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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

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Die elektrischen Erfindungen.
der Welt zu treiben. So wird in dem Getriebe von vielen hundert
benachbarten Fabriken das furchtbare Getöse des Niagara nachtönen
und die Stadt Buffalo wird nachts mit Tageshelle versehen sein durch
die bis jetzt so unbenutzt gebliebene leistungsfähigste Naturkraft des
Erdballs. Es ist nicht ausgeschlossen, daß den Besuchern der Chikagoer
Ausstellung im nächsten Jahre ein Teil von jener Kraft, die von dem
700 km entfernten Wassersturze geliefert wird, dort die Augen blenden
wird. Dazu braucht noch nicht der etwas abenteuerlich klingende Plan
des Engländers Swinburne ausgeführt zu werden, dem es gelungen
ist, Spannungen von 130000 Volt in elektrischen Strömen hervorzu-
bringen, und der bei dieser hohen Spannung wenigstens fünfzig Pferde-
stärken aus dem Niagara nach Chikago zu übertragen denkt.

Wie einst zuerst Sir William Armstrong 1878 durch die Kraft eines
freilich kaum 20 Minuten entfernten Wasserfalles sein Haus in Cragside
nachts mit Licht versah und am Tage die Ekektrizität zur Hausarbeit ver-
wandte, so hält der amerikanische Elektriker Brush auf seinem Landgute bei
Cleveland mittels eines großen Windrades eine Dynamomaschine in
Thätigkeit und erleuchtet sein Haus dadurch mit 350 Glühlampen. Ihm
vorangegangen ist freilich der Herzog von Feltre, der bei Havre die Kraft
des Windes seit einiger Zeit zur Lichterzeugung auf einem Leuchtturm ver-
wendet, und nachgefolgt ist die Carvardinesche Mühle in London, die sich
auch vom Winde mit Licht versehen läßt. Die Ausnutzung der in der Ebbe
und Flut vorhandenen Kräfte hat am längsten auf sich warten lassen,
obgleich gerade sie berufen zu sein scheinen, bei der Zuversicht, mit
der man ihrer regelmäßigen Wiederkehr entgegensehen darf, in der
Zukunft eine große Rolle zu spielen. Decoeur in Havre und Diamant
in Melbourne haben wohldurchdachte Pläne ausgearbeitet, um die
bei der Flut gelieferte Wassermenge in Reservoirs unterzubringen und
ihr bei der Ebbe so viel Kraft des fallenden Wassers zu entnehmen,
als eben nötig ist. Der letztgenannte Ingenieur wird seine Motoren
fortlaufend und mit großer Kraft arbeiten lassen, die Kosten für die
Eindämmung der Wasserbecken werden bei seinem System sich nicht zu
hoch belaufen. So werden wohl die Gezeiten bald berufen sein, bei
der Lösung der mannigfachen Kulturaufgaben, welche die Gegenwart
stellt, mitzuarbeiten.

Es wird dem aufmerksamen Leser nicht entgangen sein, daß alle
solche Anlagen, bei denen die Naturkräfte zur Mitwirkung herangezogen
sind, einen Mangel aufweisen. Die Wasserkraft, welche bei normalem
Wasserstande zum Treiben der Maschinen ausreicht, wird in besonderen
Fällen auf ein so niedriges Maß herabsinken, daß sie unbrauchbar
wird. Der Wind kann durch sein Ausbleiben alle Pläne für die Aus-
nützung seiner Gewalt zu nichte machen. Ebbe und Flut haben
wenigstens vor den genannten den Vorzug, daß sich der Eintritt ihres
Wechsels vorhersagen läßt. Der Mensch darf sich wenigstens auf
jene so unberechenbaren Kräfte nicht verlassen, sonst begiebt er sich

Die elektriſchen Erfindungen.
der Welt zu treiben. So wird in dem Getriebe von vielen hundert
benachbarten Fabriken das furchtbare Getöſe des Niagara nachtönen
und die Stadt Buffalo wird nachts mit Tageshelle verſehen ſein durch
die bis jetzt ſo unbenutzt gebliebene leiſtungsfähigſte Naturkraft des
Erdballs. Es iſt nicht ausgeſchloſſen, daß den Beſuchern der Chikagoer
Ausſtellung im nächſten Jahre ein Teil von jener Kraft, die von dem
700 km entfernten Waſſerſturze geliefert wird, dort die Augen blenden
wird. Dazu braucht noch nicht der etwas abenteuerlich klingende Plan
des Engländers Swinburne ausgeführt zu werden, dem es gelungen
iſt, Spannungen von 130000 Volt in elektriſchen Strömen hervorzu-
bringen, und der bei dieſer hohen Spannung wenigſtens fünfzig Pferde-
ſtärken aus dem Niagara nach Chikago zu übertragen denkt.

Wie einſt zuerſt Sir William Armſtrong 1878 durch die Kraft eines
freilich kaum 20 Minuten entfernten Waſſerfalles ſein Haus in Cragſide
nachts mit Licht verſah und am Tage die Ekektrizität zur Hausarbeit ver-
wandte, ſo hält der amerikaniſche Elektriker Bruſh auf ſeinem Landgute bei
Cleveland mittels eines großen Windrades eine Dynamomaſchine in
Thätigkeit und erleuchtet ſein Haus dadurch mit 350 Glühlampen. Ihm
vorangegangen iſt freilich der Herzog von Feltre, der bei Havre die Kraft
des Windes ſeit einiger Zeit zur Lichterzeugung auf einem Leuchtturm ver-
wendet, und nachgefolgt iſt die Carvardineſche Mühle in London, die ſich
auch vom Winde mit Licht verſehen läßt. Die Ausnutzung der in der Ebbe
und Flut vorhandenen Kräfte hat am längſten auf ſich warten laſſen,
obgleich gerade ſie berufen zu ſein ſcheinen, bei der Zuverſicht, mit
der man ihrer regelmäßigen Wiederkehr entgegenſehen darf, in der
Zukunft eine große Rolle zu ſpielen. Decoeur in Havre und Diamant
in Melbourne haben wohldurchdachte Pläne ausgearbeitet, um die
bei der Flut gelieferte Waſſermenge in Reſervoirs unterzubringen und
ihr bei der Ebbe ſo viel Kraft des fallenden Waſſers zu entnehmen,
als eben nötig iſt. Der letztgenannte Ingenieur wird ſeine Motoren
fortlaufend und mit großer Kraft arbeiten laſſen, die Koſten für die
Eindämmung der Waſſerbecken werden bei ſeinem Syſtem ſich nicht zu
hoch belaufen. So werden wohl die Gezeiten bald berufen ſein, bei
der Löſung der mannigfachen Kulturaufgaben, welche die Gegenwart
ſtellt, mitzuarbeiten.

Es wird dem aufmerkſamen Leſer nicht entgangen ſein, daß alle
ſolche Anlagen, bei denen die Naturkräfte zur Mitwirkung herangezogen
ſind, einen Mangel aufweiſen. Die Waſſerkraft, welche bei normalem
Waſſerſtande zum Treiben der Maſchinen ausreicht, wird in beſonderen
Fällen auf ein ſo niedriges Maß herabſinken, daß ſie unbrauchbar
wird. Der Wind kann durch ſein Ausbleiben alle Pläne für die Aus-
nützung ſeiner Gewalt zu nichte machen. Ebbe und Flut haben
wenigſtens vor den genannten den Vorzug, daß ſich der Eintritt ihres
Wechſels vorherſagen läßt. Der Menſch darf ſich wenigſtens auf
jene ſo unberechenbaren Kräfte nicht verlaſſen, ſonſt begiebt er ſich

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[200/0218] Die elektriſchen Erfindungen. der Welt zu treiben. So wird in dem Getriebe von vielen hundert benachbarten Fabriken das furchtbare Getöſe des Niagara nachtönen und die Stadt Buffalo wird nachts mit Tageshelle verſehen ſein durch die bis jetzt ſo unbenutzt gebliebene leiſtungsfähigſte Naturkraft des Erdballs. Es iſt nicht ausgeſchloſſen, daß den Beſuchern der Chikagoer Ausſtellung im nächſten Jahre ein Teil von jener Kraft, die von dem 700 km entfernten Waſſerſturze geliefert wird, dort die Augen blenden wird. Dazu braucht noch nicht der etwas abenteuerlich klingende Plan des Engländers Swinburne ausgeführt zu werden, dem es gelungen iſt, Spannungen von 130000 Volt in elektriſchen Strömen hervorzu- bringen, und der bei dieſer hohen Spannung wenigſtens fünfzig Pferde- ſtärken aus dem Niagara nach Chikago zu übertragen denkt. Wie einſt zuerſt Sir William Armſtrong 1878 durch die Kraft eines freilich kaum 20 Minuten entfernten Waſſerfalles ſein Haus in Cragſide nachts mit Licht verſah und am Tage die Ekektrizität zur Hausarbeit ver- wandte, ſo hält der amerikaniſche Elektriker Bruſh auf ſeinem Landgute bei Cleveland mittels eines großen Windrades eine Dynamomaſchine in Thätigkeit und erleuchtet ſein Haus dadurch mit 350 Glühlampen. Ihm vorangegangen iſt freilich der Herzog von Feltre, der bei Havre die Kraft des Windes ſeit einiger Zeit zur Lichterzeugung auf einem Leuchtturm ver- wendet, und nachgefolgt iſt die Carvardineſche Mühle in London, die ſich auch vom Winde mit Licht verſehen läßt. Die Ausnutzung der in der Ebbe und Flut vorhandenen Kräfte hat am längſten auf ſich warten laſſen, obgleich gerade ſie berufen zu ſein ſcheinen, bei der Zuverſicht, mit der man ihrer regelmäßigen Wiederkehr entgegenſehen darf, in der Zukunft eine große Rolle zu ſpielen. Decoeur in Havre und Diamant in Melbourne haben wohldurchdachte Pläne ausgearbeitet, um die bei der Flut gelieferte Waſſermenge in Reſervoirs unterzubringen und ihr bei der Ebbe ſo viel Kraft des fallenden Waſſers zu entnehmen, als eben nötig iſt. Der letztgenannte Ingenieur wird ſeine Motoren fortlaufend und mit großer Kraft arbeiten laſſen, die Koſten für die Eindämmung der Waſſerbecken werden bei ſeinem Syſtem ſich nicht zu hoch belaufen. So werden wohl die Gezeiten bald berufen ſein, bei der Löſung der mannigfachen Kulturaufgaben, welche die Gegenwart ſtellt, mitzuarbeiten. Es wird dem aufmerkſamen Leſer nicht entgangen ſein, daß alle ſolche Anlagen, bei denen die Naturkräfte zur Mitwirkung herangezogen ſind, einen Mangel aufweiſen. Die Waſſerkraft, welche bei normalem Waſſerſtande zum Treiben der Maſchinen ausreicht, wird in beſonderen Fällen auf ein ſo niedriges Maß herabſinken, daß ſie unbrauchbar wird. Der Wind kann durch ſein Ausbleiben alle Pläne für die Aus- nützung ſeiner Gewalt zu nichte machen. Ebbe und Flut haben wenigſtens vor den genannten den Vorzug, daß ſich der Eintritt ihres Wechſels vorherſagen läßt. Der Menſch darf ſich wenigſtens auf jene ſo unberechenbaren Kräfte nicht verlaſſen, ſonſt begiebt er ſich

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Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/218>, abgerufen am 25.11.2024.