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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

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Die Sprengstoffe und ihre Verwendung.
größerer Rasanz ist erfüllt; leider aber verliert das Geschoß dabei auch
an Durchschlagskraft, weil seine Wirkung bekanntlich von seiner Masse
abhängt. Da aber doch zur Erreichung möglichst großer Rasanz
kein anderes Mittel bekannt ist, so bleibt nichts weiter übrig, als die
aus der durchaus notwendigen Verkleinerung des Geschosses resul-
tierende Minderleistung durch Vergrößerung der Anfangsgeschwin-
digkeit zu heben. Dies letztere kann natürlich zunächst durch
Vergrößerung der Pulverladung geschehen; aber man begreift,
daß auch das eine Grenze hat. In der That sehen wir, wie
das Kaliber der Gewehre, welches z. B. nach 1846 in Frankreich
17,5 mm betrug, im Laufe der nächsten Jahre immer mehr herabgesetzt
wurde; die Schweiz ging schon 1853 auf 10,5 mm herab. Die anderen
Staaten blieben bis 1866 auf 14 mm stehen; erst dann verkleinerte
sich der Laufdurchmesser rapide. Seit 1870 ist derselbe auf 11 mm
gesunken, seit der Mitte der achtziger Jahre hat man allgemein Geschosse
von 8 bis 7,5 mm eingeführt. Es war selbstverständlich, daß die
äußersten Anstrengungen gemacht wurden, um die durch die Verkleine-
rung des Geschosses verlorene "lebendige Kraft" durch Vergrößerung
der Anfangsgeschwindigkeit zu ersetzen. Als schließlich das alte Pulver
sich diesem Bestreben nicht mehr zugänglich erwies, mußte man sich
notgedrungen nach einem neuen umsehen und man benutzte die Ge-
legenheit, um von diesem Pulver der Zukunft noch eine andere Eigen-
schaft zu fordern, welche man an dem alten schmerzlich vermißt hatte,
nämlich die Rauchlosigkeit. Schneller, als man geglaubt hatte, sollte
die gestellte Forderung erfüllt werden. Die enormen Fortschritte der
organischen Chemie boten Explosivstoffe in Fülle dar, Stoffe von einer
so gewaltigen Kraftleistung, daß es merkwürdiger Weise darauf ankam,
deren Wirkung zu mäßigen, um sie überhaupt als Pulver benutzen zu
können. Einen dieser Stoffe müssen wir erst näher kennen lernen, ehe
wir das rauchlose Pulver und seine Anwendung betrachten: die Schieß-
baumwolle.

Im Jahre 1845 entdeckte Schönbein in Basel und kurze Zeit nach
ihm Böttger in Frankfurt a. M., daß Baumwolle beim Eintauchen in
ein Gemisch aus Schwefelsäure und Salpetersäure explosive Eigen-
schaften bekommt, nachdem schon 1832 Braconnot, nach ihm Pelouze
und Dumas ähnliches bei Stärke, Holzfaser und Papier beobachtet
hatten. Nach dem sorgfältigen Auswaschen der gesäuerten Baumwolle
mit Wasser zeigte sich ihre äußere Beschaffenheit nicht verändert; dagegen
verbrannte sie nach dem vorsichtigen Trocknen beim Entzünden sehr
schnell ohne Hinterlassung eines Rückstandes, sowie ohne Rauchentwick-
lung, und explodierte äußerst heftig durch Schlag oder Stoß. Die
letztere Eigenschaft lenkte die Blicke der ganzen Welt auf den neu ent-
deckten Sprengstoff, und nachdem durch Sprengungen, welche bei
Gelegenheit von Eisenbahnbauten in der Schweiz mittels Schießwolle

Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung.
größerer Raſanz iſt erfüllt; leider aber verliert das Geſchoß dabei auch
an Durchſchlagskraft, weil ſeine Wirkung bekanntlich von ſeiner Maſſe
abhängt. Da aber doch zur Erreichung möglichſt großer Raſanz
kein anderes Mittel bekannt iſt, ſo bleibt nichts weiter übrig, als die
aus der durchaus notwendigen Verkleinerung des Geſchoſſes reſul-
tierende Minderleiſtung durch Vergrößerung der Anfangsgeſchwin-
digkeit zu heben. Dies letztere kann natürlich zunächſt durch
Vergrößerung der Pulverladung geſchehen; aber man begreift,
daß auch das eine Grenze hat. In der That ſehen wir, wie
das Kaliber der Gewehre, welches z. B. nach 1846 in Frankreich
17,5 mm betrug, im Laufe der nächſten Jahre immer mehr herabgeſetzt
wurde; die Schweiz ging ſchon 1853 auf 10,5 mm herab. Die anderen
Staaten blieben bis 1866 auf 14 mm ſtehen; erſt dann verkleinerte
ſich der Laufdurchmeſſer rapide. Seit 1870 iſt derſelbe auf 11 mm
geſunken, ſeit der Mitte der achtziger Jahre hat man allgemein Geſchoſſe
von 8 bis 7,5 mm eingeführt. Es war ſelbſtverſtändlich, daß die
äußerſten Anſtrengungen gemacht wurden, um die durch die Verkleine-
rung des Geſchoſſes verlorene „lebendige Kraft“ durch Vergrößerung
der Anfangsgeſchwindigkeit zu erſetzen. Als ſchließlich das alte Pulver
ſich dieſem Beſtreben nicht mehr zugänglich erwies, mußte man ſich
notgedrungen nach einem neuen umſehen und man benutzte die Ge-
legenheit, um von dieſem Pulver der Zukunft noch eine andere Eigen-
ſchaft zu fordern, welche man an dem alten ſchmerzlich vermißt hatte,
nämlich die Rauchloſigkeit. Schneller, als man geglaubt hatte, ſollte
die geſtellte Forderung erfüllt werden. Die enormen Fortſchritte der
organiſchen Chemie boten Exploſivſtoffe in Fülle dar, Stoffe von einer
ſo gewaltigen Kraftleiſtung, daß es merkwürdiger Weiſe darauf ankam,
deren Wirkung zu mäßigen, um ſie überhaupt als Pulver benutzen zu
können. Einen dieſer Stoffe müſſen wir erſt näher kennen lernen, ehe
wir das rauchloſe Pulver und ſeine Anwendung betrachten: die Schieß-
baumwolle.

Im Jahre 1845 entdeckte Schönbein in Baſel und kurze Zeit nach
ihm Böttger in Frankfurt a. M., daß Baumwolle beim Eintauchen in
ein Gemiſch aus Schwefelſäure und Salpeterſäure exploſive Eigen-
ſchaften bekommt, nachdem ſchon 1832 Braconnot, nach ihm Pelouze
und Dumas ähnliches bei Stärke, Holzfaſer und Papier beobachtet
hatten. Nach dem ſorgfältigen Auswaſchen der geſäuerten Baumwolle
mit Waſſer zeigte ſich ihre äußere Beſchaffenheit nicht verändert; dagegen
verbrannte ſie nach dem vorſichtigen Trocknen beim Entzünden ſehr
ſchnell ohne Hinterlaſſung eines Rückſtandes, ſowie ohne Rauchentwick-
lung, und explodierte äußerſt heftig durch Schlag oder Stoß. Die
letztere Eigenſchaft lenkte die Blicke der ganzen Welt auf den neu ent-
deckten Sprengſtoff, und nachdem durch Sprengungen, welche bei
Gelegenheit von Eiſenbahnbauten in der Schweiz mittels Schießwolle

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[704/0722] Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung. größerer Raſanz iſt erfüllt; leider aber verliert das Geſchoß dabei auch an Durchſchlagskraft, weil ſeine Wirkung bekanntlich von ſeiner Maſſe abhängt. Da aber doch zur Erreichung möglichſt großer Raſanz kein anderes Mittel bekannt iſt, ſo bleibt nichts weiter übrig, als die aus der durchaus notwendigen Verkleinerung des Geſchoſſes reſul- tierende Minderleiſtung durch Vergrößerung der Anfangsgeſchwin- digkeit zu heben. Dies letztere kann natürlich zunächſt durch Vergrößerung der Pulverladung geſchehen; aber man begreift, daß auch das eine Grenze hat. In der That ſehen wir, wie das Kaliber der Gewehre, welches z. B. nach 1846 in Frankreich 17,5 mm betrug, im Laufe der nächſten Jahre immer mehr herabgeſetzt wurde; die Schweiz ging ſchon 1853 auf 10,5 mm herab. Die anderen Staaten blieben bis 1866 auf 14 mm ſtehen; erſt dann verkleinerte ſich der Laufdurchmeſſer rapide. Seit 1870 iſt derſelbe auf 11 mm geſunken, ſeit der Mitte der achtziger Jahre hat man allgemein Geſchoſſe von 8 bis 7,5 mm eingeführt. Es war ſelbſtverſtändlich, daß die äußerſten Anſtrengungen gemacht wurden, um die durch die Verkleine- rung des Geſchoſſes verlorene „lebendige Kraft“ durch Vergrößerung der Anfangsgeſchwindigkeit zu erſetzen. Als ſchließlich das alte Pulver ſich dieſem Beſtreben nicht mehr zugänglich erwies, mußte man ſich notgedrungen nach einem neuen umſehen und man benutzte die Ge- legenheit, um von dieſem Pulver der Zukunft noch eine andere Eigen- ſchaft zu fordern, welche man an dem alten ſchmerzlich vermißt hatte, nämlich die Rauchloſigkeit. Schneller, als man geglaubt hatte, ſollte die geſtellte Forderung erfüllt werden. Die enormen Fortſchritte der organiſchen Chemie boten Exploſivſtoffe in Fülle dar, Stoffe von einer ſo gewaltigen Kraftleiſtung, daß es merkwürdiger Weiſe darauf ankam, deren Wirkung zu mäßigen, um ſie überhaupt als Pulver benutzen zu können. Einen dieſer Stoffe müſſen wir erſt näher kennen lernen, ehe wir das rauchloſe Pulver und ſeine Anwendung betrachten: die Schieß- baumwolle. Im Jahre 1845 entdeckte Schönbein in Baſel und kurze Zeit nach ihm Böttger in Frankfurt a. M., daß Baumwolle beim Eintauchen in ein Gemiſch aus Schwefelſäure und Salpeterſäure exploſive Eigen- ſchaften bekommt, nachdem ſchon 1832 Braconnot, nach ihm Pelouze und Dumas ähnliches bei Stärke, Holzfaſer und Papier beobachtet hatten. Nach dem ſorgfältigen Auswaſchen der geſäuerten Baumwolle mit Waſſer zeigte ſich ihre äußere Beſchaffenheit nicht verändert; dagegen verbrannte ſie nach dem vorſichtigen Trocknen beim Entzünden ſehr ſchnell ohne Hinterlaſſung eines Rückſtandes, ſowie ohne Rauchentwick- lung, und explodierte äußerſt heftig durch Schlag oder Stoß. Die letztere Eigenſchaft lenkte die Blicke der ganzen Welt auf den neu ent- deckten Sprengſtoff, und nachdem durch Sprengungen, welche bei Gelegenheit von Eiſenbahnbauten in der Schweiz mittels Schießwolle

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Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 704. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/722>, abgerufen am 22.11.2024.