unterschätzenden Vorzug vor dem ersterwähnten, daß sich mit ihm auf bequemste Weise Meßvorrichtungen verbinden lassen.
Es ist unmöglich, auf kleinem Raume von der immensen Bedeu- tung des Mikroskops, das lange Zeit neben dem hochgeachteten Schwesterinstrument, dem Fernrohr, nur eine untergeordnete Stellung einnehmen konnte, durch eine zusammengedrängte Schilderung der Forschungen und bahnbrechenden Entdeckungen auf den verschiedensten Gebieten der Wissenschaft auch nur annähernd ein vollständiges Bild zu entwerfen. An einigen wenigen Beispielen müssen wir uns genügen lassen, um zu zeigen, daß jetzt schon kaum ein Wissenszweig, eine In- dustrie das Mikroskop entbehren kann, das nicht bloß Erkenntnis wichtigster Art, sondern auch Entdeckungen vermittelte, welche für die ganze Welt nutzbar gemacht werden konnten und die gesamte Ent- wicklung mächtig gefördert haben. So ist aus der unscheinbaren Er- findung das populärste wissenschaftliche Instrument geworden, das sowohl in der Hand des Gelehrten als im Haushalte, sowie im wirt- schaftlichen Leben noch zu ungeahnten Erfolgen führen wird.
Bringen wir einen einzigen Tropfen Flußwassers unter das Mikroskop! -- und wir bewundern die schier unerschöpfliche Fülle von einfachen Formen, von winzigen Wesen niedrigster Art pflanzlichen und tierischen Charakters, die im engsten Raume ihr kurzes Dasein fristen. Derselbe Kampf ums Dasein hier im kleinen, der das Leben im großen be- herrscht! Dasselbe Schaffen und Treiben, dieselbe Entwicklung; ein stetiges Werden und Vergehen! Besonderen Reichtum an derartigen kleinsten Organismen birgt das Meer, und deshalb hat auch eine vor einigen Jahren mit Unterstützung der preußischen Regierung ins Werk gesetzte Expedition sich gerade die Erforschung der zahllosen Organismen niedrigster Art, die willenlos im Meere umhergetrieben werden, und die man allgemein unter dem Namen Plankton zusammenfaßt, zur Aufgabe gemacht. Es sind vornehmlich zwei große Gruppen, deren Auffindung wir dem Mikroskop verdanken: die Nahrungskonsumenten und die Urnahrung, von denen die zur letzteren Klasse gehörigen Lebe- wesen die zu ihrem Aufbau nötigen Stoffe selbst zu erzeugen ver- mögen. In der Tiefe des Meeres herrscht eine stille Thätigkeit, deren Spuren oft erst nach umfassenden Zeiträumen, dann aber meist in ge- waltiger Form, zum Vorschein kommen. Ein bekanntes Beispiel dieses mikroskopischen Schaffens bieten die Korallen, die in jahrtausendelanger Arbeit Riff auf Riff fügen und unermüdlich neue Stockwerke den alten Bauten aufsetzen. Und noch an einem anderen naheliegenden Beispiel erkennen wir die Daseinsspuren winziger Lebewesen, deren Produkte heute einen relativ hohen Wert im Haushalte des Menschen repräsentieren. Im Staub der Schreibkreide, in den Bruchstücken der Kreidefelsen, aus denen jene gewonnen und als Kunstprodukt hergestellt wird, finden wir unter dem Mikroskrop die Reste von Millionen und aber Millionen Kreidetierchen, die mit ihren Kalkschalen und -Panzern, mit ihren
Das Mikroſkop.
unterſchätzenden Vorzug vor dem erſterwähnten, daß ſich mit ihm auf bequemſte Weiſe Meßvorrichtungen verbinden laſſen.
Es iſt unmöglich, auf kleinem Raume von der immenſen Bedeu- tung des Mikroſkops, das lange Zeit neben dem hochgeachteten Schweſterinſtrument, dem Fernrohr, nur eine untergeordnete Stellung einnehmen konnte, durch eine zuſammengedrängte Schilderung der Forſchungen und bahnbrechenden Entdeckungen auf den verſchiedenſten Gebieten der Wiſſenſchaft auch nur annähernd ein vollſtändiges Bild zu entwerfen. An einigen wenigen Beiſpielen müſſen wir uns genügen laſſen, um zu zeigen, daß jetzt ſchon kaum ein Wiſſenszweig, eine In- duſtrie das Mikroſkop entbehren kann, das nicht bloß Erkenntnis wichtigſter Art, ſondern auch Entdeckungen vermittelte, welche für die ganze Welt nutzbar gemacht werden konnten und die geſamte Ent- wicklung mächtig gefördert haben. So iſt aus der unſcheinbaren Er- findung das populärſte wiſſenſchaftliche Inſtrument geworden, das ſowohl in der Hand des Gelehrten als im Haushalte, ſowie im wirt- ſchaftlichen Leben noch zu ungeahnten Erfolgen führen wird.
Bringen wir einen einzigen Tropfen Flußwaſſers unter das Mikroſkop! — und wir bewundern die ſchier unerſchöpfliche Fülle von einfachen Formen, von winzigen Weſen niedrigſter Art pflanzlichen und tieriſchen Charakters, die im engſten Raume ihr kurzes Daſein friſten. Derſelbe Kampf ums Daſein hier im kleinen, der das Leben im großen be- herrſcht! Dasſelbe Schaffen und Treiben, dieſelbe Entwicklung; ein ſtetiges Werden und Vergehen! Beſonderen Reichtum an derartigen kleinſten Organismen birgt das Meer, und deshalb hat auch eine vor einigen Jahren mit Unterſtützung der preußiſchen Regierung ins Werk geſetzte Expedition ſich gerade die Erforſchung der zahlloſen Organismen niedrigſter Art, die willenlos im Meere umhergetrieben werden, und die man allgemein unter dem Namen Plankton zuſammenfaßt, zur Aufgabe gemacht. Es ſind vornehmlich zwei große Gruppen, deren Auffindung wir dem Mikroſkop verdanken: die Nahrungskonſumenten und die Urnahrung, von denen die zur letzteren Klaſſe gehörigen Lebe- weſen die zu ihrem Aufbau nötigen Stoffe ſelbſt zu erzeugen ver- mögen. In der Tiefe des Meeres herrſcht eine ſtille Thätigkeit, deren Spuren oft erſt nach umfaſſenden Zeiträumen, dann aber meiſt in ge- waltiger Form, zum Vorſchein kommen. Ein bekanntes Beiſpiel dieſes mikroſkopiſchen Schaffens bieten die Korallen, die in jahrtauſendelanger Arbeit Riff auf Riff fügen und unermüdlich neue Stockwerke den alten Bauten aufſetzen. Und noch an einem anderen naheliegenden Beiſpiel erkennen wir die Daſeinsſpuren winziger Lebeweſen, deren Produkte heute einen relativ hohen Wert im Haushalte des Menſchen repräſentieren. Im Staub der Schreibkreide, in den Bruchſtücken der Kreidefelſen, aus denen jene gewonnen und als Kunſtprodukt hergeſtellt wird, finden wir unter dem Mikroſkrop die Reſte von Millionen und aber Millionen Kreidetierchen, die mit ihren Kalkſchalen und -Panzern, mit ihren
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0923"n="905"/><fwplace="top"type="header">Das Mikroſkop.</fw><lb/>
unterſchätzenden Vorzug vor dem erſterwähnten, daß ſich mit ihm auf<lb/>
bequemſte Weiſe Meßvorrichtungen verbinden laſſen.</p><lb/><p>Es iſt unmöglich, auf kleinem Raume von der immenſen Bedeu-<lb/>
tung des Mikroſkops, das lange Zeit neben dem hochgeachteten<lb/>
Schweſterinſtrument, dem Fernrohr, nur eine untergeordnete Stellung<lb/>
einnehmen konnte, durch eine zuſammengedrängte Schilderung der<lb/>
Forſchungen und bahnbrechenden Entdeckungen auf den verſchiedenſten<lb/>
Gebieten der Wiſſenſchaft auch nur annähernd ein vollſtändiges Bild zu<lb/>
entwerfen. An einigen wenigen Beiſpielen müſſen wir uns genügen<lb/>
laſſen, um zu zeigen, daß jetzt ſchon kaum ein Wiſſenszweig, eine In-<lb/>
duſtrie das Mikroſkop entbehren kann, das nicht bloß Erkenntnis<lb/>
wichtigſter Art, ſondern auch Entdeckungen vermittelte, welche für die<lb/>
ganze Welt nutzbar gemacht werden konnten und die geſamte Ent-<lb/>
wicklung mächtig gefördert haben. So iſt aus der unſcheinbaren Er-<lb/>
findung das populärſte wiſſenſchaftliche Inſtrument geworden, das<lb/>ſowohl in der Hand des Gelehrten als im Haushalte, ſowie im wirt-<lb/>ſchaftlichen Leben noch zu ungeahnten Erfolgen führen wird.</p><lb/><p>Bringen wir einen einzigen Tropfen Flußwaſſers unter das Mikroſkop!<lb/>— und wir bewundern die ſchier unerſchöpfliche Fülle von einfachen<lb/>
Formen, von winzigen Weſen niedrigſter Art pflanzlichen und tieriſchen<lb/>
Charakters, die im engſten Raume ihr kurzes Daſein friſten. Derſelbe<lb/>
Kampf ums Daſein hier im kleinen, der das Leben im großen be-<lb/>
herrſcht! Dasſelbe Schaffen und Treiben, dieſelbe Entwicklung; ein<lb/>ſtetiges Werden und Vergehen! Beſonderen Reichtum an derartigen<lb/>
kleinſten Organismen birgt das Meer, und deshalb hat auch eine vor<lb/>
einigen Jahren mit Unterſtützung der preußiſchen Regierung ins Werk<lb/>
geſetzte Expedition ſich gerade die Erforſchung der zahlloſen Organismen<lb/>
niedrigſter Art, die willenlos im Meere umhergetrieben werden, und<lb/>
die man allgemein unter dem Namen Plankton zuſammenfaßt, zur<lb/>
Aufgabe gemacht. Es ſind vornehmlich zwei große Gruppen, deren<lb/>
Auffindung wir dem Mikroſkop verdanken: die Nahrungskonſumenten<lb/>
und die Urnahrung, von denen die zur letzteren Klaſſe gehörigen Lebe-<lb/>
weſen die zu ihrem Aufbau nötigen Stoffe ſelbſt zu erzeugen ver-<lb/>
mögen. In der Tiefe des Meeres herrſcht eine ſtille Thätigkeit, deren<lb/>
Spuren oft erſt nach umfaſſenden Zeiträumen, dann aber meiſt in ge-<lb/>
waltiger Form, zum Vorſchein kommen. Ein bekanntes Beiſpiel dieſes<lb/>
mikroſkopiſchen Schaffens bieten die Korallen, die in jahrtauſendelanger<lb/>
Arbeit Riff auf Riff fügen und unermüdlich neue Stockwerke den alten<lb/>
Bauten aufſetzen. Und noch an einem anderen naheliegenden Beiſpiel<lb/>
erkennen wir die Daſeinsſpuren winziger Lebeweſen, deren Produkte heute<lb/>
einen relativ hohen Wert im Haushalte des Menſchen repräſentieren.<lb/>
Im Staub der Schreibkreide, in den Bruchſtücken der Kreidefelſen, aus<lb/>
denen jene gewonnen und als Kunſtprodukt hergeſtellt wird, finden wir<lb/>
unter dem Mikroſkrop die Reſte von Millionen und aber Millionen<lb/>
Kreidetierchen, die mit ihren Kalkſchalen und -Panzern, mit ihren<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[905/0923]
Das Mikroſkop.
unterſchätzenden Vorzug vor dem erſterwähnten, daß ſich mit ihm auf
bequemſte Weiſe Meßvorrichtungen verbinden laſſen.
Es iſt unmöglich, auf kleinem Raume von der immenſen Bedeu-
tung des Mikroſkops, das lange Zeit neben dem hochgeachteten
Schweſterinſtrument, dem Fernrohr, nur eine untergeordnete Stellung
einnehmen konnte, durch eine zuſammengedrängte Schilderung der
Forſchungen und bahnbrechenden Entdeckungen auf den verſchiedenſten
Gebieten der Wiſſenſchaft auch nur annähernd ein vollſtändiges Bild zu
entwerfen. An einigen wenigen Beiſpielen müſſen wir uns genügen
laſſen, um zu zeigen, daß jetzt ſchon kaum ein Wiſſenszweig, eine In-
duſtrie das Mikroſkop entbehren kann, das nicht bloß Erkenntnis
wichtigſter Art, ſondern auch Entdeckungen vermittelte, welche für die
ganze Welt nutzbar gemacht werden konnten und die geſamte Ent-
wicklung mächtig gefördert haben. So iſt aus der unſcheinbaren Er-
findung das populärſte wiſſenſchaftliche Inſtrument geworden, das
ſowohl in der Hand des Gelehrten als im Haushalte, ſowie im wirt-
ſchaftlichen Leben noch zu ungeahnten Erfolgen führen wird.
Bringen wir einen einzigen Tropfen Flußwaſſers unter das Mikroſkop!
— und wir bewundern die ſchier unerſchöpfliche Fülle von einfachen
Formen, von winzigen Weſen niedrigſter Art pflanzlichen und tieriſchen
Charakters, die im engſten Raume ihr kurzes Daſein friſten. Derſelbe
Kampf ums Daſein hier im kleinen, der das Leben im großen be-
herrſcht! Dasſelbe Schaffen und Treiben, dieſelbe Entwicklung; ein
ſtetiges Werden und Vergehen! Beſonderen Reichtum an derartigen
kleinſten Organismen birgt das Meer, und deshalb hat auch eine vor
einigen Jahren mit Unterſtützung der preußiſchen Regierung ins Werk
geſetzte Expedition ſich gerade die Erforſchung der zahlloſen Organismen
niedrigſter Art, die willenlos im Meere umhergetrieben werden, und
die man allgemein unter dem Namen Plankton zuſammenfaßt, zur
Aufgabe gemacht. Es ſind vornehmlich zwei große Gruppen, deren
Auffindung wir dem Mikroſkop verdanken: die Nahrungskonſumenten
und die Urnahrung, von denen die zur letzteren Klaſſe gehörigen Lebe-
weſen die zu ihrem Aufbau nötigen Stoffe ſelbſt zu erzeugen ver-
mögen. In der Tiefe des Meeres herrſcht eine ſtille Thätigkeit, deren
Spuren oft erſt nach umfaſſenden Zeiträumen, dann aber meiſt in ge-
waltiger Form, zum Vorſchein kommen. Ein bekanntes Beiſpiel dieſes
mikroſkopiſchen Schaffens bieten die Korallen, die in jahrtauſendelanger
Arbeit Riff auf Riff fügen und unermüdlich neue Stockwerke den alten
Bauten aufſetzen. Und noch an einem anderen naheliegenden Beiſpiel
erkennen wir die Daſeinsſpuren winziger Lebeweſen, deren Produkte heute
einen relativ hohen Wert im Haushalte des Menſchen repräſentieren.
Im Staub der Schreibkreide, in den Bruchſtücken der Kreidefelſen, aus
denen jene gewonnen und als Kunſtprodukt hergeſtellt wird, finden wir
unter dem Mikroſkrop die Reſte von Millionen und aber Millionen
Kreidetierchen, die mit ihren Kalkſchalen und -Panzern, mit ihren
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 905. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/923>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.