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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

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Die Sprengstoffe und ihre Verwendung.

Während man im Feldkrieg die Treffsicherheit, Sprengwirkung
und Beweglichkeit der Geschütze auf die höchste Potenz zu bringen be-
strebt sein muß, steht bei dem Festungskrieg und Seekrieg die Durch-
schlagskraft der Geschosse im Vordergrunde. Hier entscheidet einzig
Tragweite, Ladung und Geschoßgewicht. So konnte denn jener Wett-
kampf zwischen Geschütz und Eisenpanzer beginnen, der Jahrzehnte
hindurch an die Fabrikanten immer größere und größere Anforderungen
stellte. Jede Verstärkung auf der einen Seite mußte notwendig eine
solche auf der anderen hervorrufen; je größer Kaliber und Ladung
gewählt wurden, desto dicker und widerstandsfähiger wurden die Panzer-
wände gebaut, desto schwerfälliger die Schlachtschiffe, desto massiger
die Armierung der Festungen. Es ist natürlich, daß man in diesem
Kampfe auch das Pulver das seinige zur Verbesserung der Geschütz-
leistungen beitragen ließ, und gerade die oben erwähnten geformten
Pulver haben ihr Dasein diesem Bestreben zu verdanken. Die kolossalen
Geschütze, die den Namen Krupp weltberühmt gemacht haben, bedürfen
nämlich ganz besonders eines langsam brennenden und erst in dem
Momente, in welchem das Geschoß das Rohr verläßt, seine höchste
Kraft entfaltenden Pulvers, wenn nicht der Laderaum und die Spreng-
ladung gefährdet werden sollen. Es ist interessant, daß eine Art
riesiger Geschosse, die Hartgußgranaten, gar keine Zünder gebrauchen;
durch das Eindringen der Granate in die Panzerwand wird genügend
Wärme entwickelt, um die Sprengladung auch ohne direkte Zündung
zur Explosion zu bringen. Das Gegenstück zu diesen Riesenkanonen
sind die kleinen schnell feuernden Revolverkanonen, deren winzige
Sprenggeschosse nur die dünne Eisenhaut der Torpedoboote zu durch-
schlagen vermögen und daher zur Abwehr dieser unheimlichen An-
greifer gebraucht werden. Es sei endlich der Maximkanone gedacht,
eines Schnellfeuergeschützes, welches den eigenen Rückstoß beim Ab-
schießen dazu benutzt, sich wieder schußfertig zu machen und von neuem
abzufeuern. Daß derartige Mechanismen, nicht nur bei der genannten
Kanone, sondern auch bei anderen Maschinengeschützen, besonders den
Mitrailleusen, sehr leicht Störungen unterworfen sind, welche ihren
Gebrauch im offenen Gefecht mitunter gänzlich in Frage stellen, ist
leicht begreiflich und wird bei aller ihrer sonstigen Vollkommenheit ein
stetes Hindernis für ihre allgemeine Verwendung sein.

Die Handfeuerwaffen, in den frühesten Zeiten ihres Daseins
noch ungefügiger als die Geschütze, haben sich viel später Bahn ge-
brochen als diese, so daß eine Zeit lang die Armbrüste sich noch recht
gut neben ihnen behaupten konnten. Erst im Anfang des vorigen
Jahrhunderts war die Konstruktion der Gewehre so weit vorgeschritten,
daß diese als allgemeine Waffe des Fußvolks eingeführt und
vermöge der Anbringung des Bajonetts zum Nah- und Fernkampfe
gebraucht werden konnten. Das Laden war eine zeitraubende Arbeit,
welche die Krieg Führenden die Aufstellung viele Glieder tief zu

Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung.

Während man im Feldkrieg die Treffſicherheit, Sprengwirkung
und Beweglichkeit der Geſchütze auf die höchſte Potenz zu bringen be-
ſtrebt ſein muß, ſteht bei dem Feſtungskrieg und Seekrieg die Durch-
ſchlagskraft der Geſchoſſe im Vordergrunde. Hier entſcheidet einzig
Tragweite, Ladung und Geſchoßgewicht. So konnte denn jener Wett-
kampf zwiſchen Geſchütz und Eiſenpanzer beginnen, der Jahrzehnte
hindurch an die Fabrikanten immer größere und größere Anforderungen
ſtellte. Jede Verſtärkung auf der einen Seite mußte notwendig eine
ſolche auf der anderen hervorrufen; je größer Kaliber und Ladung
gewählt wurden, deſto dicker und widerſtandsfähiger wurden die Panzer-
wände gebaut, deſto ſchwerfälliger die Schlachtſchiffe, deſto maſſiger
die Armierung der Feſtungen. Es iſt natürlich, daß man in dieſem
Kampfe auch das Pulver das ſeinige zur Verbeſſerung der Geſchütz-
leiſtungen beitragen ließ, und gerade die oben erwähnten geformten
Pulver haben ihr Daſein dieſem Beſtreben zu verdanken. Die koloſſalen
Geſchütze, die den Namen Krupp weltberühmt gemacht haben, bedürfen
nämlich ganz beſonders eines langſam brennenden und erſt in dem
Momente, in welchem das Geſchoß das Rohr verläßt, ſeine höchſte
Kraft entfaltenden Pulvers, wenn nicht der Laderaum und die Spreng-
ladung gefährdet werden ſollen. Es iſt intereſſant, daß eine Art
rieſiger Geſchoſſe, die Hartgußgranaten, gar keine Zünder gebrauchen;
durch das Eindringen der Granate in die Panzerwand wird genügend
Wärme entwickelt, um die Sprengladung auch ohne direkte Zündung
zur Exploſion zu bringen. Das Gegenſtück zu dieſen Rieſenkanonen
ſind die kleinen ſchnell feuernden Revolverkanonen, deren winzige
Sprenggeſchoſſe nur die dünne Eiſenhaut der Torpedoboote zu durch-
ſchlagen vermögen und daher zur Abwehr dieſer unheimlichen An-
greifer gebraucht werden. Es ſei endlich der Maximkanone gedacht,
eines Schnellfeuergeſchützes, welches den eigenen Rückſtoß beim Ab-
ſchießen dazu benutzt, ſich wieder ſchußfertig zu machen und von neuem
abzufeuern. Daß derartige Mechanismen, nicht nur bei der genannten
Kanone, ſondern auch bei anderen Maſchinengeſchützen, beſonders den
Mitrailleuſen, ſehr leicht Störungen unterworfen ſind, welche ihren
Gebrauch im offenen Gefecht mitunter gänzlich in Frage ſtellen, iſt
leicht begreiflich und wird bei aller ihrer ſonſtigen Vollkommenheit ein
ſtetes Hindernis für ihre allgemeine Verwendung ſein.

Die Handfeuerwaffen, in den früheſten Zeiten ihres Daſeins
noch ungefügiger als die Geſchütze, haben ſich viel ſpäter Bahn ge-
brochen als dieſe, ſo daß eine Zeit lang die Armbrüſte ſich noch recht
gut neben ihnen behaupten konnten. Erſt im Anfang des vorigen
Jahrhunderts war die Konſtruktion der Gewehre ſo weit vorgeſchritten,
daß dieſe als allgemeine Waffe des Fußvolks eingeführt und
vermöge der Anbringung des Bajonetts zum Nah- und Fernkampfe
gebraucht werden konnten. Das Laden war eine zeitraubende Arbeit,
welche die Krieg Führenden die Aufſtellung viele Glieder tief zu

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[702/0720] Die Sprengſtoffe und ihre Verwendung. Während man im Feldkrieg die Treffſicherheit, Sprengwirkung und Beweglichkeit der Geſchütze auf die höchſte Potenz zu bringen be- ſtrebt ſein muß, ſteht bei dem Feſtungskrieg und Seekrieg die Durch- ſchlagskraft der Geſchoſſe im Vordergrunde. Hier entſcheidet einzig Tragweite, Ladung und Geſchoßgewicht. So konnte denn jener Wett- kampf zwiſchen Geſchütz und Eiſenpanzer beginnen, der Jahrzehnte hindurch an die Fabrikanten immer größere und größere Anforderungen ſtellte. Jede Verſtärkung auf der einen Seite mußte notwendig eine ſolche auf der anderen hervorrufen; je größer Kaliber und Ladung gewählt wurden, deſto dicker und widerſtandsfähiger wurden die Panzer- wände gebaut, deſto ſchwerfälliger die Schlachtſchiffe, deſto maſſiger die Armierung der Feſtungen. Es iſt natürlich, daß man in dieſem Kampfe auch das Pulver das ſeinige zur Verbeſſerung der Geſchütz- leiſtungen beitragen ließ, und gerade die oben erwähnten geformten Pulver haben ihr Daſein dieſem Beſtreben zu verdanken. Die koloſſalen Geſchütze, die den Namen Krupp weltberühmt gemacht haben, bedürfen nämlich ganz beſonders eines langſam brennenden und erſt in dem Momente, in welchem das Geſchoß das Rohr verläßt, ſeine höchſte Kraft entfaltenden Pulvers, wenn nicht der Laderaum und die Spreng- ladung gefährdet werden ſollen. Es iſt intereſſant, daß eine Art rieſiger Geſchoſſe, die Hartgußgranaten, gar keine Zünder gebrauchen; durch das Eindringen der Granate in die Panzerwand wird genügend Wärme entwickelt, um die Sprengladung auch ohne direkte Zündung zur Exploſion zu bringen. Das Gegenſtück zu dieſen Rieſenkanonen ſind die kleinen ſchnell feuernden Revolverkanonen, deren winzige Sprenggeſchoſſe nur die dünne Eiſenhaut der Torpedoboote zu durch- ſchlagen vermögen und daher zur Abwehr dieſer unheimlichen An- greifer gebraucht werden. Es ſei endlich der Maximkanone gedacht, eines Schnellfeuergeſchützes, welches den eigenen Rückſtoß beim Ab- ſchießen dazu benutzt, ſich wieder ſchußfertig zu machen und von neuem abzufeuern. Daß derartige Mechanismen, nicht nur bei der genannten Kanone, ſondern auch bei anderen Maſchinengeſchützen, beſonders den Mitrailleuſen, ſehr leicht Störungen unterworfen ſind, welche ihren Gebrauch im offenen Gefecht mitunter gänzlich in Frage ſtellen, iſt leicht begreiflich und wird bei aller ihrer ſonſtigen Vollkommenheit ein ſtetes Hindernis für ihre allgemeine Verwendung ſein. Die Handfeuerwaffen, in den früheſten Zeiten ihres Daſeins noch ungefügiger als die Geſchütze, haben ſich viel ſpäter Bahn ge- brochen als dieſe, ſo daß eine Zeit lang die Armbrüſte ſich noch recht gut neben ihnen behaupten konnten. Erſt im Anfang des vorigen Jahrhunderts war die Konſtruktion der Gewehre ſo weit vorgeſchritten, daß dieſe als allgemeine Waffe des Fußvolks eingeführt und vermöge der Anbringung des Bajonetts zum Nah- und Fernkampfe gebraucht werden konnten. Das Laden war eine zeitraubende Arbeit, welche die Krieg Führenden die Aufſtellung viele Glieder tief zu

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Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 702. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/720>, abgerufen am 22.11.2024.