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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

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Die Teerfarbstoffe.
land: deutscher Fleiß und deutsche Gründlichkeit bauten das Gebäude
auf, welches sowohl in wissenschaftlicher, als in technischer Hinsicht ein
Musterbau genannt werden kann. Zum Unterschied gegen die mehr
oder weniger planlosen Versuche der ersten Periode beginnt in der
zweiten die planmäßige Forschung, welche von bekannten Grundlagen
ausgehend, allmählich auf neuen, aber sorgfältig erkundeten Wegen
dem gesteckten Ziele zustrebt, und so eine sichere Grundlage schaffte,
welche bei weiteren Arbeiten stets willkommene Stützpunkte bot. In
diese Periode fallen auch die ersten künstlichen Darstellungen von in
der Natur fertig vorkommenden, wichtigen Farben. Gleich die erste
Entdeckung der zweiten Periode gehört hierzu. Nach vielen Mühen
gelang es 1869 Graebe und Liebermann, den wichtigen Farbstoff der
Krappwurzel, das Alizarin, künstlich aus einem Produkte des Stein-
kohlenteers, dem Anthracen, darzustellen. Von welch enormer Be-
deutung diese Entdeckung geworden ist, geht am besten daraus hervor,
daß der Krappbau, der früher besonders in Frankreich große Länder-
strecken in Anspruch nahm und eine bedeutende Einnahmequelle dar-
stellte, jetzt zurückgegangen ist und überhaupt kaum noch lohnt. Man
bemüht sich zwar in Frankreich, ihn aufrecht zu erhalten, um nicht
das deutsche Alizarin kaufen zu müssen, allein was früher ein Quelle
des Wohlstandes war, ist jetzt nur noch ein mit Mühe gefristeter Er-
werbszweig. Dieser Fall ist zugleich das glänzendste Beispiel der
Verdrängung eines Naturprodukts durch ein damit identisches Kunst-
produkt.

Nächst dem Krapp hatte man besonders die künstliche Darstellung
des Indigos ins Auge gefaßt. Aber obwohl es 1879 Baeyer nach
jahrelangen Versuchen gelang, den Indigofarbstoff künstlich aufzubauen,
und obwohl seitdem noch mehrere Verfahren zur Darstellung des
Indigos entdeckt worden sind, so sind doch alle diese Wege noch
zu teuer, um einen konkurrenzfähigen künstlichen Indigo zu beschaffen.
Wie die Verhältnisse liegen, dürfte auch noch geraume Zeit vergehen,
bis dem natürlichen Indigo das Schicksal des Krapps zu teil wird.
Dagegen ist ein anderer, früher sehr geschätzter Farbstoff ebenfalls
völlig verdrängt worden, nämlich die Cochenille. Zwar hat man
nicht den Farbstoff der Cochenille selbst künstlich dargestellt, wohl aber
andere Farben, welche an Schönheit und Echtheit dem Cochenillerot
gleichkommen oder es übertreffen, dabei aber erheblich billiger sind.

Während so einerseits der Erfindungsgeist und die Industrie
darauf ausgingen, einen künstlichen Ersatz für Naturprodukte zu finden,
waren beide auch in der Richtung der früheren Periode thätig,
indem sie immer neue Ausgangsmaterialien in die Bearbeitung
zogen und den Kreis der Teerfarbstoffe nach allen Richtungen hin er-
weiterten. Man beschränkte sich nicht mehr auf das Anilin, man kann
vielmehr sagen, daß jeder neue Körper, den man den Destillations-
produkten des Teers abgewann, auf seine Fähigkeit, Farbstoffe zu

Die Teerfarbſtoffe.
land: deutſcher Fleiß und deutſche Gründlichkeit bauten das Gebäude
auf, welches ſowohl in wiſſenſchaftlicher, als in techniſcher Hinſicht ein
Muſterbau genannt werden kann. Zum Unterſchied gegen die mehr
oder weniger planloſen Verſuche der erſten Periode beginnt in der
zweiten die planmäßige Forſchung, welche von bekannten Grundlagen
ausgehend, allmählich auf neuen, aber ſorgfältig erkundeten Wegen
dem geſteckten Ziele zuſtrebt, und ſo eine ſichere Grundlage ſchaffte,
welche bei weiteren Arbeiten ſtets willkommene Stützpunkte bot. In
dieſe Periode fallen auch die erſten künſtlichen Darſtellungen von in
der Natur fertig vorkommenden, wichtigen Farben. Gleich die erſte
Entdeckung der zweiten Periode gehört hierzu. Nach vielen Mühen
gelang es 1869 Graebe und Liebermann, den wichtigen Farbſtoff der
Krappwurzel, das Alizarin, künſtlich aus einem Produkte des Stein-
kohlenteers, dem Anthracen, darzuſtellen. Von welch enormer Be-
deutung dieſe Entdeckung geworden iſt, geht am beſten daraus hervor,
daß der Krappbau, der früher beſonders in Frankreich große Länder-
ſtrecken in Anſpruch nahm und eine bedeutende Einnahmequelle dar-
ſtellte, jetzt zurückgegangen iſt und überhaupt kaum noch lohnt. Man
bemüht ſich zwar in Frankreich, ihn aufrecht zu erhalten, um nicht
das deutſche Alizarin kaufen zu müſſen, allein was früher ein Quelle
des Wohlſtandes war, iſt jetzt nur noch ein mit Mühe gefriſteter Er-
werbszweig. Dieſer Fall iſt zugleich das glänzendſte Beiſpiel der
Verdrängung eines Naturprodukts durch ein damit identiſches Kunſt-
produkt.

Nächſt dem Krapp hatte man beſonders die künſtliche Darſtellung
des Indigos ins Auge gefaßt. Aber obwohl es 1879 Baeyer nach
jahrelangen Verſuchen gelang, den Indigofarbſtoff künſtlich aufzubauen,
und obwohl ſeitdem noch mehrere Verfahren zur Darſtellung des
Indigos entdeckt worden ſind, ſo ſind doch alle dieſe Wege noch
zu teuer, um einen konkurrenzfähigen künſtlichen Indigo zu beſchaffen.
Wie die Verhältniſſe liegen, dürfte auch noch geraume Zeit vergehen,
bis dem natürlichen Indigo das Schickſal des Krapps zu teil wird.
Dagegen iſt ein anderer, früher ſehr geſchätzter Farbſtoff ebenfalls
völlig verdrängt worden, nämlich die Cochenille. Zwar hat man
nicht den Farbſtoff der Cochenille ſelbſt künſtlich dargeſtellt, wohl aber
andere Farben, welche an Schönheit und Echtheit dem Cochenillerot
gleichkommen oder es übertreffen, dabei aber erheblich billiger ſind.

Während ſo einerſeits der Erfindungsgeiſt und die Induſtrie
darauf ausgingen, einen künſtlichen Erſatz für Naturprodukte zu finden,
waren beide auch in der Richtung der früheren Periode thätig,
indem ſie immer neue Ausgangsmaterialien in die Bearbeitung
zogen und den Kreis der Teerfarbſtoffe nach allen Richtungen hin er-
weiterten. Man beſchränkte ſich nicht mehr auf das Anilin, man kann
vielmehr ſagen, daß jeder neue Körper, den man den Deſtillations-
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[409/0427] Die Teerfarbſtoffe. land: deutſcher Fleiß und deutſche Gründlichkeit bauten das Gebäude auf, welches ſowohl in wiſſenſchaftlicher, als in techniſcher Hinſicht ein Muſterbau genannt werden kann. Zum Unterſchied gegen die mehr oder weniger planloſen Verſuche der erſten Periode beginnt in der zweiten die planmäßige Forſchung, welche von bekannten Grundlagen ausgehend, allmählich auf neuen, aber ſorgfältig erkundeten Wegen dem geſteckten Ziele zuſtrebt, und ſo eine ſichere Grundlage ſchaffte, welche bei weiteren Arbeiten ſtets willkommene Stützpunkte bot. In dieſe Periode fallen auch die erſten künſtlichen Darſtellungen von in der Natur fertig vorkommenden, wichtigen Farben. Gleich die erſte Entdeckung der zweiten Periode gehört hierzu. Nach vielen Mühen gelang es 1869 Graebe und Liebermann, den wichtigen Farbſtoff der Krappwurzel, das Alizarin, künſtlich aus einem Produkte des Stein- kohlenteers, dem Anthracen, darzuſtellen. Von welch enormer Be- deutung dieſe Entdeckung geworden iſt, geht am beſten daraus hervor, daß der Krappbau, der früher beſonders in Frankreich große Länder- ſtrecken in Anſpruch nahm und eine bedeutende Einnahmequelle dar- ſtellte, jetzt zurückgegangen iſt und überhaupt kaum noch lohnt. Man bemüht ſich zwar in Frankreich, ihn aufrecht zu erhalten, um nicht das deutſche Alizarin kaufen zu müſſen, allein was früher ein Quelle des Wohlſtandes war, iſt jetzt nur noch ein mit Mühe gefriſteter Er- werbszweig. Dieſer Fall iſt zugleich das glänzendſte Beiſpiel der Verdrängung eines Naturprodukts durch ein damit identiſches Kunſt- produkt. Nächſt dem Krapp hatte man beſonders die künſtliche Darſtellung des Indigos ins Auge gefaßt. Aber obwohl es 1879 Baeyer nach jahrelangen Verſuchen gelang, den Indigofarbſtoff künſtlich aufzubauen, und obwohl ſeitdem noch mehrere Verfahren zur Darſtellung des Indigos entdeckt worden ſind, ſo ſind doch alle dieſe Wege noch zu teuer, um einen konkurrenzfähigen künſtlichen Indigo zu beſchaffen. Wie die Verhältniſſe liegen, dürfte auch noch geraume Zeit vergehen, bis dem natürlichen Indigo das Schickſal des Krapps zu teil wird. Dagegen iſt ein anderer, früher ſehr geſchätzter Farbſtoff ebenfalls völlig verdrängt worden, nämlich die Cochenille. Zwar hat man nicht den Farbſtoff der Cochenille ſelbſt künſtlich dargeſtellt, wohl aber andere Farben, welche an Schönheit und Echtheit dem Cochenillerot gleichkommen oder es übertreffen, dabei aber erheblich billiger ſind. Während ſo einerſeits der Erfindungsgeiſt und die Induſtrie darauf ausgingen, einen künſtlichen Erſatz für Naturprodukte zu finden, waren beide auch in der Richtung der früheren Periode thätig, indem ſie immer neue Ausgangsmaterialien in die Bearbeitung zogen und den Kreis der Teerfarbſtoffe nach allen Richtungen hin er- weiterten. Man beſchränkte ſich nicht mehr auf das Anilin, man kann vielmehr ſagen, daß jeder neue Körper, den man den Deſtillations- produkten des Teers abgewann, auf ſeine Fähigkeit, Farbſtoffe zu

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Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/427>, abgerufen am 22.11.2024.