroſkopen abzuleſen. Die
Polarachſe von Stahl hat 36 cm Durchmeſſer, 3 m Länge und wiegt
27 Centner; die andere, ebenfalls ſtählerne Achſe iſt ebenſo lang und
wiegt 23 Centner. Das Rohr iſt von Stahl und 18 m lang; ſein Durch-
meſſer beträgt in der Mitte 120 cm und an den Enden 95 cm. Das
vollſtändige Rohr mit allem, was daran zu ſehen iſt, wiegt nicht
weniger als 100 Centner, und die Uhr, welche ſeine Bewegung kontrolliert,
20 Centner. Sie ſteht innerhalb der Säule, nahe ihrem oberen Ende,
und iſt von der Plattform aus leicht zu erreichen. Der Bewegungs-
mittelpunkt des Rohres liegt 11 m über dem Boden, und wenn es
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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 917. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/935>, abgerufen am 24.11.2024.
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