Der Instinkt, der bei den Tieren so häufig unser höchstes Er- staunen hervorruft, geht auch bei den Menschen stets dem bewußten Handeln voraus und hat ganz unkultivierte Völker bereits auf die Genußmittel hingewiesen, ohne daß dieselben sich die Notwendigkeit dieser Art der Ernährung erklären konnten oder es auch nur versuchten. So bereiteten z. B. verschiedene auf den allerniedrigsten Kulturstufen stehende Völker des inneren Afrikas, bevor sie durch die unter sie ge- drungenen Reisenden zu ihrem großen Nachteile die alkoholischen Getränke kennen lernten, Aufgußgetränke aus sehr giftigen Pilzen, welche unserm Kaffee oder Thee vollständig entsprachen. Denn auch diese verdanken ihre erregende Wirkung einem heftigen Gifte, welches der Chemiker "Kaffein" oder "Thein" nennt -- es ist nämlich ein und derselbe Stoff, welcher sowohl im Kaffee als im Thee wirkt --, und dieses an und für sich so furchtbare Gift schadet nur infolge seiner außerordentlichen Verdünnung unserem Organismus ebensowenig, wie das durch den Aufguß sehr verdünnte, extrahierte Gift der Pilze jenen Barbaren. Unser Körper ist eben nicht nur eine Maschine, welche bloß geheizt zu werden braucht, sondern dieser hochkomplizierte Or- ganismus verlangt mehr, als die bloße Zufuhr der verbrauchten Teile, wenn er dauernd funktionieren soll. Aus diesem Grunde ist die absolute Notwendigkeit der Genußmittel auch von allen modernen Physiologen anerkannt und -- ein gewisses Maßhalten vorausgesetzt -- ihr Gebrauch sogar auf das Wärmste empfohlen worden. So sagt z. B. der be- rühmte Naturforscher Funke in lichtvollen Worten von den Genuß- mitteln: "Es ist thöricht und unberechtigt auch den bescheidenen Genuß der genannten Reizmittel zu verwerfen. Man braucht sie nicht damit in Schutz zu nehmen, daß der Trieb, sie in irgend welcher Form sich zu verschaffen, wiederum der Ausfluß eines unvertilgbaren Menschen- instinktes ist, der sich zu allen Zeiten bei allen Völkern geltend gemacht hat. Man braucht sich nur zu fragen: Muß denn unsere Maschine, wie das Pendel der Uhr, immer in demselben monotonen, langweiligen Tempo arbeiten? Was schadet es ihr denn, wenn sie von Zeit zu Zeit mit etwas stärker gespanntem Dampf etwas rascher pumpt, sobald sie nur in den darauf folgenden Intervallen bei langsamerer Arbeit die kleine Luxusausgabe von Kraft aus dem genügenden Vorrat wieder einbringen und etwaige kleine Defekte ihres Mechanismus wieder ausbessern kann! Wahrlich, manche leuchtende, fruchtbringende Idee ist schon aus einem Römer duftenden Rheinweines geboren, welche vielleicht nie den nüchternen Wasserkrügen der Vegetarianer ent- stiegen wäre; manch' bitteres Herzweh, das bei Himbeerlimonade tiefer und tiefer gefressen hätte, hat ein Schälchen Kaffee gemildert; manche Sorge, manche Grille hat sich mit dem Rauche einer Zigarre ver- flüchtigt, und das ist doch auch etwas wert in so mancher armseligen Menschenexistenz!"
Nahrungs- und Genußmittel.
Der Inſtinkt, der bei den Tieren ſo häufig unſer höchſtes Er- ſtaunen hervorruft, geht auch bei den Menſchen ſtets dem bewußten Handeln voraus und hat ganz unkultivierte Völker bereits auf die Genußmittel hingewieſen, ohne daß dieſelben ſich die Notwendigkeit dieſer Art der Ernährung erklären konnten oder es auch nur verſuchten. So bereiteten z. B. verſchiedene auf den allerniedrigſten Kulturſtufen ſtehende Völker des inneren Afrikas, bevor ſie durch die unter ſie ge- drungenen Reiſenden zu ihrem großen Nachteile die alkoholiſchen Getränke kennen lernten, Aufgußgetränke aus ſehr giftigen Pilzen, welche unſerm Kaffee oder Thee vollſtändig entſprachen. Denn auch dieſe verdanken ihre erregende Wirkung einem heftigen Gifte, welches der Chemiker „Kaffeïn“ oder „Theïn“ nennt — es iſt nämlich ein und derſelbe Stoff, welcher ſowohl im Kaffee als im Thee wirkt —, und dieſes an und für ſich ſo furchtbare Gift ſchadet nur infolge ſeiner außerordentlichen Verdünnung unſerem Organismus ebenſowenig, wie das durch den Aufguß ſehr verdünnte, extrahierte Gift der Pilze jenen Barbaren. Unſer Körper iſt eben nicht nur eine Maſchine, welche bloß geheizt zu werden braucht, ſondern dieſer hochkomplizierte Or- ganismus verlangt mehr, als die bloße Zufuhr der verbrauchten Teile, wenn er dauernd funktionieren ſoll. Aus dieſem Grunde iſt die abſolute Notwendigkeit der Genußmittel auch von allen modernen Phyſiologen anerkannt und — ein gewiſſes Maßhalten vorausgeſetzt — ihr Gebrauch ſogar auf das Wärmſte empfohlen worden. So ſagt z. B. der be- rühmte Naturforſcher Funke in lichtvollen Worten von den Genuß- mitteln: „Es iſt thöricht und unberechtigt auch den beſcheidenen Genuß der genannten Reizmittel zu verwerfen. Man braucht ſie nicht damit in Schutz zu nehmen, daß der Trieb, ſie in irgend welcher Form ſich zu verſchaffen, wiederum der Ausfluß eines unvertilgbaren Menſchen- inſtinktes iſt, der ſich zu allen Zeiten bei allen Völkern geltend gemacht hat. Man braucht ſich nur zu fragen: Muß denn unſere Maſchine, wie das Pendel der Uhr, immer in demſelben monotonen, langweiligen Tempo arbeiten? Was ſchadet es ihr denn, wenn ſie von Zeit zu Zeit mit etwas ſtärker geſpanntem Dampf etwas raſcher pumpt, ſobald ſie nur in den darauf folgenden Intervallen bei langſamerer Arbeit die kleine Luxusausgabe von Kraft aus dem genügenden Vorrat wieder einbringen und etwaige kleine Defekte ihres Mechanismus wieder ausbeſſern kann! Wahrlich, manche leuchtende, fruchtbringende Idee iſt ſchon aus einem Römer duftenden Rheinweines geboren, welche vielleicht nie den nüchternen Waſſerkrügen der Vegetarianer ent- ſtiegen wäre; manch’ bitteres Herzweh, das bei Himbeerlimonade tiefer und tiefer gefreſſen hätte, hat ein Schälchen Kaffee gemildert; manche Sorge, manche Grille hat ſich mit dem Rauche einer Zigarre ver- flüchtigt, und das iſt doch auch etwas wert in ſo mancher armſeligen Menſchenexiſtenz!“
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Nahrungs- und Genußmittel.
Der Inſtinkt, der bei den Tieren ſo häufig unſer höchſtes Er-
ſtaunen hervorruft, geht auch bei den Menſchen ſtets dem bewußten
Handeln voraus und hat ganz unkultivierte Völker bereits auf die
Genußmittel hingewieſen, ohne daß dieſelben ſich die Notwendigkeit
dieſer Art der Ernährung erklären konnten oder es auch nur verſuchten.
So bereiteten z. B. verſchiedene auf den allerniedrigſten Kulturſtufen
ſtehende Völker des inneren Afrikas, bevor ſie durch die unter ſie ge-
drungenen Reiſenden zu ihrem großen Nachteile die alkoholiſchen
Getränke kennen lernten, Aufgußgetränke aus ſehr giftigen Pilzen,
welche unſerm Kaffee oder Thee vollſtändig entſprachen. Denn auch
dieſe verdanken ihre erregende Wirkung einem heftigen Gifte, welches
der Chemiker „Kaffeïn“ oder „Theïn“ nennt — es iſt nämlich ein und
derſelbe Stoff, welcher ſowohl im Kaffee als im Thee wirkt —, und
dieſes an und für ſich ſo furchtbare Gift ſchadet nur infolge ſeiner
außerordentlichen Verdünnung unſerem Organismus ebenſowenig, wie
das durch den Aufguß ſehr verdünnte, extrahierte Gift der Pilze jenen
Barbaren. Unſer Körper iſt eben nicht nur eine Maſchine, welche
bloß geheizt zu werden braucht, ſondern dieſer hochkomplizierte Or-
ganismus verlangt mehr, als die bloße Zufuhr der verbrauchten Teile,
wenn er dauernd funktionieren ſoll. Aus dieſem Grunde iſt die abſolute
Notwendigkeit der Genußmittel auch von allen modernen Phyſiologen
anerkannt und — ein gewiſſes Maßhalten vorausgeſetzt — ihr Gebrauch
ſogar auf das Wärmſte empfohlen worden. So ſagt z. B. der be-
rühmte Naturforſcher Funke in lichtvollen Worten von den Genuß-
mitteln: „Es iſt thöricht und unberechtigt auch den beſcheidenen Genuß
der genannten Reizmittel zu verwerfen. Man braucht ſie nicht damit
in Schutz zu nehmen, daß der Trieb, ſie in irgend welcher Form ſich
zu verſchaffen, wiederum der Ausfluß eines unvertilgbaren Menſchen-
inſtinktes iſt, der ſich zu allen Zeiten bei allen Völkern geltend gemacht
hat. Man braucht ſich nur zu fragen: Muß denn unſere Maſchine,
wie das Pendel der Uhr, immer in demſelben monotonen, langweiligen
Tempo arbeiten? Was ſchadet es ihr denn, wenn ſie von Zeit zu
Zeit mit etwas ſtärker geſpanntem Dampf etwas raſcher pumpt, ſobald
ſie nur in den darauf folgenden Intervallen bei langſamerer Arbeit
die kleine Luxusausgabe von Kraft aus dem genügenden Vorrat
wieder einbringen und etwaige kleine Defekte ihres Mechanismus
wieder ausbeſſern kann! Wahrlich, manche leuchtende, fruchtbringende
Idee iſt ſchon aus einem Römer duftenden Rheinweines geboren,
welche vielleicht nie den nüchternen Waſſerkrügen der Vegetarianer ent-
ſtiegen wäre; manch’ bitteres Herzweh, das bei Himbeerlimonade tiefer
und tiefer gefreſſen hätte, hat ein Schälchen Kaffee gemildert; manche
Sorge, manche Grille hat ſich mit dem Rauche einer Zigarre ver-
flüchtigt, und das iſt doch auch etwas wert in ſo mancher armſeligen
Menſchenexiſtenz!“
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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/540>, abgerufen am 24.11.2024.
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