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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

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Das Schießpulver.

Die Geschütze, offenbar die ersten und einfachsten Schußwaffen,
sollten im Anfange weiter nichts leisten, wie die antiken Wurfmaschinen,
d. h. Steine oder schwere Körper gegen Mauern schleudern. Erst später
erkannte man, daß nicht nur die Vergrößerung der Ladung die Wirkung
verstärkt, sondern besonders die innere Beschaffenheit und die Länge
des Laufes. So finden wir zur Zeit des dreißigjährigen Krieges
schon Geschütze von relativ großer Treffsicherheit; man gab sich alle
Mühe, einen guten Anschluß des Geschosses an die Rohrwände zu be-
wirken und hierdurch an Ladung zu sparen. Aber erst unserem Jahr-
hundert ist es vorbehalten gewesen, eine überaus wichtige Änderung
herbeizuführen, welche die Anfangsgeschwindigkeit und die Treffsicher-
heit der Geschütze ganz außerordentlich vermehrte; wir meinen die Ein-
führung der Laufzüge, welche in den fünfziger Jahren durch Napoleon III
geschah. Dadurch, daß man das Geschoß zwang, beim Abfeuern
den Zügen zu folgen, erreichte man einerseits einen überaus festen
und sehr gasdichten Anschluß, andererseits wurde die Bewegung
außerhalb des Laufes durch die mitgeteilte Drehung eine konstantere
und von Hindernissen unabhängigere. Angesichts dieser Sachlage war
der Gedanke, daß man die errungenen Vorzüge durch Einführung
der Hinterladung noch bedeutend verstärken könne, recht nahe gelegt,
umsomehr, als diese bei den Handfeuerwaffen schon überaus wichtige
Erfolge aufzuweisen hatte. Der Krieg von 1870, welcher Hinter-
ladungs- und Vorderladungsgeschütze gegen einander ins Feld führte,
hat die gewaltige Überlegenheit der ersteren gezeigt und nicht wenig
zum Erringen der deutschen Siege beigetragen. Was die Geschosse
betrifft, so ist man bekanntlich von der anfänglichen Kugelgestalt zu
anderen Formen übergegangen, um dem Widerstand der Luft weniger
Angriffsfläche zu bieten. Die schon frühzeitig gebrauchten Hohlgeschosse,
deren Größe, nach einer internationalen Übereinkunft, unter ein be-
stimmtes Maß nicht heruntergehen darf, sind gerade in der neueren
Zeit bedeutend vervollkommnet worden. Nachdem man die früher für
die Granaten angewandte Zündungsart mittels eines beim Ab-
feuern entzündeten und in bestimmter Zeit abbrennenden Zündsatzes,
die sogenannten Tempierzünder, durch die viel sicherer wirkenden an
der Spitze des Geschosses befestigten und beim geringsten Anprall
zündenden Perkussionszünder ersetzt hatte, ist man dazu übergegangen,
die Sprengladung der Granaten, die bisher auch aus Kornpulver be-
stand, durch erheblich kräftiger wirkende Sprengstoffe, besonders durch
die später zu erwähnenden Pikrinsäureverbindungen, zu ersetzen. Die
Tempierzünder, die man eine Zeit lang ganz verlassen hatte, oder
höchstens für ganz schwere Festungsgeschütze anwandte, sind neuer-
dings bei einer besonderen Art von Geschossen, den Schrapnells,
wieder zu Ehren gekommen, und man hat es verstanden, auch diese
früher unzuverlässige Zündungsart bis zu hoher Vollkommenheit aus-
zubilden.

Das Schießpulver.

Die Geſchütze, offenbar die erſten und einfachſten Schußwaffen,
ſollten im Anfange weiter nichts leiſten, wie die antiken Wurfmaſchinen,
d. h. Steine oder ſchwere Körper gegen Mauern ſchleudern. Erſt ſpäter
erkannte man, daß nicht nur die Vergrößerung der Ladung die Wirkung
verſtärkt, ſondern beſonders die innere Beſchaffenheit und die Länge
des Laufes. So finden wir zur Zeit des dreißigjährigen Krieges
ſchon Geſchütze von relativ großer Treffſicherheit; man gab ſich alle
Mühe, einen guten Anſchluß des Geſchoſſes an die Rohrwände zu be-
wirken und hierdurch an Ladung zu ſparen. Aber erſt unſerem Jahr-
hundert iſt es vorbehalten geweſen, eine überaus wichtige Änderung
herbeizuführen, welche die Anfangsgeſchwindigkeit und die Treffſicher-
heit der Geſchütze ganz außerordentlich vermehrte; wir meinen die Ein-
führung der Laufzüge, welche in den fünfziger Jahren durch Napoleon III
geſchah. Dadurch, daß man das Geſchoß zwang, beim Abfeuern
den Zügen zu folgen, erreichte man einerſeits einen überaus feſten
und ſehr gasdichten Anſchluß, andererſeits wurde die Bewegung
außerhalb des Laufes durch die mitgeteilte Drehung eine konſtantere
und von Hinderniſſen unabhängigere. Angeſichts dieſer Sachlage war
der Gedanke, daß man die errungenen Vorzüge durch Einführung
der Hinterladung noch bedeutend verſtärken könne, recht nahe gelegt,
umſomehr, als dieſe bei den Handfeuerwaffen ſchon überaus wichtige
Erfolge aufzuweiſen hatte. Der Krieg von 1870, welcher Hinter-
ladungs- und Vorderladungsgeſchütze gegen einander ins Feld führte,
hat die gewaltige Überlegenheit der erſteren gezeigt und nicht wenig
zum Erringen der deutſchen Siege beigetragen. Was die Geſchoſſe
betrifft, ſo iſt man bekanntlich von der anfänglichen Kugelgeſtalt zu
anderen Formen übergegangen, um dem Widerſtand der Luft weniger
Angriffsfläche zu bieten. Die ſchon frühzeitig gebrauchten Hohlgeſchoſſe,
deren Größe, nach einer internationalen Übereinkunft, unter ein be-
ſtimmtes Maß nicht heruntergehen darf, ſind gerade in der neueren
Zeit bedeutend vervollkommnet worden. Nachdem man die früher für
die Granaten angewandte Zündungsart mittels eines beim Ab-
feuern entzündeten und in beſtimmter Zeit abbrennenden Zündſatzes,
die ſogenannten Tempierzünder, durch die viel ſicherer wirkenden an
der Spitze des Geſchoſſes befeſtigten und beim geringſten Anprall
zündenden Perkuſſionszünder erſetzt hatte, iſt man dazu übergegangen,
die Sprengladung der Granaten, die bisher auch aus Kornpulver be-
ſtand, durch erheblich kräftiger wirkende Sprengſtoffe, beſonders durch
die ſpäter zu erwähnenden Pikrinſäureverbindungen, zu erſetzen. Die
Tempierzünder, die man eine Zeit lang ganz verlaſſen hatte, oder
höchſtens für ganz ſchwere Feſtungsgeſchütze anwandte, ſind neuer-
dings bei einer beſonderen Art von Geſchoſſen, den Schrapnells,
wieder zu Ehren gekommen, und man hat es verſtanden, auch dieſe
früher unzuverläſſige Zündungsart bis zu hoher Vollkommenheit aus-
zubilden.

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[701/0719] Das Schießpulver. Die Geſchütze, offenbar die erſten und einfachſten Schußwaffen, ſollten im Anfange weiter nichts leiſten, wie die antiken Wurfmaſchinen, d. h. Steine oder ſchwere Körper gegen Mauern ſchleudern. Erſt ſpäter erkannte man, daß nicht nur die Vergrößerung der Ladung die Wirkung verſtärkt, ſondern beſonders die innere Beſchaffenheit und die Länge des Laufes. So finden wir zur Zeit des dreißigjährigen Krieges ſchon Geſchütze von relativ großer Treffſicherheit; man gab ſich alle Mühe, einen guten Anſchluß des Geſchoſſes an die Rohrwände zu be- wirken und hierdurch an Ladung zu ſparen. Aber erſt unſerem Jahr- hundert iſt es vorbehalten geweſen, eine überaus wichtige Änderung herbeizuführen, welche die Anfangsgeſchwindigkeit und die Treffſicher- heit der Geſchütze ganz außerordentlich vermehrte; wir meinen die Ein- führung der Laufzüge, welche in den fünfziger Jahren durch Napoleon III geſchah. Dadurch, daß man das Geſchoß zwang, beim Abfeuern den Zügen zu folgen, erreichte man einerſeits einen überaus feſten und ſehr gasdichten Anſchluß, andererſeits wurde die Bewegung außerhalb des Laufes durch die mitgeteilte Drehung eine konſtantere und von Hinderniſſen unabhängigere. Angeſichts dieſer Sachlage war der Gedanke, daß man die errungenen Vorzüge durch Einführung der Hinterladung noch bedeutend verſtärken könne, recht nahe gelegt, umſomehr, als dieſe bei den Handfeuerwaffen ſchon überaus wichtige Erfolge aufzuweiſen hatte. Der Krieg von 1870, welcher Hinter- ladungs- und Vorderladungsgeſchütze gegen einander ins Feld führte, hat die gewaltige Überlegenheit der erſteren gezeigt und nicht wenig zum Erringen der deutſchen Siege beigetragen. Was die Geſchoſſe betrifft, ſo iſt man bekanntlich von der anfänglichen Kugelgeſtalt zu anderen Formen übergegangen, um dem Widerſtand der Luft weniger Angriffsfläche zu bieten. Die ſchon frühzeitig gebrauchten Hohlgeſchoſſe, deren Größe, nach einer internationalen Übereinkunft, unter ein be- ſtimmtes Maß nicht heruntergehen darf, ſind gerade in der neueren Zeit bedeutend vervollkommnet worden. Nachdem man die früher für die Granaten angewandte Zündungsart mittels eines beim Ab- feuern entzündeten und in beſtimmter Zeit abbrennenden Zündſatzes, die ſogenannten Tempierzünder, durch die viel ſicherer wirkenden an der Spitze des Geſchoſſes befeſtigten und beim geringſten Anprall zündenden Perkuſſionszünder erſetzt hatte, iſt man dazu übergegangen, die Sprengladung der Granaten, die bisher auch aus Kornpulver be- ſtand, durch erheblich kräftiger wirkende Sprengſtoffe, beſonders durch die ſpäter zu erwähnenden Pikrinſäureverbindungen, zu erſetzen. Die Tempierzünder, die man eine Zeit lang ganz verlaſſen hatte, oder höchſtens für ganz ſchwere Feſtungsgeſchütze anwandte, ſind neuer- dings bei einer beſonderen Art von Geſchoſſen, den Schrapnells, wieder zu Ehren gekommen, und man hat es verſtanden, auch dieſe früher unzuverläſſige Zündungsart bis zu hoher Vollkommenheit aus- zubilden.

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Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 701. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/719>, abgerufen am 22.11.2024.