Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

schwer ist es einen solchen zu beruhigen und
vom Gegentheil zu überzeugen.

Ich habe selbst eine Person gekannt,
die in diesen traurigen Zustand gerathen
war, die alle Schmerzen, die sie erduldete,
alle Widerwaertigkeiten, die ihr begegneten,
auf Rechnung jener Verirrung schrieb, und
mit Aengstlichkeit jeden Bissen genoss, weil
sie glaubte, dass sie jeder Gottesgabe unwerth
waere. Und ob sie gleich sich Mühe gab,
diese Melancholie durch Gründe, die die Re-
ligion darbietet, zu bekaempfen, so glichen
ihre Nerven doch schlaffen Saiten, bey de-
nen kein Ton anspricht, und der Gram, der
an ihrem Herzen nagte, und ihr Mark aus-
saugte, verzehrte sie endlich.

Sollte nicht die Hypochondrie, die in
unsern Tagen so epidemisch ist, auch grossen-
theils aus dieser unseligen Quelle entsprin-
gen? Ferne sey von mir die Lieblosigkeit,
alle Hypochondristen für solche zu halten,

die
(D 4)

ſchwer iſt es einen ſolchen zu beruhigen und
vom Gegentheil zu überzeugen.

Ich habe ſelbſt eine Perſon gekannt,
die in dieſen traurigen Zuſtand gerathen
war, die alle Schmerzen, die ſie erduldete,
alle Widerwærtigkeiten, die ihr begegneten,
auf Rechnung jener Verirrung ſchrieb, und
mit Aengſtlichkeit jeden Biſſen genoſs, weil
ſie glaubte, daſs ſie jeder Gottesgabe unwerth
wære. Und ob ſie gleich ſich Mühe gab,
dieſe Melancholie durch Gründe, die die Re-
ligion darbietet, zu bekæmpfen, ſo glichen
ihre Nerven doch ſchlaffen Saiten, bey de-
nen kein Ton anſpricht, und der Gram, der
an ihrem Herzen nagte, und ihr Mark aus-
ſaugte, verzehrte ſie endlich.

Sollte nicht die Hypochondrie, die in
unſern Tagen ſo epidemiſch iſt, auch groſsen-
theils aus dieſer unſeligen Quelle entſprin-
gen? Ferne ſey von mir die Liebloſigkeit,
alle Hypochondriſten für ſolche zu halten,

die
(D 4)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0065" n="55"/>
&#x017F;chwer i&#x017F;t es einen &#x017F;olchen zu beruhigen und<lb/>
vom Gegentheil zu überzeugen.</p><lb/>
            <p>Ich habe &#x017F;elb&#x017F;t eine Per&#x017F;on gekannt,<lb/>
die in die&#x017F;en traurigen Zu&#x017F;tand gerathen<lb/>
war, die alle Schmerzen, die &#x017F;ie erduldete,<lb/>
alle Widerwærtigkeiten, die ihr begegneten,<lb/>
auf Rechnung jener Verirrung &#x017F;chrieb, und<lb/>
mit Aeng&#x017F;tlichkeit jeden Bi&#x017F;&#x017F;en geno&#x017F;s, weil<lb/>
&#x017F;ie glaubte, da&#x017F;s &#x017F;ie jeder Gottesgabe unwerth<lb/>
wære. Und ob &#x017F;ie gleich &#x017F;ich Mühe gab,<lb/>
die&#x017F;e Melancholie durch Gründe, die die Re-<lb/>
ligion darbietet, zu bekæmpfen, &#x017F;o glichen<lb/>
ihre Nerven doch &#x017F;chlaffen Saiten, bey de-<lb/>
nen kein Ton an&#x017F;pricht, und der Gram, der<lb/>
an ihrem Herzen nagte, und ihr Mark aus-<lb/>
&#x017F;augte, verzehrte &#x017F;ie endlich.</p><lb/>
            <p>Sollte nicht die Hypochondrie, die in<lb/>
un&#x017F;ern Tagen &#x017F;o epidemi&#x017F;ch i&#x017F;t, auch gro&#x017F;sen-<lb/>
theils aus die&#x017F;er un&#x017F;eligen Quelle ent&#x017F;prin-<lb/>
gen? Ferne &#x017F;ey von mir die Lieblo&#x017F;igkeit,<lb/>
alle Hypochondri&#x017F;ten für &#x017F;olche zu halten,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">(D 4)</fw><fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0065] ſchwer iſt es einen ſolchen zu beruhigen und vom Gegentheil zu überzeugen. Ich habe ſelbſt eine Perſon gekannt, die in dieſen traurigen Zuſtand gerathen war, die alle Schmerzen, die ſie erduldete, alle Widerwærtigkeiten, die ihr begegneten, auf Rechnung jener Verirrung ſchrieb, und mit Aengſtlichkeit jeden Biſſen genoſs, weil ſie glaubte, daſs ſie jeder Gottesgabe unwerth wære. Und ob ſie gleich ſich Mühe gab, dieſe Melancholie durch Gründe, die die Re- ligion darbietet, zu bekæmpfen, ſo glichen ihre Nerven doch ſchlaffen Saiten, bey de- nen kein Ton anſpricht, und der Gram, der an ihrem Herzen nagte, und ihr Mark aus- ſaugte, verzehrte ſie endlich. Sollte nicht die Hypochondrie, die in unſern Tagen ſo epidemiſch iſt, auch groſsen- theils aus dieſer unſeligen Quelle entſprin- gen? Ferne ſey von mir die Liebloſigkeit, alle Hypochondriſten für ſolche zu halten, die (D 4)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/65
Zitationshilfe: Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/65>, abgerufen am 25.11.2024.