Der Erfindungssinn des Menschen ist nicht bei den auf der Erd- oberfläche zu Gebote stehenden Verkehrswegen stehen geblieben. An- geregt durch das leichte Spiel der Segler der Lüfte, hat derselbe es unternommen, auch die unseren Planeten umgebende Luftschicht zum Tummelplatz eigenartiger Verkehrseinrichtungen zu machen.
Gegenwärtig nimmt bei normalen Verhältnissen die Luftschiffahrt einen sehr untergeordneten Stand ein. Dieses Verhältnis ändert sich aber sofort in dem Falle, wo durch Belagerung oder eine sonstige Absperrung ein Verkehr mit der Außenwelt zu Wasser oder zu Lande unmöglich gemacht ist. In diesem Fall tritt als letztes Verkehrsmittel das Luftschiff hilfespendend ein. Am überzeugendsten läßt sich dieses an dem Beispiele der Belagerung von Paris während des deutsch-fran- zösischen Krieges nachweisen. Hier haben in der Zeit vom 23. Sep- tember 1870 bis zum 28. Januar 1871 64 Ballons mit 155 Personen, 363 Brieftauben und 9000 kg Postsachen die Stadt verlassen. Von den Brieftauben kehrten 57 zurück mit 100000 Depeschen.
Leider krankt das gesamte Luftschiffahrtswesen gegenwärtig noch an einer großen Unzuverlässigkeit; dieselbe wird erst gehoben sein, wenn das Problem der Lenkbarkeit des Luftschiffes gelöst sein wird. Trotzdem aber beginnt das letztere immer mehr Aufnahme unter die Verkehrsmittel zu finden, so daß dasselbe füglich hier nicht übergangen werden darf.
Schon im grauen Altertum tritt uns die Sehnsucht und das Streben des Menschen den Äther durchfliegen zu können in der Sage vom Bellerophontes und in der Erzählung von der fliegenden künst- lichen Taube des Archytas von Tarent entgegen. Wie so manche Erfindung, so wird auch diejenige des Luftballons von manchen Schriftstellern den Chinesen zugeschrieben; so soll bereits im Jahre 1306 nach den Berichten des Franzosen Vasson zu Peking ein Luftballon aufgestiegen sein.
Sieht man ab von den nur ein theoretisches Interesse in Anspruch nehmenden Veröffentlichungen des Jesuitenpaters Franzisko Lana vom Jahre 1670 und des Dominikaners Joseph Galien vom Jahre 1755, so müssen als die eigentlichen Erfinder der Luftschiffahrt die Gebrüder Mongolfier zu Annonay gelten, welche am 5. Juni 1783 den ersten mit warmer Luft angefüllten Ballon zum Steigen brachten. Die gleiche Idee hatte im Jahre 1769 Bartolomeo Lourenco de Guzman auszuführen unternommen, jedoch mit unglücklichem Erfolge, sodaß der Luftballon als eine Erfindung der Gebrüder Montgolfier gilt
3. Die Luftſchiffahrt.
Der Erfindungsſinn des Menſchen iſt nicht bei den auf der Erd- oberfläche zu Gebote ſtehenden Verkehrswegen ſtehen geblieben. An- geregt durch das leichte Spiel der Segler der Lüfte, hat derſelbe es unternommen, auch die unſeren Planeten umgebende Luftſchicht zum Tummelplatz eigenartiger Verkehrseinrichtungen zu machen.
Gegenwärtig nimmt bei normalen Verhältniſſen die Luftſchiffahrt einen ſehr untergeordneten Stand ein. Dieſes Verhältnis ändert ſich aber ſofort in dem Falle, wo durch Belagerung oder eine ſonſtige Abſperrung ein Verkehr mit der Außenwelt zu Waſſer oder zu Lande unmöglich gemacht iſt. In dieſem Fall tritt als letztes Verkehrsmittel das Luftſchiff hilfeſpendend ein. Am überzeugendſten läßt ſich dieſes an dem Beiſpiele der Belagerung von Paris während des deutſch-fran- zöſiſchen Krieges nachweiſen. Hier haben in der Zeit vom 23. Sep- tember 1870 bis zum 28. Januar 1871 64 Ballons mit 155 Perſonen, 363 Brieftauben und 9000 kg Poſtſachen die Stadt verlaſſen. Von den Brieftauben kehrten 57 zurück mit 100000 Depeſchen.
Leider krankt das geſamte Luftſchiffahrtsweſen gegenwärtig noch an einer großen Unzuverläſſigkeit; dieſelbe wird erſt gehoben ſein, wenn das Problem der Lenkbarkeit des Luftſchiffes gelöſt ſein wird. Trotzdem aber beginnt das letztere immer mehr Aufnahme unter die Verkehrsmittel zu finden, ſo daß dasſelbe füglich hier nicht übergangen werden darf.
Schon im grauen Altertum tritt uns die Sehnſucht und das Streben des Menſchen den Äther durchfliegen zu können in der Sage vom Bellerophontes und in der Erzählung von der fliegenden künſt- lichen Taube des Archytas von Tarent entgegen. Wie ſo manche Erfindung, ſo wird auch diejenige des Luftballons von manchen Schriftſtellern den Chineſen zugeſchrieben; ſo ſoll bereits im Jahre 1306 nach den Berichten des Franzoſen Vaſſon zu Peking ein Luftballon aufgeſtiegen ſein.
Sieht man ab von den nur ein theoretiſches Intereſſe in Anſpruch nehmenden Veröffentlichungen des Jeſuitenpaters Franzisko Lana vom Jahre 1670 und des Dominikaners Joſeph Galien vom Jahre 1755, ſo müſſen als die eigentlichen Erfinder der Luftſchiffahrt die Gebrüder Mongolfier zu Annonay gelten, welche am 5. Juni 1783 den erſten mit warmer Luft angefüllten Ballon zum Steigen brachten. Die gleiche Idee hatte im Jahre 1769 Bartolomeo Lourenço de Guzman auszuführen unternommen, jedoch mit unglücklichem Erfolge, ſodaß der Luftballon als eine Erfindung der Gebrüder Montgolfier gilt
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3. Die Luftſchiffahrt.
Der Erfindungsſinn des Menſchen iſt nicht bei den auf der Erd-
oberfläche zu Gebote ſtehenden Verkehrswegen ſtehen geblieben. An-
geregt durch das leichte Spiel der Segler der Lüfte, hat derſelbe es
unternommen, auch die unſeren Planeten umgebende Luftſchicht zum
Tummelplatz eigenartiger Verkehrseinrichtungen zu machen.
Gegenwärtig nimmt bei normalen Verhältniſſen die Luftſchiffahrt
einen ſehr untergeordneten Stand ein. Dieſes Verhältnis ändert ſich
aber ſofort in dem Falle, wo durch Belagerung oder eine ſonſtige
Abſperrung ein Verkehr mit der Außenwelt zu Waſſer oder zu Lande
unmöglich gemacht iſt. In dieſem Fall tritt als letztes Verkehrsmittel
das Luftſchiff hilfeſpendend ein. Am überzeugendſten läßt ſich dieſes
an dem Beiſpiele der Belagerung von Paris während des deutſch-fran-
zöſiſchen Krieges nachweiſen. Hier haben in der Zeit vom 23. Sep-
tember 1870 bis zum 28. Januar 1871 64 Ballons mit 155 Perſonen,
363 Brieftauben und 9000 kg Poſtſachen die Stadt verlaſſen. Von
den Brieftauben kehrten 57 zurück mit 100000 Depeſchen.
Leider krankt das geſamte Luftſchiffahrtsweſen gegenwärtig noch
an einer großen Unzuverläſſigkeit; dieſelbe wird erſt gehoben ſein,
wenn das Problem der Lenkbarkeit des Luftſchiffes gelöſt ſein wird.
Trotzdem aber beginnt das letztere immer mehr Aufnahme unter die
Verkehrsmittel zu finden, ſo daß dasſelbe füglich hier nicht übergangen
werden darf.
Schon im grauen Altertum tritt uns die Sehnſucht und das
Streben des Menſchen den Äther durchfliegen zu können in der Sage
vom Bellerophontes und in der Erzählung von der fliegenden künſt-
lichen Taube des Archytas von Tarent entgegen. Wie ſo manche
Erfindung, ſo wird auch diejenige des Luftballons von manchen
Schriftſtellern den Chineſen zugeſchrieben; ſo ſoll bereits im Jahre 1306
nach den Berichten des Franzoſen Vaſſon zu Peking ein Luftballon
aufgeſtiegen ſein.
Sieht man ab von den nur ein theoretiſches Intereſſe in Anſpruch
nehmenden Veröffentlichungen des Jeſuitenpaters Franzisko Lana vom
Jahre 1670 und des Dominikaners Joſeph Galien vom Jahre 1755,
ſo müſſen als die eigentlichen Erfinder der Luftſchiffahrt die Gebrüder
Mongolfier zu Annonay gelten, welche am 5. Juni 1783 den erſten
mit warmer Luft angefüllten Ballon zum Steigen brachten. Die
gleiche Idee hatte im Jahre 1769 Bartolomeo Lourenço de Guzman
auszuführen unternommen, jedoch mit unglücklichem Erfolge, ſodaß
der Luftballon als eine Erfindung der Gebrüder Montgolfier gilt
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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 820. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/838>, abgerufen am 24.11.2024.
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