lassen, um bald die eine, bald die andere Farbe oder Art einbringen zu können. Durch Einlegen mehrerer Kettbäume mit verschiedener Kett- spannung wurde man in den Stand gesetzt, die mannigfaltigsten Gewebe, Doppelgewebe, Samte, Plüsche, Schleifen- oder Noppengewebe etc. zu verfertigen. Sinnreiche Einrichtungen an der Lade mit mehreren kleinen Spulen lassen es zu, die Schußfäden nur so weit im Gewebe einzu- tragen, als es die Figuren erfordern, also brochierte Stoffe herzustellen u. dgl. m. Doch sind diese letzteren Einrichtungen erst späterhin er- funden worden.
Schon vor Anfang dieses Jahrhunderts wurden reicher gemusterte, faconnierte Stoffe in den Handel gebracht, welche mit dem einfachen Trittstuhl nicht herstellbar sind; die hierfür dienlichen Apparate, der Sempelstuhl, der Kegelstuhl und der Trommelstuhl waren jedoch so kompliziert und die Arbeit einerseits so zeitraubend, andererseits für den Weber höchst anstrengend, daß der Preis der fabrizierten Waare ein für gewöhnliche Verhältnisse unerschwinglicher war. Erst Carl Marie Jacquard stellte 1806 in Lyon einen Stuhl mit einer Vorrichtung, der Jacquardmaschine auf, welcher im stande war, faconnierte Stoffe jed- weder Art verhältnismäßig einfach und schnell zu erzeugen. Die eigent- liche Einführung der genannten Maschine fällt einige Jahre später, etwa 1814, und verdanken wir ihr den erstaunenswerten Aufschwung der Weberei und die Vielseitigkeit der gemusterten Waren. Wurde die Maschine zunächst nur an Handwebstühlen angewendet, so hat sie sich, als die mechanischen Stühle mehr und mehr vervollkommnet wurden, auch diese zu eigen gemacht, und werden heute auch auf letzteren mit ihrer Hülfe die herrlichsten Stoffe zur Ausführung gebracht. Das Prin- zip der Jacquardmaschine (Fig. 210) ist folgendes: Die Litzen, durch welche die Kettfäden gehen, sind unten jede durch ein Bleigewicht beschwert, oben sind sie an Schnüre gebunden und diese durch ein Brett mit feinen Löchern, das Harnisch- oder Chorbrett, so geführt, daß sich die Litzen vertikal auf- und abbewegen lassen. Von hier aus laufen die Schnüre der Jacquardmaschine zu und bilden auf diesem Wege insge- samt das, was man den Harnisch nennt. In einem Gewebe wieder- holt sich in der Breite das Muster mehr oder weniger häufig und heißt eine solche Wiederholung ein Rapport. Die gleichwertigen Kett- fäden in den einzelnen Rapports erheischen offenbar dieselbe Hebung resp. Senkung und sind die zugehörigen Harnischschnüre mittelst eines Ringes oder Hakens an je eine Schnur, die Platinenschnur gebunden. Hebt sich diese, so werden auch die mit ihr verbundenen Harnischschnüre, Litzen und Kettfäden gehoben. Meist macht man es so, daß die Kettfäden in ihrer Ruhelage so tief sind, daß sie bei der Fachbildung nicht noch tiefer gesenkt zu werden brauchen, vielmehr nur durch Heben der der Bindung gemäß nach oben zu bringenden Fäden Fach gebildet wird; doch giebt es auch Einrichtungen, welche bei horizontal aufgespannter Kette durch Heben und Senken der Fäden Fachbildung erreichen. Eine Jacquard-
Die Textil-Induſtrie.
laſſen, um bald die eine, bald die andere Farbe oder Art einbringen zu können. Durch Einlegen mehrerer Kettbäume mit verſchiedener Kett- ſpannung wurde man in den Stand geſetzt, die mannigfaltigſten Gewebe, Doppelgewebe, Samte, Plüſche, Schleifen- oder Noppengewebe ꝛc. zu verfertigen. Sinnreiche Einrichtungen an der Lade mit mehreren kleinen Spulen laſſen es zu, die Schußfäden nur ſo weit im Gewebe einzu- tragen, als es die Figuren erfordern, alſo brochierte Stoffe herzuſtellen u. dgl. m. Doch ſind dieſe letzteren Einrichtungen erſt ſpäterhin er- funden worden.
Schon vor Anfang dieſes Jahrhunderts wurden reicher gemuſterte, façonnierte Stoffe in den Handel gebracht, welche mit dem einfachen Trittſtuhl nicht herſtellbar ſind; die hierfür dienlichen Apparate, der Sempelſtuhl, der Kegelſtuhl und der Trommelſtuhl waren jedoch ſo kompliziert und die Arbeit einerſeits ſo zeitraubend, andererſeits für den Weber höchſt anſtrengend, daß der Preis der fabrizierten Waare ein für gewöhnliche Verhältniſſe unerſchwinglicher war. Erſt Carl Marie Jacquard ſtellte 1806 in Lyon einen Stuhl mit einer Vorrichtung, der Jacquardmaſchine auf, welcher im ſtande war, façonnierte Stoffe jed- weder Art verhältnismäßig einfach und ſchnell zu erzeugen. Die eigent- liche Einführung der genannten Maſchine fällt einige Jahre ſpäter, etwa 1814, und verdanken wir ihr den erſtaunenswerten Aufſchwung der Weberei und die Vielſeitigkeit der gemuſterten Waren. Wurde die Maſchine zunächſt nur an Handwebſtühlen angewendet, ſo hat ſie ſich, als die mechaniſchen Stühle mehr und mehr vervollkommnet wurden, auch dieſe zu eigen gemacht, und werden heute auch auf letzteren mit ihrer Hülfe die herrlichſten Stoffe zur Ausführung gebracht. Das Prin- zip der Jacquardmaſchine (Fig. 210) iſt folgendes: Die Litzen, durch welche die Kettfäden gehen, ſind unten jede durch ein Bleigewicht beſchwert, oben ſind ſie an Schnüre gebunden und dieſe durch ein Brett mit feinen Löchern, das Harniſch- oder Chorbrett, ſo geführt, daß ſich die Litzen vertikal auf- und abbewegen laſſen. Von hier aus laufen die Schnüre der Jacquardmaſchine zu und bilden auf dieſem Wege insge- ſamt das, was man den Harniſch nennt. In einem Gewebe wieder- holt ſich in der Breite das Muſter mehr oder weniger häufig und heißt eine ſolche Wiederholung ein Rapport. Die gleichwertigen Kett- fäden in den einzelnen Rapports erheiſchen offenbar dieſelbe Hebung reſp. Senkung und ſind die zugehörigen Harniſchſchnüre mittelſt eines Ringes oder Hakens an je eine Schnur, die Platinenſchnur gebunden. Hebt ſich dieſe, ſo werden auch die mit ihr verbundenen Harniſchſchnüre, Litzen und Kettfäden gehoben. Meiſt macht man es ſo, daß die Kettfäden in ihrer Ruhelage ſo tief ſind, daß ſie bei der Fachbildung nicht noch tiefer geſenkt zu werden brauchen, vielmehr nur durch Heben der der Bindung gemäß nach oben zu bringenden Fäden Fach gebildet wird; doch giebt es auch Einrichtungen, welche bei horizontal aufgeſpannter Kette durch Heben und Senken der Fäden Fachbildung erreichen. Eine Jacquard-
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Die Textil-Induſtrie.
laſſen, um bald die eine, bald die andere Farbe oder Art einbringen
zu können. Durch Einlegen mehrerer Kettbäume mit verſchiedener Kett-
ſpannung wurde man in den Stand geſetzt, die mannigfaltigſten Gewebe,
Doppelgewebe, Samte, Plüſche, Schleifen- oder Noppengewebe ꝛc. zu
verfertigen. Sinnreiche Einrichtungen an der Lade mit mehreren kleinen
Spulen laſſen es zu, die Schußfäden nur ſo weit im Gewebe einzu-
tragen, als es die Figuren erfordern, alſo brochierte Stoffe herzuſtellen
u. dgl. m. Doch ſind dieſe letzteren Einrichtungen erſt ſpäterhin er-
funden worden.
Schon vor Anfang dieſes Jahrhunderts wurden reicher gemuſterte,
façonnierte Stoffe in den Handel gebracht, welche mit dem einfachen
Trittſtuhl nicht herſtellbar ſind; die hierfür dienlichen Apparate, der
Sempelſtuhl, der Kegelſtuhl und der Trommelſtuhl waren jedoch ſo
kompliziert und die Arbeit einerſeits ſo zeitraubend, andererſeits für den
Weber höchſt anſtrengend, daß der Preis der fabrizierten Waare ein
für gewöhnliche Verhältniſſe unerſchwinglicher war. Erſt Carl Marie
Jacquard ſtellte 1806 in Lyon einen Stuhl mit einer Vorrichtung, der
Jacquardmaſchine auf, welcher im ſtande war, façonnierte Stoffe jed-
weder Art verhältnismäßig einfach und ſchnell zu erzeugen. Die eigent-
liche Einführung der genannten Maſchine fällt einige Jahre ſpäter, etwa
1814, und verdanken wir ihr den erſtaunenswerten Aufſchwung der
Weberei und die Vielſeitigkeit der gemuſterten Waren. Wurde die
Maſchine zunächſt nur an Handwebſtühlen angewendet, ſo hat ſie ſich,
als die mechaniſchen Stühle mehr und mehr vervollkommnet wurden,
auch dieſe zu eigen gemacht, und werden heute auch auf letzteren mit
ihrer Hülfe die herrlichſten Stoffe zur Ausführung gebracht. Das Prin-
zip der Jacquardmaſchine (Fig. 210) iſt folgendes: Die Litzen, durch welche
die Kettfäden gehen, ſind unten jede durch ein Bleigewicht beſchwert,
oben ſind ſie an Schnüre gebunden und dieſe durch ein Brett mit
feinen Löchern, das Harniſch- oder Chorbrett, ſo geführt, daß ſich die
Litzen vertikal auf- und abbewegen laſſen. Von hier aus laufen die
Schnüre der Jacquardmaſchine zu und bilden auf dieſem Wege insge-
ſamt das, was man den Harniſch nennt. In einem Gewebe wieder-
holt ſich in der Breite das Muſter mehr oder weniger häufig und
heißt eine ſolche Wiederholung ein Rapport. Die gleichwertigen Kett-
fäden in den einzelnen Rapports erheiſchen offenbar dieſelbe Hebung reſp.
Senkung und ſind die zugehörigen Harniſchſchnüre mittelſt eines Ringes
oder Hakens an je eine Schnur, die Platinenſchnur gebunden. Hebt ſich
dieſe, ſo werden auch die mit ihr verbundenen Harniſchſchnüre, Litzen und
Kettfäden gehoben. Meiſt macht man es ſo, daß die Kettfäden in ihrer
Ruhelage ſo tief ſind, daß ſie bei der Fachbildung nicht noch tiefer geſenkt
zu werden brauchen, vielmehr nur durch Heben der der Bindung
gemäß nach oben zu bringenden Fäden Fach gebildet wird; doch giebt
es auch Einrichtungen, welche bei horizontal aufgeſpannter Kette durch
Heben und Senken der Fäden Fachbildung erreichen. Eine Jacquard-
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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/392>, abgerufen am 22.11.2024.
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